Live in der Stadthalle

Blink-182: Zwischen Pubertät und Altersproblemen

Wien
21.09.2023 01:22

Rund 14.500 Fans waren in der ausverkauften Stadthalle beim ersten Blink-182-Gastspiel seit Äonen. Die kalifornischen Pop-Punk-Legenden setzten auf viel Feuer, große Hits und kellertiefere Pubertätswitze. Ein perfekter Abend, um sich die unbeschwerten Zeiten von früher zu vergegenwärtigen.

Selten waren die Gegensätze an einem Ort innerhalb so kurzer Zeit derart groß, wie dieser Tage in der Wiener Stadthalle. Noch am Dienstag paralysierte die isländische Avantgarde-Elfe Björk mit einer multimedialen Psychedelic-Tour in die verwinkelten Untiefen zuckerlbunter LSD-Fantasien, während tags darauf eine schnörkellose Pop-Punk-Nostalgieparty für kollektive Befreiung aus dem ächzenden Alltag sorgte. Das immer noch fidele Trio Blink-182 mit Tom DeLonge, Mark Hoppus und Travis Barker, das steilgerade auf den 50er zugeht oder gar schon drüber ist, hat sich unlängst nach einem knappen Jahrzehnt der internen Fehden wieder zusammengefunden und zelebriert diesen Triumphzug gerade mit einer rundum ausverkauften Europa-Tour. Auch in der Wiener Stadthalle quetschten sich 14.500 vornehmlich in ihren späten 30ern und 40ern stehende Fan-Leiber dicht aneinander, um sich noch einmal in eine Zeit zurückzubeamen, als alles so schwerelos wirkte wie Nenas 99 Luftballons.

(Bild: Andreas Graf)

Kampf gegen die Anstrengung
Doch man weiß prinzipiell aus Erfahrung: Die Nostalgie kann ein Hund sein und falsche Verklärung macht auch nicht glücklich. Die drei Kalifornier legen nach dem pathetischen Strauss-Intro „Also sprach Zarathustra“ gleich richtig los und vermitteln zumindest nach außen Einigkeit und Freude. Pyrosalven jagen an die Hallendecke, Feuerwerke pulvern aus allen Ecken und Blickfang Barker beweist mit seinem Shirt-Aufdruck „Chicago Penis Patrol“ sehr früh, dass man die Reife der Lebensjahre bewusst nicht auf die Bühne trägt. Berufsjugendlich sein zu müssen, kann anstrengend werden. The Offspring ging schon vor Jahren die Luft aus, seitdem flattert der Bandballon zerknittert von Festival zu Festival. Die Kanadier von Sum 41 haben in ihren 40ern gemerkt, dass die Probleme mit erster Liebe, Schulbank und vorzeitiger Ejakulation jetzt auch nicht mehr so authentisch sind und streichen nächstes Jahr die Segel.

(Bild: Andreas Graf)

Bei Blink-182 geht es in die diametral andere Richtung. Während des Gigs kündigen sie vollmundig ein in Bälde erscheinendes neues Studioalbum an und präsentieren auch den bislang einzigen neuen Song seit dem Dreier-Comeback, „Edging“, der für verhaltenen Jubel sorgt. Neues hat in einer Nostalgieshow genauso wenig Platz wie das natürliche Altern. Die Penis-Witze zieht das Gespann fast schon krampfhaft durch den Abend, manchmal nehmen sie auch den Drive aus der Show. Wie so oft im Leben ist der wichtigste Punkt eines Teams jener, der am wenigsten redet. Travis Barker, der wegen einer Not-OP seines frisch geborenen Kindes unlängst nach Hause jetten musste, worauf Blink-182 gleich einmal mehrere Gigs absagten, bearbeitet sein Kit mit viehischer Vehemenz und durchaus beneidenswerter Präzision. Selbst dissonantere Stellen wie etwa bei „Up All Night“ meistert er souverän. Während die beiden Frontmänner mehr oder wenige abgelaufene Schmähs in die Halle brettern, werkt Barker unerbittlich und gibt der Band gute zwei Drittel des gesamten Punches.

(Bild: Andreas Graf)

Die Jugend bleibt fern
Neben zwei großen Leinwänden sorgt ein auf- und abfahrender Videowürfel für die unverzichtbare Hintergrundoptik, die auch immer wieder auf alte Fotos und Vergangenheitsrückschauen setzt. Das fortschreitende Alter können die Musiker nicht ganz so verbergen, wie sie gerne möchten. Bei den Nahaufnahmen auf der Videowall sieht man öfters DeLonges Auge zucken, wenn Hoppus stringent hinter seinem Mikro steht, sieht er mit Brille und leichter Stehfrisur gar Rudi Anschober ähnlich. Die beiden Frontmänner wechseln sich bei Klassikern wie „Anthem Part Two“, „The Rock Show“, „Dysentery Gary“ oder „Dumpweed“ immer wieder am Hauptgesang ab, Barker lässt sich mit seinem Drumset irgendwann in die Luft befördern und knüppelt das letzte Konzertdrittel vom ersten Stock aus weiter. Die Fans sind begeistert. Bierbecher fliegen, wilde Mähnen rotieren, Gesichter lachen. Nur die Jugend fehlt. Es mag ja ein Pop-Punk-Revival geben, Blink-182 ziehen aber vornehmlich Gäste an, mit denen sie selbst groß geworden sind.

(Bild: Andreas Graf)

All den Feuersalven und knietief unter der Gürtellinie verorteten Witzen zum Trotz, zeigen die drei sich gerade dann am besten, wenn sie die Kalauer auch einmal stecken lassen und ernsthaft werden. Dass ihnen das mehr als gut zu Gesicht steht, beweisen nicht zuletzt Songs wie „Stay Together For The Kids“ oder auch „I Miss You“, die durchaus seriöse Themen in den Mittelpunkt stellen. Vor dem vielleicht besten Lied der Band, dem emotional aufgeladenen „Adams Song“, spricht Hoppus nicht nur über seine erst im Vorjahr überstandene Krebserkrankung samt mühsamer Chemotherapien, sondern geht auch noch einmal zurück zum Ursprung, wo er mit sich, seiner plötzlichen Berühmtheit und der Welt im Allgemeinen nicht mehr klarkam und ernsthaft überlegte, einen finalen Schlussstrich zu setzen. Diese Momente mögen vielleicht nicht in die ausufernde Ungezwungenheit des Abends passen, beweisen dafür aber, dass man auch als lustige Punk-Combo würdevoll in die späten Jahre gleiten kann - man muss es nur auch zulassen.

(Bild: Andreas Graf)

Geglückte Wiederkehr
Nach einem schleppenden und mit vielen Spielfehlern garnierten Beginn, kommt das Werk mit Fortdauer des Abends auf Touren und gerät im letzten Konzertdrittel dann zu der großen Party, auf die sich alle gefreut haben. Mit Hits wie „What’s My Age Again?“, „All The Small Things“ und dem fast schon 30 Jahre alten „Dammit“ kratzt man noch immer mühelos den letzten Rest Frust aus dem Gesicht eines harten und langen Wochentages aller Fans. DeLonge würgt seine mit kundigen TSOL-, Descendents- und Fugazi-Pickerln verzierte Gitarre, Hoppus greift noch ein paar Mal in die ganz tiefe Witzkiste und Barker flegelt als personifizierte und volltätowierte Coolness über alle Becken und Snares. Nach nur eineinhalb Stunden ist das Feuerwerk an Hits und alten Hadern vorbei, womit sich zumindest in der Spieldauer tatsächlich eine Parallele zu Björk am Vorabend ziehen lässt. „Woke“ werden Blink-182 auf ihre alten Tage nicht mehr, aber so eine pubertärhumorige Portion Blödsinn und Ungezwungenheit ist auch im Zeitalter des ständigen Mahnens und der virtuellen Argusaugen befreiend. Die „Family Reunion“ ist am Ende doch geglückt.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare
Eingeloggt als 
Nicht der richtige User? Logout

Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

Wien Wetter



Kostenlose Spiele