Debüt „Letter To Self“

Sprints: Einmal schnell gegen den Rest der Welt

Musik
09.01.2024 09:00

Probleme mit der Selbstakzeptanz, psychische Unzulänglichkeiten, Missverständnisse, Katholizismus - das Leben in Irland kann für eine bisexuelle junge Frau hart sein. Mit ihrer Band Sprints findet Karla Chubb ein Post-Punk-Ventil, durch das sie alle Sorgen, Ängste und Wut loswird. Das Debütalbum „Letter To Self“ ist ein intensives, aber ungemein lohnendes Werk über das Kappen von Fesseln.

(Bild: kmm)

Ein ungeschriebenes Gesetz des Musikbusiness besagt, man solle zwischen Anfang Dezember und Ende Jänner möglichst kein neues Studioalbum veröffentlichen. Die Menschen wären mit Weihnachten und Winterdepressionen eingedeckt und hätten einiges anderes zu tun als sich durch neue Musik zu wühlen. Das irische Kollektiv Sprints denkt erst gar nicht daran, sich von derartig verbalisierten Hürden aufhalten zu lassen und geht für sein Debüt direkt in die Offensive. „Letter To Self“ erscheint noch vor Ablauf der letzten Feiertage und ist gerade deshalb ein Statement, das Wesen und Sein der Band perfekt widerspiegelt. Die Sprints, die sich bereits als Live-Support-Band von Suede oder Yard Act gestählt haben und ihre Hörner vor wenigen Monaten beim Hamburger Reeperbahn Festival abstießen, sind im besten Falle unangepasst, ohne es an Manieren fehlen zu lassen.

Gegen das Verformen
Was heißt das nun schon wieder? Nun, während man auf „Letter To Self“ in bewusster Art und Weise Destruktivität und Dissonanz zelebriert, sind Interviews und Auftritte des Quartetts stets von einer angenehmen Freundlichkeit durchzogen. Man darf und soll sich bei den Sprints wohlfühlen, denn der gemeinsame Feind von Band und Fan ist das Leben an sich. So beruft sich der Albumtitel natürlich auf das populäre und auch wichtige Self-Empowerment. Darauf, sich in einer ständig enervierten und empörten Gesellschaft nicht unterkriegen und schon gar nicht verformen zu lassen. Alles Dinge, die Frontfrau, Gitarristin und Haupt-Songschreiberin Karla Chubb seit eigentlich schon immer erlebt und partiell sehr ungesund umgesetzt hat.

Dazu gehörten etwa toxische Fluchtversuche in übermäßigen Alkoholkonsum oder soziale Unverträglichkeiten, die zum Selbsthass führten und schlussendlich auch die Laune gegenüber Familie und enger Freunde verdunkelte. Erst in der Musik fand Chubb ein Ventil, um sich all den Frust und Unzulänglichkeitsgefühle von der Seele zu schreiben. „Mit jedem Thema und jedem Song hat es sich so angefühlt, als würde eine kratzende Schicht von meinem Körper fallen“, gab sie in einem Interview bekannt. Als sie mit ihren alten Freunden und Klassenkollegen Colm O’Reilly (Gitarre) und Jack Callan (Schlagzeug) die Sprints gründet, mäandert man noch im unschuldigen Indie-Folk. Für die stilistische Drehung waren zwei wichtige Ereignisse verantwortlich. Einerseits die Integration von Bassist Sam McCann, andererseits ein Besuch bei den kompromisslosen Savages 2016 beim „Electric Picnic“, der zu einer Erleuchtung führte.

Voll in die Offensive
Die Sprints entwickelten sich vom zahmen Indie-Act zu Dublins nächster Post-Punk-Sensation. Dort, von wo die Fontaines D.C. gerade dabei sind, eine Weltkarriere zu starten und wo sich die hierzulande recht unbekannten Gilla Band mit verschrobenen Sounds und brutal-ehrlichen Texten in den Mainstream-Charts festsetzten. Die Sprints, die mit den beiden EPs „Manifesto“ (2021) und „A Modern Job“ (2022) schon für erste Begeisterung sorgten, schrieben während der Pandemie endgültig so, wie es für sie richtig war. Knallhart, kompromisslos, ungeschützt. Für Chubb war die Arbeit an „Letter To Self“ mehr als eine Überwindungsstrategie. Es war die Initialzündung, um aus vermeintlichen Schwächen Stärken zu machen, um sich von Mobbern und Unterdrückern loszueisen und mit zwei waidwund wedelnden Mittelfingern als gestische Unterstützung mit dem alten Leben abzuschließen.

„Letter To Self“ ist beim ersten Durchlauf selbst für erprobte Fans von Fontaines D.C., Idles, Shame und Co. ein schwer verdaulicher Brocken. Der Opener „Ticking“ startet mit einem einfachen Drum-Rhythmus, irgendwann gesellt sich ein an Refuseds „New Noise“ gemahnendes Gitarren-Lick dazu und Chubb steigt mit „Maybe I should do it better, maybe I should try it harder“ ein und zählt dann ein paar Worte auf Deutsch auf, die von ihrer sechsjährigen Vergangenheit als Kleinkind in Düsseldorf zeugen. Musikalisch wütet „Letter To Self“ zwischen Sex Pistols und Idles, zwischen Savages und King Gizzard And The Lizard Wizard, zwischen 80er-New-Wave-Chic und Grunge-Ausläufen. Inhaltlich geht Chubb in die Offensive und wettert als offen bisexuelle Person gegen die altertümliche Kirche („Cathedral“), prangert den Alltagssexismus in der Musikwelt an („Adore Adore Adore“, „Up And Corner“), spiegelt das unzureichende Allgemeingefühl ihrer Generation wider („A Wreck (A Mess))“ oder verarbeitet in „Heavy“ die vielen Dämonen, die ihr jahrelang im Weg standen.

Ergebnis der Ambivalenz
„Letter To Self“ ist wie ein trojanisches Pferd, das sich mit einer gewissen Nettigkeit ins Leben einnistet und dann auf allen Seiten die tödlichen Krallen ausfährt. Chubb verzichtet, im Gegensatz zu einem Gros ihrer Dubliner Kolleginnen und Kollegen, auf gesellschafts- oder politikkritische Ansprachen und verarbeitet auf dem Sprints-Debüt ausschließlich innere Gefühle und Dämonen. Von der Ambivalenz ihrer Heimat ist sie aber natürlich mehr als inspiriert. „Einerseits steigen die Arbeitslosen- und Obdachlosenzahlen und mit der Wirtschaft geht es steil bergab. Andererseits sind wir dieses nette, gastfreundliche, pittoreske Land im Westen des Kontinents.“ Es gibt genug zu verarbeiten. Für Chubb, für die Band, aber auch für die Hörer dieses explosiven Debüts, das die Latte schon hochlegt, bevor wir in diesem Jahr überhaupt erst angekommen sind. Ein Österreich-Livetermin ist leider noch nicht in Sicht, am 20. Februar lässt sich dieser punkige Garage-Noise aber in der Münchner Kranhalle erleben.

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