„Krone“-Interview

Musiker Ihsahn: „Ich will immer für Musik brennen“

Musik
08.02.2024 09:00

Vegard Sverre Tveitan aka Ihsahn schrieb mit seiner Band schon als Teenager Black-Metal-Musikgeschichte. Seit knapp 20 Jahren ist er solo unterwegs, mit „Ihsahn“ veröffentlicht er dieser Tage ein Metal- und ein Orchester-Album mit denselben Songs - sein bis dato ambitioniertestes Projekt. Wir sprachen mit dem 48-Jährigen in Berlin über das Sprengen von Grenzen, das Hochstapler-Syndrom und warum man sich nie mit seiner eigenen Nostalgie messen kann.

(Bild: kmm)

Vor exakt 30 Jahren schrieb Ihsahn als Frontmann und Haupt-Songwriter seiner Band Emperor Black-Metal-Geschichte. Das Debütalbum „In The Nightside Eclipse“ verknüpfte die Kompromisslosigkeit der norwegischen Szene mit majestätischen Melodien und einem ungemeinen Einfallsreichtum, was Melodien und Arrangements anging. Drei weitere Kultalben später schickte er die Legenden als 25-Jähriger erstmals in die Frühpension, reanimierte sie aber mehrmals, um - seit 2016 konstant - immer wieder Festivals und einzelne Konzert zu spielen. 2006 erfüllte sich Ihsahn mit „The Adversary“ erstmals den Traum eines Soloalbums. Schnell war klar, dass dies nicht nur ein musikalischer Sprung Richtung orchestrale, epische und progressiver gespielte Songs werden würde, sondern dass sich daraus eine neue Karriere bilden könnte. Knapp 20 Jahre nach Gründung seines Soloprojekts ist Vegard Sverre Tveitan, so der bürgerliche Name Ihsahns, an der Spitze seines kreativen Schaffens angekommen.

Sein neues Werk hat er programmatisch „Ihsahn“ benannt und in gleich zwei Varianten gefertigt. Einmal als Metal-Album mit den gewohnt verqueren Gitarren und harschen Vocals, einmal allerdings auch als orchestrales Werk, dessen feingliedrige Kompositionskraft genau jene Facetten in den Vordergrund kehrt, die man im Künstler schon lange schlummern vermutete. Die Pandemie gab dem zweifachen Familienvater nicht nur Zeit, die Kinder stärker in die eigene Musik einzubauen, sondern sich vom gewohnten Zweijahres-Albumveröffentlichungs-Rhythmus zu lösen und intensiver am neuen Werk zu feilen. Mit „Ihsahn“ entpuppt sich die Black-Metal-Ikone nun endgültig als grenzensprengender Arrangeur, der mit mehr als einem Bein in die Welt von Klassik und Art-Pop tappt. Und Emperor? Spielen auch weiterhin live ihre alten, großen Klassiker.

„Krone“: Ihsahn, dein neues, selbstbetiteltes Werk gibt es als Metal-Album und als orchestrales Album. Stimmt es, dass der Grundstock dieses Werkes am Piano entstanden ist?
Ihsahn:
Ich wünschte, ich hätte die Fähigkeiten dazu. (lacht) Ich habe die Songs als sogenannten Shortscore geschrieben, das ist eine zusammengefasste Version der Musik. Ich habe die Bass-, Gesangs- und Melodieteile geschrieben und alles mit einem Piano-Sound zusammengefasst. Die Beatles haben schon immer gesagt, wenn ein Lied mit Stimme und Akustikgitarre funktioniert, dann kannst du es von dort weg aufblasen, soweit du magst. Das habe ich auch so gemacht. Bevor ich an der Musik arbeitete, wollte ich ein raues Metal-Album machen, das aber auch die Schönheit von Orchester-Musik widerspiegelt. Ich habe die Musik geschrieben und zuerst mit den Metal-Instrumenten eingespielt, danach mit den Orchester-Instrumenten. Ich hoffe, die Orchester-Version funktioniert als Unterstützung des Metalalbums, aber auch als eigenes Produkt für sich. Die Alben sollen verschiedene Emotionen erwecken und haben eine unterschiedliche Dynamik.

Es ist bekannt, dass du ein großer Fan von Film-Soundtracks bist und in den letzten Jahren verstärkt in diese Welt schnuppern wolltest. Gehst mit dem orchestralen Album einfach tiefer in diese Welt hinein?
Absolut. Ich habe mir immer alles selbst beigebracht, hatte nie eine musikalische Ausbildung. Als ich als Teenager mit meiner Band Emperor begann, spielten wir extremen Black Metal, hatten aber immer leicht orchestrale Klänge mit Keyboards im Sound integriert. Wir haben früher nicht nur Metal, sondern auch Soundtracks von John Carpenter, John Williams oder Jerry Goldsmith gehört - die Atmosphäre dieser Komponisten hat mir immer gut gefallen. Soundtracks erschaffen Emotionen und genau diese Schicht von Epik will ich in meiner Musik haben. Jetzt bin ich 30 Jahre erfahrener und hatte das Gefühl, ich sollte diese Schiene verstärken. Für mich war die Arbeit an diesen beiden Alben eine Möglichkeit, um persönlich und musikalisch zu wachsen. Es war das härteste, aber auch lohnenswerteste Projekt meines bisherigen Lebens. Einfach aus der Tatsache heraus, dass ich mich besser kennenlernte und meine Grenzen neu ausloten konnte. Ich weiß jetzt auch, was ich nicht kann oder delegieren muss. (lacht)

Dein Freund Sigurd Wongraven von Satyricon ist mit seiner Black-Metal-Band eine Opern-Kooperation eingegangen. War das mitunter eine Inspiration für deine neuen Werke?
Nein, das würde ich nicht sagen. Schon mein ganzes Leben lang habe ich versucht, extremen Metal mit Soundtrack-Einflüssen zu verknüpfen. Ich habe keine Synthesizer und keine Hybridklänge. Es gibt eine volle Metal-Scheibe und eine Orchester-Scheibe - da wurde nichts gestückelt oder nachgebessert. Eigentlich ging ich damit zurück zu meinen Wurzeln und habe die modernen technischen Möglichkeiten so dafür genützt, dass sie auch gut klingen und Sinn machen. (lacht)

Zwischen deinem letzten Studioalbum „Amr“ und den beiden neuen sind sechs Jahre vergangen. Dazwischen hast du einige, unterschiedlich klingende EPs veröffentlicht. Ist „Ihsahn“ nun eher an die EP-Serie angelegt, gilt es als Weiterführung der Studioalben oder kann man die neuen Alben sowieso als neues Kapitel bezeichnen?
Dieses Album war ein Pandemie-Projekt. Davor habe ich mich auf die zwei EPs konzentriert. Die erste EP „Telemark“ ging zurück zu meinen Anfängen. Es war extremer Metal auf Norwegisch, mit einem Saxofon dazu. Es spiegelte all das wider, was ich kannte und wusste. Die zweite EP „Pharos“ war all das, was ich nicht kannte und erst gar nicht wusste. (lacht) Es war eine ganz andere Herausforderung, aber ich brauchte eine Pause vom üblichen Albumzyklus. Die zwei EPs hatten ihr komplett eigenes Leben, sie passten nirgends rein. „Telemark“ fühlt sich für mich immer noch wie ein richtiges Album an, nur dass ich es viel kürzer gehalten habe. Seit ich 16 bin, habe ich alle zwei Jahre ein Album herausgebracht und aus diesem Zyklus wollte ich ausbrechen. Ich habe „Rashomon“ von Trivium-Sänger Matt Heafys Projekt Ibaraki produziert und spielte am letzten Trivium-Album die Keyboard-Spuren ein. Ich habe ein bisschen experimentiert, bin aus meinem üblichen Schema ausgebrochen und konnte mich so auf das bislang größte Projekt meines Lebens, das neue Album, fokussieren. Es war keine Pause, nur habe ich im Sinne von Ihsahn-Alben endlich einmal tief durchgeatmet.

Kamen dir während des Projekts auch Zweifel? Weil es so umfassend und opulent ausgefallen ist?
Das war eigentlich die ganze Zeit so. Ich habe es sehr oft bereut, aber so geht es mir eigentlich immer. Jedes Album beginnt bei mir mit einem weißen Blatt Papier. Diese Art von Hochstapler-Syndrom verspüren viele meiner Helden. Jeder glaubt, er ist überfordert und völlig nutzlos und man muss den Kopf immer so lange gegen die Wand schütteln, bis endlich etwas Brauchbares herauspurzelt. Songwriting ist niemals leicht - aber das ist der springende Punkt. Wäre es zu leicht, wären es die Songs nicht wert. Wenn du dir die frühen Emperor-Alben anhörst, wirst du merken, dass es da nicht um kommerziellen Erfolg ging. (lacht) Ich schrieb meine ersten Riffs mit zehn und hatte mit elf mein erstes Vier-Spur-Aufnahmegerät, auf dem ich Songstrukturen verband. Es ging mir nie darum, reich oder berühmt zu werden, sondern meine Gedanken in der Musik zu ordnen. Die Musik ist ein integraler Part meiner Identität und wurde zu einer Sucht, die bis heute anhält.

Heute genieße ich das Privileg, viele Hörer zu haben und weiß das sehr zu schätzen. Mir war immer klar, dass die oberste Prämisse sein müsste, mich selbst nicht zu langweilen. Ich lebe meinen Traum. Ein Traum, den viele aus unterschiedlichen Gründen nicht leben können. Es ist die eine Seite, dass man sich manchmal nutz- und hilflos fühlt. Dass man glaubt, man wäre das alles nicht wert. Aber all das darf dich nie bei dem Versuch stoppen, nach etwas Großem zu greifen und alles dafür zu tun. Ein mediokres Album darf nie das Ziel sein. „Okay“ ist zu wenig. Ich will immer das Beste machen, das mir möglich ist und gleichzeitig will ich jedes Mal so aufgeregt sein wie damals, als ich 16 war. Ich will dafür brennen und nicht abstumpfen.

Das Feuer am Brennen zu halten, ist schwierig. So wie man als Teenager und junger Erwachsener Musik hört, die auf ewig wichtig ist, ist auch das Musikmachen in den frühen Jahren am spannendsten …
Es wird nicht leichter, man muss sich deshalb immer selbst herausfordern. Es ist völlig egal, welchen Beruf du ausübst, alles kann zur Routine werden. Wenn du das vermeiden kannst, bist du schon auf einem guten Weg. Zu meiner größten Motivation gehört meine Angst, ehrliche Arbeit auszuüben. (lacht) Wer will schon irgendwo stumpf seine Zeit absitzen? Das animiert mich dazu, mich ständig ins kalte Wasser zu werfen.

Steigt dein Selbstvertrauen mit den Erfolgen, die du früher mit Emperor und jetzt seit Jahren als Solokünstler hast?
Als wir mit Emperor angefangen haben, haben uns alle gehasst. Die Magazine gaben uns üble Kritiken und niemand ließ ein gutes Haar an uns. 25 Jahre späte sehe ich unser Debütalbum „In The Nightside Eclipse“ in einem britischen Metal-Magazin gleichgestellt mit dem Debüt von Black Sabbath und dem Zusatz „wichtigstes Black-Metal-Album aller Zeiten“. Man weiß also nie, wie die öffentliche Meinung aussieht und ich habe sehr früh gelernt, mich von Kritik als auch Lob zu distanzieren. Wenn du dir das zu stark zu Herzen nimmst, dann wirst du völlig aus der Bahn geworfen. Ich habe immer an mich selbst geglaubt, das war wichtig. Natürlich ist es schön, wenn man bemerkt wird. Ich würde Komplimente gerne als Katalysator verwenden, aber ich mache in erster Linie alles für mich selbst und hoffe dann, dass diese Arbeit auch für andere interessant wird. Das ist ein fairer Ausgangspunkt für mich und das Publikum.

In Zeiten der sozialen Medien hat es sich so entwickelt, dass die Menschen die Person hinter der Kunst mehr schätzen als die Kunst selbst. Ich kann das zu einem gewissen Grad verstehen, wir machen mit Emperor auch Autogrammstunden und Meet & Greet. Viele Menschen verbinden mit unserer Musik mehr als ich je mit der Musik verband, mit der ich aufwuchs. Wenn die Leute mir aber nervös oder gar weinend begegnen, hat das nichts mit mir zu tun, sondern mit der Musik, an der ich beteiligt war und die einen so wichtigen Teil ihres Lebens einnimmt. Ich will auf keinen Fall ihre Erinnerungen zerstören. Sie sollen ihre Erfahrungen genießen, die sie mit unserer Musik haben. So komme ich selbst viel leichter mit der Situation klar. Ich hatte auch die Chance, mit vielen tollen Menschen zusammenzuarbeiten, die ich bewundere. Manche sind dann aber nicht so charmant, wie man hofft. (lacht)

Viele große Künstler offenbaren ihre verletzlichen, unsicheren Seiten auch, um zu zeigen, dass ihre eigene Auffassung von ihrer Kunst oft sehr stark divergiert von jener der Fans. Man unterliegt als Künstler doch unweigerlich einem unheimlichen Druck.
Ich habe mit Leuten wie Mikael Åkerfeldt von Opeth und Devin Townsend gesprochen. Im Gegensatz zu mir haben sie das Musikmachen gelernt und beherrschen es, aber sie fühlen sich genauso unsicher, leiden am Hochstapler-Syndrom und haben vor jedem neuen Projekt Sorgen, wie es ausfallen wird. Deine Kunst wird von Leuten auf ein Podest gehoben und es ist fast unmöglich, jemals an gewisse Marksteine von früher heranzukommen. Andere Menschen entscheiden, was ihnen deine Kunst bedeutet und du musst das unweigerlich zulassen. Wenn du dich davon nicht distanzierst, dann zerbrichst du an diesen Meinungen.

Ist das Vermächtnis deiner Musik manchmal eine Last, weil du genau weißt, wie viele Leute diese Musik lieben und sie auf ein Podest stellen?
Mir fiel es vor allem am Anfang nicht leicht. Es kann manchmal ärgerlich sein, wenn man von Leuten bewusst nur mit einem oder zwei Alben in Verbindung gebracht und alles andere ausgeblendet wird. Entgegen aller Erwartungen und Pläne wurde Emperor zu meiner Karriere. Wir hatten eine zehnjährige Erfolgssträhne. Bevor ich 26 war, habe ich die Band beendet und vor meinem 30er habe ich eine Wiedervereinigung angekündigt. (lacht) Es gibt so viele talentierte Musiker, die nicht einmal davon träumen können, was ich erleben durfte. Ich startete 2005 meine Solo-Karriere und Emperor läuft nebenbei weiter. Wir spielen tolle Festivals, wunderbare Shows und ich kann mit den Fans die großartigen Lieder von damals wieder und wieder genießen.

Gleichzeitig kann ich solo touren und Neues bringen - ich bin kreativ sehr frei und unglaublich dankbar. Es gibt nichts zu meckern. Ich habe zwei musikalische Leben, die erfolgreich verlaufen. Vielen anderen ist nicht einmal eines vergönnt. Ich werde immer nach einem neuen Emperor-Album gefragt und manchmal nervt und langweilt mich diese Frage. Reicht nicht das alles, was wir schon gemacht haben? In dieser Frage steckt aber auch ein Kompliment, weil die Menschen Emperor mit so tollen Erinnerungen und positiven Erfahrungen verbinden, dass sie schlichtweg mehr wollen. Das ist wunderschön, aber ich glaube nicht, dass ein neues Emperor-Album jemals die Sehnsucht der Leute erfüllen kann, die sie aufbauend auf den alten Alben zu dieser Band haben.

Du kannst weder die eigene Nostalgie, noch jener deiner Fans übertreffen ...
Nicht nur das. Nenne mir eine Band, die Jahrzehnte später in puncto Popularität an die Großtaten ihrer Vergangenheit herankam. Du wirst keine finden, denn du kannst die intensive Zeit, die man als Teenager mit Musik erlebt, nicht übertreffen. Ich muss mich als Künstler dort bewegen, wo ich mich am ehrlichsten und kreativsten fühle. Wo ich mich nicht selbst belüge - und das sind meine Ihsahn-Alben.

Ist das Touren und Festival-Spielen mit Emperor mehr wie ein Klassentreffen mit alten Freunden? Und sind die Touren mit Ihsahn dafür jene, die dich künstlerisch stärker erfüllen?
Das kommt gut hin. Wir spielen mit Emperor keine großen Touren, sondern pro Jahr acht bis 15 Konzerte, was wirklich nicht viel ist. Es benötigt nicht viel Zeit und auch nicht viel Aufwand, um diese Konzerte durchzuziehen. Über die Jahre wuchsen wir in der Band samt der Crew zu einer Runde richtig guter Freunde heran. Wir kommen unglaublich gut miteinander aus. Abseits des Showtages, wo wir natürlich eine klare Agenda haben, geht es um gutes Essen, wertvolle Gespräche und eine schöne Zeit, die man miteinander verbringt. Wir haben die Möglichkeit, mit der Band die Welt zu sehen, tolle Bühnen zu bespielen und Spaß zu haben. Je älter ich werde, umso bescheidener und dankbarer werde ich dafür.

Abseits der körperlich sicher gewaltigen Herausforderung - wäre es nicht auch mal interessant, an einem einzigen Abend eine Emperor- und eine Ihsahn-Show zu spielen?
Das klingt in der Theorie interessant, aber da geht es auch um eine gewisse Form des Respekts den Emperor-Jungs gegenüber. Es ist sehr wichtig, Emperor als sein eigenes Wesen zu akzeptieren und zu schätzen. Anfangs war es mehr eine kreative Kollaboration, aber je länger die Band existierte, umso mehr habe ich die Musik alleine geschrieben. Bis ich zum Schluss fast alles komplett alleine gemacht habe. Ich ging also schon damals unbewusst in die Ihsahn-Richtung. Ihsahn ist nur eine Fortsetzung der späten Emperor-Jahre. Kreativ ist meine Reise in der Musik seit den frühen Tagen eine zusammenhängende. Für meine Emperor-Bandkollegen Samoth und Trym teilen sich die Welten stärker. Es würde sich nicht gut anfühlen, meine beiden Welten über ihre Köpfe hinweg zu vermischen. Ich will Emperor keinesfalls bei Ihsahn einfließen lassen.

Deine beiden neuen „Ihsahn“-Alben sind eine natürliche Fortsetzung deines Weges und deiner Karriere. Natürlich sind Zusammenhänge deutlich hör- und erkennbar.
Dieses Album hätte ich niemals mit Emperor machen können, absolut unmöglich. Dennoch sind die Kernelemente zu hören. Verzerrte Gitarren und Schreigesang gehören seit meiner Kindheit zu meinem Standard-Repertoire. Es ist die Essenz aller Alben, die ich bislang gemacht habe, auch wenn ich sonst noch so weit in andere Richtung ging und experimentierte. Mit Keyboards habe ich schon als Kind vor Emperor in der Death-Metal-Band Embryonic experimentiert. All die Zutaten meines heutigen Sounds waren schon vor mehr als 30 Jahren da, aber jede Veröffentlichung ist eine weitere Annäherung an meine eigene, erweiterte Kreativität. Manche Künstler erschaffen Alben in kürzester Zeit, andere tüfteln Jahre daran. Manche Künstler veröffentlichen Alben, um einen Grund zu haben, wieder auf Tour zu gehen. Für mich ist eine Tour eine Fortsetzung davon, Alben zu machen. Das Album ist mir das Wichtigste, weil ich es liebe, im Studio zu sein. Die meisten Musiker, die ich kenne, denken lieber daran, wieder auf Tour zu gehen. (lacht)

Hast du die Bühne und die Live-Tauglichkeit von Songs im Kopf, wenn du sie schreibst, oder kannst du dich im kreativen Prozess völlig davon befreien?
Ich wünschte, ich könnte mir Live-Shows vergegenwärtigen, aber es gelingt mir nicht. Ich merke gerade bei den neuen Songs, dass ich alles live simultan spielen und singen muss und das bringt mich gerade ein bisschen zum Verzweifeln. (lacht) Manchmal denke ich mir, ich hätte doch lieber etwas mehr wie AC/DC komponieren sollen. In der schnellen Rückschau kann ich es noch immer kaum fassen, dass ich dieses Album zustande gebracht habe. Es ist so weit weg von meinen eigentlichen Fähigkeiten, dass ich wirklich unheimlich stolz darauf bin und mich schon sehr auf das nächste freue. Ich bin 48, der 50er kommt immer näher, aber ich habe noch viel Hunger und will immer weiter dazulernen. Dieses Gefühl will ich immer haben, wenn ich neue Musik kreiere.

Was war für die größte Herausforderung bei der Erstellung dieses Albums? Aus einem Gedanken zwei grundverschiedene Werke entstehen zu lassen?
Am Schwierigsten war es sicher, die orchestrale Version des Albums so zu gestalten, dass sie ganz für sich selbst stehen kann. Sie sollte dynamisch in der Metal-Produktion funktionieren, aber auch ein Eigenleben haben. Ich wollte, dass das Album wie ein echtes Orchester klingt. Das war hart. Wenn also etwas nicht perfekt passt, dann liegt das nicht am Equipment, für das ich viel Geld ausgegeben habe, sondern an meinen mangelnden Fähigkeiten in puncto Orchestrierung. (lacht) Ich habe mir genau überlegt, wo ich etwas platziere und welche Hintergründe den Hauptsound tragen. Ich habe sehr stark analog gearbeitet und es war ein theoretisch aufwändiges Puzzle. Ich musste alles so programmieren, dass es real und echt klingt und man keinesfalls zu viel Digitales heraushört. Es war ungemein komplex, aber ich hätte niemals mit einem echten Orchester arbeiten können. Es wäre sich finanziell nie ausgegangen und mir fehlt zudem das Wissen, um so eine Kooperation zu steuern. Egal, wohin der Sound galoppiert - es gibt immer humane Elemente. Das Album klingt nie zu technisch oder maschinell.

Als Perkussionist ist dein Sohn Angell Solberg mit an Bord. Familienintegration wird vor allem im Metal-Bereich immer populärer. Peter Tägtgren integriert seinen Sohn bei Pain und Hypocrisy, Max Cavalera den seinen, wenn es um Sepultura-Songs geht …
Das ist doch brillant - und außerdem billiger. (lacht) Meine beiden Kinder wollen in dieser Welt Karriere machen. Meine Tochter liebt Alternative-Pop und schreibt Songs, seit sie sehr jung ist. Mein Sohn ist 15 und hat schon mit fünf Schlagzeugstunden genommen. Ich habe bei Emperor mit den besten Schlagzeugern Norwegens gespielt und natürlich baut man da wohl unbewusst einen gewissen Druck auf den eigenen Junior auf. (lacht) Er hat aber großes Talent und den Sound mitgeprägt. Meine Tochter hat eine wunderbare Stimme. Sie hat schon oft Horror-Klänge als Backgroundstimme für meine Lieder eingesetzt. Ihsahn ist ein schönes Familienprojekt.

Die Familie in deinen Job zu integrieren, wird dir das mit den Jahren zunehmend wichtiger?
Meine ganze Familie macht Musik. Schwager, Frau, Kinder etc. Es gibt überall Instrumente und Studios und es ist ganz natürlich, dass Musik gemacht wird. Ich finde es toll, dass sie selbst so tief in diese Welt eintauchen. Sie lernen sehr viel vom Geschäft, machen sich Kontakte und kriegen immer mehr Gefühl für die wichtigen Dinge. Der einzige Nachteil meiner Karriere früher war, dass ich all diese Erlebnisse nicht mit Menschen teilen konnte, die mir so extrem nahestehen - jetzt geht das, weil ich selbst eine Familie habe.

Wenn Künstler ihre Werke nach sich selbst benennen, ist das meist ein untrügliches Zeichen dafür, dass es das persönlichste und intensivste in ihrem Leben ist. Kannst du das für „Ihsahn“ genau so unterschreiben?
Über sowas denke ich gar nicht so viel nach. Ein Album als das persönlichste zu bezeichnen, ist für mich irgendwie ein leeres Statement. Heißt das, die anderen waren es nicht und sind weniger wert? Ich denke nicht in diesen Parametern. Es gibt für das Metal- und das Orchester-Album verschiedene Videos, verschiedene Handlungsstränge. Alles ist ziemlich komplex, auch wenn es anfangs nicht so wirkt. Es war sehr schwierig, eine verbindende Linie zu finden, auch wenn die Songs per se dieselben sind. Ich weiß gut, wie man Black Metal macht. Ich habe auch viel mit Orchester-Parts gearbeitet, sodass ich ungefähr weiß, wo ich bei neuer Musik ansetze. Der Albumtitel entstand deshalb, weil ich noch keines „Ihsahn“ benannt habe. Weitere Gedanken steckten aber nicht dahinter.

Wie sieht es denn mit einer Tour und Live-Shows zum Album aus?
Es gibt immer Konflikte, auch weil es schon Emperor-Termine gibt. Es ist alles nicht so einfach, aber wir sind noch am Planen und werden Lösungen finden. Ich hoffe, ich kann so viel wie möglich live spielen. Die erste Show findet Anfang März im Londoner Electric Ballroom statt. Von dort weg fahren wir dann weiter, aber es gibt keine klassische Bustour durch Europa. Wir müssen heuer ein bisschen anders planen. Es wird mehr Single-Shows geben, weil das für mich und meine Musiker besser ist. Für die Sommer-Festivals 2024 waren wir mit dem Album ein bisschen zu spät dran, aber vielleicht gibt es dann mehr im Herbst. Schauen wir mal. Es ist jetzt so, wie es ist.

Es ist ein lustiger Zufall, dass das Emperor-Debütalbum „In The Nightside Eclipse“ vor 30 Jahren in exakt derselben Woche auf den Markt kam wie jetzt „Ihsahn“.
Oh, das war mir nicht bewusst. (lacht) Das sind auch schon wieder 30 Jahre, unglaublich. Wir haben 2014 schon 20-Jahre-Jubiläumsshows gespielt und die fühlen sich schon nicht lange her an. Zum Glück altern wir nicht und bleiben immer gleich frisch. (lacht)

Wenn du aus der heutigen Position zurückdenkst an 1994, ist das schon heftig. Aber verbildliche dir mal den Sprung von 1994 zu 1964 …
Davon gibt es unzählige Memes im Internet, das ist wirklich heftig. Älter zu werden ist schlimm, aber die Alternative dazu wäre schlimmer - eben nicht älter zu werden. (lacht) Aber andererseits - sieh dir Musiker wie Rob Halford oder Bruce Dickinson an. Unglaublich, wie gut sie noch immer sind. Halford ist weit über 70. Als ich ihn das erste Mal persönlich traf, war er jünger als ich es jetzt bin. (lacht) Denken wir lieber nicht zu viel darüber nach, sondern arbeiten einfach leidenschaftlich weiter.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.



Kostenlose Spiele