Für ihr sechstes Studioalbum „God Games“ hat sich das britisch-amerikanische Power-Duo The Kills nicht nur sieben Jahre Zeit gelassen, sondern auch an so einigen Schrauben gedreht. Weniger Gitarre, mehr Keyboard, mehr Mut zum Ausbruch - aber trotzdem klingt man so trocken und cool wie immer. Heraus kam ein spannender Ritt von der Ost- bis zur Westküste.
In Zeiten der perfekten Hochglanzproduktionen und der zunehmenden Durchsetzung von künstlicher Intelligenz wirkt ein krachendes Duo mit handgespielten Instrumenten fast schon anachronistisch. Dabei waren Alison Mosshart und Jamie Hince aka The Kills vor nicht einmal 20 Jahren der Inbegriff von Coolness. Gemeinsam mit Jack White oder den Strokes trieb man die Gitarrenmusik als bislang letzte Generation noch einmal in lichte Sphären. Das reichte bei Singles wie „Fried My Little Brains“, „The Good Ones“ oder „Tape Song“ sogar für mehr als respektable Chartplatzierungen. Wie keine zweite Band schaffte es die britisch-amerikanische Freundschaft, die Vorzüge ihrer beiden Märkte in den Vordergrund zu stellen. Hier die schnoddrig-sexy Rock’n’Roll-Gitarre von Hince aus England, dort Mossharts Blues-geladene, aber stets mit amerikanischem Schlag durchzogene Stimme, die irgendwo zwischen Bikerbar und Theater firmiert.
Pandemie-Verzögerung
Nach mehr als 20 gemeinsamen Jahren mit Welttourneen und memorablen Erinnerungen kommt das Duo mit dem sechsten Studioalbum „God Games“ endlich wieder wirkungsvoll in den Vordergrund. Das durchaus erfolgreiche, aber musikalisch nicht mehr ganz so spannende Vorgängerwerk „Ash & Ice“ hat tatsächlich schon sieben Jahre auf dem Buckel. Die Verspätung liegt tatsächlich vor allem an der Corona-Pandemie, deren Nachwirkungen, wie man hier ganz deutlich sieht, das Kulturbusiness manchmal noch immer in seinen Kraken-artigen Armen gefangen hält. Die meisten der neuen Songs standen schon 2020 fest, wurden aber aus taktisch klugen Gründen dann zurückgehalten und doch immer wieder neu überarbeitet. Während der Fadesse beim erzwungenen Daheimbleiben kamen die beiden Kills aber auch krude Ideen.
Man könne ja wieder Produzent Paul Epworth kontaktieren, der 2002 der erste Soundmann der Band war und die weitere Karriere entscheidend mitprägte. Man könne aber auch der Gitarre ein bisschen Wind aus den Segeln nehmen und sich in andere Richtungen öffnen, um das Songwriting auf neue Beine zu stellen. Was sich im ersten Moment nach Bauchfleck mit Anlauf anhört, ist überraschend gut gelungen. Mosshart, die es seit ihrem Erstkontakt mit Instrumenten gewohnt war, Songs zuerst auf einer Akustikgitarre zu komponieren, wurde von Hince dazu überredet, ein einfaches Akai MIDI-Keyboard um nur 100 Dollar zu kaufen. Die Künstlerin ließ sich nur sehr mühsam breitschlagen, verfiel dem Instrument aber zusehends und kreierte den Großteil der neuen Songs abseits der gewohnten Sechssaitigen. „Ich bin mir ziemlich sicher, jeder musikalisch interessierte Teenager kennt das Teil“, lachte sie in einem Gespräch mit der „Sun“, „aber für mich war es eine ganz neue Erfahrung.“
Vom Leben geprägt
Dem Material der Kills dient diese neue Erfahrung als eine Art Frischzellenkur, denn schlagartig hat sich die Grundstrukturierung verändert und das Duo sich wieder neu gefunden. Das brachte die Fans vor allem bei der Veröffentlichung der Doppel-Single „New York/LA Hex“ zum Staunen. Das Westküstenfeeling auf „LA Hex“ resultiert aus einer Gemengelage, die Hince, der in L.A. die Pandemie verbrachte, einmal an einer Straßenkreuzung bemerkte. Beschallt von unterschiedlichsten Musikstilen, die aus den vorbeifahrenden Autos durch seine Gehörgänge flossen, beschloss er prompt, den Kills einen eklektischen Song auf den Leib zu schreiben. So entstand dieses träumerisch-elektronische Experiment, das in seiner Wärme und Verspieltheit tatsächlich ein bisschen an die flirrende Schwüle von Los Angeles erinnert. Das wesentlich basischere und hitverdächtige „103“ hingegen war eine Mosshart-Abrechnung mit der Hitze in der Kulturmetropole. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich über 25 Grad Celsius unrund werde“, gab sie in einem Gespräch kund, „in meiner Heimat Nashville fühle ich mich jedenfalls wohler.“
Öfter greifen die Kills auf „God Games“ auf meteorologische Metaphern zurück, beschreiben damit aber vorwiegend die Gefühls- und Emotionswelten des Menschen in der Gegenwart. Nicht nur die glimpflich überstandene Pandemie hat Hince und Mosshart nachhaltig beschäftigt. Es ist der allgemein schwere und zutiefst unsichere Zustand der Welt, der ein hoffnungsvolles und möglichst ungezwungenes Texten für das Album erschwerte. Eine gewisse Form der Leichtigkeit bewahren sich die beiden mitunter auch durch ihre lockere Herangehensweise ans Leben an sich. Und es steckt viel Sehnsucht drin. Etwa im rockigen Opener „New York“, einer Ode an Mossharts amerikanische Lieblingsstadt. „Jamie und ich wohnten oft im Hotel Chelsea, haben uns dort auch kennengelernt und es ist für Kreative einfach der perfekte Platz. Jedes Mal, wenn ich in New York bin, habe ich automatisch neue Ideen.“
Ein passendes Amalgam
Der fast schon biblische Titel „God Games“ kam Hince während der Pandemie, als er in einer fast schon ausweglos-deprimierenden Phase steckte. Er erinnert an Spiele wie „Die Sims“, wo man selbst Gott spielt und eine ganze Welt nach seinen Wünschen erschafft. Derart hehre Ziele haben Hince und Mosshart mit ihrem Werk nicht, doch der coole Klang des Titels verbunden mit den Unsicherheiten der Welt und der gefühlten Ausweglosigkeit, die einem manchmal überkommt, bot ein Amalgam aus zusammenhängenden Puzzlestücken, die man dann musikalisch verbinden konnte. Das abschließende „Better Days“ ist Wunsch und Aufforderung zugleich. Die Hoffnung, dass die Dinge irgendwann schon wieder gut werden. Mit „God Games“ wagen die Kills nach langer Pause neue Schritte, die dem Duo aber nichts an ihrer angeborenen Coolness nimmt. Andere Zeiten erfordern andere Maßnahmen.
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