Finale im Prozess um einen 39-jährigen Grazer, der im Drogenrausch mit Pfeil und Bogen auf seine Freundin schoss und die Frau lebensgefährlich verletzte: Am zweiten Verhandlungstag behauptete der Mann plötzlich, er könne sich an nichts mehr erinnern. Das Urteil: 20 Jahre Gefängnis – nicht rechtskräftig.
„Herr Richter, ich möchte gleich etwas klarstellen und die Geschichte erzählen, wie sie wirklich war“, sprudelt es aus dem 39-jährigen Angeklagten gleich zu Beginn des zweiten Verhandlungstags heraus. Wie berichtet, hatte der Mann beim Prozessauftakt am Dienstag seine kuriose Variante der Tat aufgetischt.
Laut Anklage soll er zwei Pfeile mit einem Sportbogen auf seine schlafende Freundin geschossen und sie damit lebensgefährlich verletzt haben. Seinen Ausführungen zufolge soll seine Freundin aber nicht im Bett gelegen, sondern gestanden sein und habe ihn mit einem Messer bedroht. Oder: den Pfeil, der in ihrem Oberkörper steckte, habe sie sich selbst weiter bis ins Herz geschoben.
„Weiß eigentlich nichts mehr“
„Es war eigentlich alles erfunden“, sagt der 39-Jährige am Donnerstag. Er schildert, was er in jener Nacht alles konsumiert habe. Vor allem Kokain und Methamphetamin, besser bekannt als Crystal Meth. Dann habe er aber auch noch Ketamin genommen („zum ersten Mal gespritzt, vorher immer nur durch die Nase gezogen“), was zu einem totalen Blackout geführt habe. „Dann weiß ich eigentlich nichts mehr. Erst wieder, als ich den Unfall mit dem Auto hatte.“
Dann weiß ich eigentlich nichts mehr. Erst wieder, als ich den Unfall mit dem Auto hatte.
Der Angeklagte vor Gericht
Diese bisher nie erwähnten Erinnerungslücken sind weder für die Richter, noch für den psychiatrischen Sachverständigen nachvollziehbar und glaubwürdig. So hat der Mann bei den Einvernahmen stets auch Details genannt, die sehr wohl mit dem Tatablauf übereinstimmen. Und dann wäre da noch eine lange WhatsApp-Nachricht, die er seiner Mutter kurz nach der Tat schrieb – beinahe fehlerfrei.
„Sie reden sich nur noch weiter rein, ich gebe Ihnen einen Tipp, sagen Sie lieber nichts mehr“, beendete Richter Gerhard Leitgeb schließlich die Debatte um das Erinnerungsvermögen des Angeklagten.
Pfeilspitze steckte im Herz
Mehr Gewicht hatten dann die Ausführungen der Gutachter. Die Gerichtsmedizinerin schilderte im Detail, wie ernst die Verletzungen waren und wie knapp das Opfer dem Tod entronnen ist. Der erste Pfeil bohrte sich von der Flanke bis ins Herz und durchstach dabei auch Milz und Leber. Die 42-jährige Frau wurde im LKH Graz notoperiert, die Milz wurde entfernt. „Ihr Glück war, dass die Pfeilspitze im Herzmuskel zu liegen gekommen ist, so wurde die Einblutung in den Herzbeutel verlangsamt“, erklärt die Medizinerin. Der zweite Pfeil durchbohrte die Schulter und in weiterer Folge die Wange des Opfers.
Sie reden sich nur noch weiter rein, ich gebe Ihnen einen Tipp, sagen Sie lieber nichts mehr.
Richter Gerhard Leitgeb
Dass die Frau bei der Tat im Bett gelegen und nicht gestanden ist, steht sowohl seitens Waffengutachter als auch Gerichtsmedizinerin zweifelsfrei außer Frage.
Drogencocktail im Blut
Laut dem toxikologischen Sachverständigen hatte der Angeklagte keinen Alkohol im Blut, dafür einen bunten Drogencocktail sowie fünf verschiedene Psychopharmaka. Gerichtspsychiater Manfred Walzl attestiert dem Mann unter anderem eine Verhaltensstörung durch langjährigen, multiplen Substanzgebrauch. Zum Tatzeitpunkt sei er aber nur mittelgradig berauscht gewesen. Er sei zurechnungsfähig gewesen, wenn durch den Drogenrausch auch nur eingeschränkt. „Für mich hat er klare Erinnerungen aufgewiesen“, betonte Walzl noch einmal angesichts des vermeintlichen Blackouts.
Am Nachmittag fiel die Entscheidung der Geschworenen: Der Mann wurde des Mordversuchs schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurde eine offene Strafe von sechs Monaten, die bedingt nachgesehen wurden, widerrufen. Auch die muss er nun absitzen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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