Experte analysiert

„Innsbruck ist vor allem durch Chaos aufgefallen“

Tirol
30.10.2023 11:00

Im April 2024 wird in der Tiroler Landeshauptstadt gewählt. Die „Tiroler Krone“ wollte vom Politikexperten Peter Plaikner wissen, wie er die Chancen von Bürgermeister Georg Willi (Grüne) und seinen Konkurrenten einschätzt. Außerdem haben wir gefragt, wie sich Willi in dieser Legislaturperiode geschlagen hat.

„Krone“: Alles in allem: Wie hat sich Bürgermeister Georg Willi in dieser Legislaturperiode geschlagen?
Peter Plaikner:
Den Umständen entsprechend. Der Innsbrucker Gemeinderat hat elf Listen und zwei Freie - das wirkt nach Unregierbarkeit. Wir haben eine Kombination aus einem grünen Bürgermeister und einem blauen ersten Vizebürgermeister - da ist die Polarisierung vorgegeben. Und der zweite Vize war nicht einmal an der Spitze seiner eigenen Partei (ÖVP) - und gründete jetzt eine eigene Fraktion. Es ist extremer als in vergleichbaren Städten in Österreich. So zerrissen wie in Innsbruck ist es sonst nirgends - und das, obwohl Graz eine KPÖ-Bürgermeisterin hat. Angesichts dieser Umstände muss man Gnade vor Recht walten lassen. Da wundert es eher, dass nichts Gröberes passiert und die Legislaturperiode zu Ende gegangen ist. Doch die etablierten Parteien stecken im Debakel: Die Grünen haben sich gespalten, bei der FPÖ ist auch noch nicht ganz klar, wer das Sagen hat - Rudi Federspiel oder Markus Lassenberger? Die ÖVP ist seit 1994 komplett gespalten sowie nun auch die SPÖ.

Die Regierungskoalition wurde aufgekündigt, unter den Vizes gab es mehrere Rochaden. Wie sind diese Geschehnisse einzuordnen?
BM Willi hat dadurch sehr schnell einen Teil dessen verspielt, warum er gewählt wurde. Christine Oppitz-Plörer hat man - um es vorsichtig auszudrücken - eine konsequente Machtausübung vorgeworfen. Willi repräsentierte eine Sehnsucht nach mehr Harmonie. Es war von ihm bekannt, dass er innerhalb der Grünen auch in dieser Rolle war. Dieses Image ist durch die Abwahl von Oppitz-Plörer und ein Jahr später von Uschi Schwarzl aber zerstört worden. In der Retrospektive war es sowohl ein Fehler, Oppitz-Plörer als auch Schwarzl abzusägen. Für die Außenwirkung war auch die reine Männerregierung fatal - und das gerade in Innsbruck, wo mit Hilde Zach als erste Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt und ihrer Nachfolgerin Christine Oppitz-Plörer für Frauen in der Politik Pionierarbeit geleistet wurde. Willi ist hier keine Integrationsrolle gelungen - weder in der Stadt noch in seiner eigenen Partei. Auch, dass er gerade einmal von 36 Leuten zum Spitzenkandidaten gewählt wurde, spricht Bände.

Willi klagte oft über die Kostenexplosion der Großprojekte seiner Vorgängerin, wie die Patscherkofelbahn. Wie steht es um Willis eigene Großprojekte? Einige, wie der Boznerplatz, scheiterten.
Die Periode ist geprägt von vielen Projekten, aber wenig Umsetzungen. Da mag die Kritik an der Kostenexplosion berechtigt gewesen sein - aber es ist wenigstens etwas geschehen. Auch hier zeigt sich die Unregierbarkeit: Willis Polit-Partner haben blockiert und jeden Erfolg verhindert.

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Für die ursprünglichen Stadtbewohner wird es immer schwieriger, sich ein Leben in der Stadt noch leisten zu können. Und da hat eigentlich keine Fraktion wirklich etwas weiter gebracht.

Peter Plaikner

Wie blickt der Rest von Österreich auf Innsbruck?
Innsbruck ist durch Chaos aufgefallen. Und trotzdem gilt die Stadt als extrem lebenswert, aufstrebend, aber enorm teuer. Für die ursprünglichen Stadtbewohner wird es immer schwieriger, sich ein Leben in der Stadt noch leisten zu können. Und da hat eigentlich keine Fraktion wirklich etwas weiter gebracht. Das Wohnproblem ist in keiner Weise gelöst. Am ehesten hat hier noch GR Benjamin Plach (SPÖ) Initiativen eingebracht, aber wirkliche Lösungen sind in weiter Ferne. Das sind die Probleme der Stadt. Und die Grünen sind eben nicht unbedingt jene Partei mit dem großen Sozialbewusstsein, für das sie gelten, sondern jene mit der bestverdienenden Wählerschaft - zumindest bis zur Entstehung der Neos.

Wie schätzen Sie Willis Chancen ein, im kommenden Frühjahr die Bürgermeisterwahl für sich zu entscheiden?
Äußerst schlecht, weil mit Florian Tursky ein gemeinsamer Kandidat für ÖVP, FI und Seniorenbund antritt. Doch das hat sich durch die Ankündigung einer eigenen Liste von Johannes Anzengruber schon wieder verändert. Kaum geeint, wird die ÖVP erneut gespalten. Willi hat in der Stadt einen höheren Bekanntheitsgrad. Doch ich würde nicht unterschätzen, wie strategisch wichtig ein gestellter Bürgermeister in der fünftgrößten Stadt Österreichs für die Volkspartei ist - deshalb wurde Tursky auch so positioniert. Er wird versuchen, über die Wiener Medien sehr präsent zu sein, wo er sich überraschend gut schlägt, aber auch präsenter in Innsbruck zu sein; im Grunde war das seit 1994 der erste Versuch, wieder geeint aufzutreten. Andererseits hätte die SPÖ mit ihrer Kandidatin Elisabeth Mayr durchaus auch Potenzial.

Wie sind ihre Chancen?
Wenn sie die Tatsache, dass sie die einzige Frau im Rennen um den Bürgermeistersessel ist, geschickt spielt, könnte sie deutlich besser abschneiden, als man derzeit annehmen könnte. Aber sie müsste langsam mit dem Wahlkampf beginnen - spätestens mit Jahresbeginn.

Welche Auswirkungen hat Johannes Anzengrubers Abspaltung auf die Volkspartei?
Anzengruber, der dafür gesorgt hat, dass die beschworene Einigkeit der ÖVP wiederum nicht vorhanden ist, wird wahrscheinlich weniger Stimmen bekommen als „das Neue Innsbruck“. Zwischen den Parteien zeichnet sich ein Dreikampf von Grünen, ÖVP und FI - also „das Neue Innsbruck“ - und FPÖ um Rang 1 ab. Das wird vor allem durch das vorerst kaum abschätzbare Potenzial von Tursky und Lassenberger als Spitzenkandidaten entschieden, wogegen den Grünen trotz allem der Bürgermeisterbonus von Willi hilft.

Willi wird oft vorgeworfen, zu wenig mit anderen Parteien zu kommunizieren.
Es ist grundsätzlich so, dass die Kommunikation von politischen Gegnern untereinander viel besser ist, als in der Öffentlichkeit dargestellt. Doch wie intakt die Gesprächsbasis hinter den Kulissen tatsächlich ist, wissen nur die Leute hinter den Kulissen. Nicht gelungen ist es jedenfalls, aus diesen Gesprächen einen harmonischen Außenauftritt zu generieren. Dadurch fällt er als Bürgermeister in eine ähnliche Rolle, die auch schon seiner Vorgängerin Oppitz-Plörer vorgeworfen wurde - nämlich über alles drüber zu fahren. Er ist vielleicht nicht über alles drüber gefahren, aber letztlich war es schon „Georg allein zu Haus“.

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Die Außenwirkung ist katastrophal.

Peter Plaikner

Wie ist die Causa Sonderverträge Personalamtsleiterin retrospektiv zu bewerten?
Die Außenwirkung ist katastrophal. Im Grunde genommen ist es so: „Die Grünen sind gleich wie alle anderen - Stichwort Postenschacher.“ Willi hat unterschätzt, was es heißt, Bürgermeister in einem Magistrat zu sein, das Jahrzehnte nur bürgerliche Bürgermeister hatte. Von außen wird das so gewertet, als ob die Grünen auch noch ihre Leute unterbringen wollten. Ob gerechtfertigt oder nicht.

Hat Willi den Grünen einen Bärendienst erwiesen?
Aus meiner Sicht nicht. Es ist zum ersten Mal in einer der sechs Großstädte gelungen, auf der kommunalen Ebene Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das war für die Grünen wichtig - auch wenn das nicht besonders erfolgreich war, bleibt dieser Verdienst.

Was halten Sie von der 4-Prozent-Hürde für Innsbruck?
Es ist zweischneidig: Einerseits wird der Gemeinderat regierbarer, andererseits leben gerade Städte davon, dass man möglichst niedrige Schwellen hat, um in der Politik mitgestalten zu können.

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