Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Befürchtungen von Armeeoberbefehlshaber Walerij Saluschnyj zu einem möglichen festgefahrenen Krieg mit Russland zurückgewiesen. „Heute sind die Leute müde, alle werden müde, und es gibt verschiedene Meinungen. Das ist klar, doch gibt es keine Pattsituation“, so Selenskyj am Samstag in Kiew.
General Saluschnyj hatte in der britischen Zeitschrift „The Economist“ erklärt, dass die Ukraine in einem Stellungskrieg gefangen sei. Dem widersprach nun der ukrainische Präsident.
F-16 sollen Wende bringen
Wegen der russischen Luftüberlegenheit seien die Ukrainer zurückhaltender beim Einsatz ihrer Soldaten, sagte Selenskyj. Die im kommenden Jahr erwarteten F-16-Kampfjets und eine stärkere Flugabwehr würden die Situation zu ukrainischen Gunsten ändern, meinte das Staatsoberhaupt bei einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Der Vizechef von Selenskyjs Präsidentenbüro, Ihor Schowkwa, kritisierte die offene Kommentierung des Frontgeschehens durch Saluschnyj. „Ich würde anstelle der Militärs weniger für die Presse, die Öffentlichkeit kommentieren, was an der Front geschieht, geschehen kann, und welche Varianten es gibt“, sagte er im ukrainischen Fernsehen. Dies helfe nur dem Kriegsgegner Russland. Nach dem Erscheinen des Beitrags und eines Interviews mit Saluschnyj sei er zudem vom Kanzleichef eines westlichen Staates gefragt worden, ob die Ukraine militärisch tatsächlich in einer „Sackgasse“ stecke.
Fehler bei Offensivplanung eingeräumt
Die Ukraine wehrt sich seit mehr als 20 Monaten mit massiver westlicher Hilfe gegen die russische Invasion. Die große Gegenoffensive zur Befreiung ihrer von Russland besetzten Gebiete ist weit hinter den eigenen Zielen zurückgeblieben. Saluschnyj hatte in seinem Artikel Fehler bei der Planung eingeräumt. Der Westen müsse mit neuen Waffenlieferungen die Ukraine befähigen, diese Situation zu ändern. Zudem mahnte er eine stärkere Mobilmachung der Ukrainer an, um mit dem russischen Gegner bei den Reserven gleichzuziehen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow erbat am Samstag bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen Lloyd Austin mehr Munition für die Verteidiger des Landes. Zugleich dankte Umjerow den USA für die bisher geleistete Militärhilfe.
Von der Leyen: „90 Prozent des Weges hinter sich“
Abseits der schwierigen Lage an der Front hatte EU-Kommissionschefin von der Leyen bei ihrem sechsten Besuch in Kiew seit Kriegsbeginn gute Nachrichten im Gepäck. Sie erklärte, dass die Ukraine die Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen mit der EU fast vollständig erfüllt. „Sie haben bereits deutlich über 90 Prozent des Wegs hinter sich“, sagte von der Leyen in einer Rede vor dem ukrainischen Parlament Rada. Es seien bereits viel größere Fortschritte gemacht worden, als von einem Land im Krieg erwartet werden könnten. Zudem kündigte sie neue Strafmaßnahmen gegen Russland an.
„Sie führen einen existenziellen Krieg, und gleichzeitig sind Sie dabei, Ihr Land tiefgreifend zu reformieren“, sagte von der Leyen auch nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Ukraine habe viele Etappenziele erreicht. Von der Leyen nannte die Reform des Justizsystems, die Eindämmung des Einflusses der Oligarchen und die Bekämpfung der Geldwäsche. „Dies ist das Ergebnis harter Arbeit, und ich weiß, dass Sie dabei sind, die noch ausstehenden Reformen zu vollenden.“
Bald Entscheidung über Verhandlungen
Kommenden Mittwoch legt die Kommissionspräsidentin in Brüssel den Bericht zu den Reformfortschritten der Ukraine vor. Auf dieser Grundlage wollen dann im Dezember die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union entscheiden, ob die Beitrittsverhandlungen mit der Regierung in Kiew gestartet werden sollen. Die EU hatte die Ukraine schon im vergangenen Jahr - wenige Monate nach der russischen Invasion - zum Beitrittskandidaten gemacht.
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