Bald live im B72

Durchstarter Kamrad: „Man braucht auch viel Glück“

Wien
30.08.2023 09:00

Mit der Single „I Believe“ gelang dem deutschen Popstar Kamrad letztes Jahr der große Durchbruch. Am 10. September spielt er nach einer Verschiebung endlich im Wiener B72. Im „Krone“-Interview sprach er über seine Tiefschläge, seine Beharrlichkeit und warum er nun seinen Sound gefunden hat.

Wenn Sie bislang ganz an Kamrad vorbeigeschrammt sind, dann sind Sie vermutlich taub oder haben einfach nicht genau hingehört. Mit seinem im Herbst 2021 verfassten Song „I Believe“ rollte er letztes Jahr nicht nur die Charts auf, sondern setzte sich auch in jedem Radio fest. Wer sich dem und auch allen möglichen Spotify-Playlists entziehen kann, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Einkaufscenter, auf einem Zeltfest oder am Fußballplatz von der Hitnummer beschallt worden sein. „I Believe“ war nicht nur einer der erfolgreichsten Songs des deutschsprachigen Raums des Vorjahres, er machte den heute 26-jährigen Tim Kamrad auch über Nacht zum Star. Die Entstehungsgeschichte zu diesem Track könnte dramatischer nicht sein und ist Märchen-verdächtig.

Aus dem tiefsten Tal heraus
„Mitte des Jahres 2021 habe ich mich von meinem alten Team und dem Label getrennt. Ich war plötzlich alleine und pleite“, erzählt uns Kamrad im „Krone“-Talk, „eine Tour musste noch gespielt werden, wo ich meine Band zu bezahlen hatte. Danach habe ich lange nachgedacht, ein neues Produzententeam um mich gescharrt und mich mit ihm drei Monate lang eingesperrt und nichts anderes gemacht, als an Songs geschrieben. Es kam alles aus dem Herzen und es gab nicht gleich den Wunsch, damit erfolgreich zu sein.“ „I Believe“ veränderte Kamrads Leben nachhaltig. Einerseits weist die Nummer eine eingängige Melodie auf, überzeugt textlich und traf schlichtweg den Zeitgeist. „Manchmal braucht man eben Glück. Dieses Mal war es auf meiner Seite.“

Bis zum Erfolg plagte sich der junge Wuppertaler viele Jahre in der Bedeutungslosigkeit. Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaft als gewählte Studienrichtungen stellten ihn nicht zufrieden, mit der Musik trat er auf der Stelle. Dabei begann Kamrad schon mit fünf auf der Gitarre zu klimpern und erhielt familiäre Unterstützung. Sein Vater ist selbst begeisterter Hobby-Musiker. „Ich hatte als Kind schon die klassische Vision, irgendwann einmal Rockstar zu werden. Natürlich haben mich die meisten belächelt, aber meine Eltern haben wirklich an mich geglaubt und mich immer unterstützt.“ Das eisern vom Mund abgesparte Sparbuch der Oma gibt er mit 18 nicht für sein erstes Auto, sondern für die Debüt-EP „Changes“ aus. Es folgten erste Radio-Airplays und Auftritte im Vorprogramm von Lotte und Sunrise Avenue.

Drei große Idole
„Sunrise Avenue sind ja jetzt schon ein paar Jahre im Geschäft und wissen, was sie tun“, lacht Kamrad und denkt an seine ersten Gehversuche im professionellen Musikbereich zurück, „von ihnen habe ich mir anfangs alles abgeschaut. Die Bewegungen, die Ansagen, die Songstrukturen und wie man mit den Pausen während der Songs umgeht.“ Drei Künstler waren für Kamrad besonders prägend. Die unvergessenen Beatles, Funk-Gott Prince und schlussendlich Ed Sheeran. Aus diesen drei Welten speist sich auch sein Sound. Die Beatles dienen ihm als harmonische Grundlage für die Pop-Strukturen, in die Funk-Welt von Prince (und Justin Timberlake) verirrte er sich in seiner ersten Karrierephase, das poppig-zugängliche Songwriting von Superstar Sheeran hat in der Gegenwart an Wichtigkeit zugenommen.

Seine musikalische Identität scheint Kamrad nun gefunden zu haben, das Songschreiben geht bei ihm und seinem Team nach einem bestimmten Schema über die Bühne. „Ich muss in einem einzigen Satz erklären können, worum es in einem meiner Songs geht, ansonsten hat dieser Song für mich zu wenig Bedeutung. Jede Geschichte, die ich erzähle, muss jeder Hörer auf sich umlegen können. Das ist die Herausforderung, die sich immer stellt.“ Der Korpus von Kamrads Songs wie „I Believe“, „Better Days“ oder „Feel Alive“ ist in erster Linie eine persönliche Erfahrung, die dann fiktiv ausgeschmückt wird. „Im Songwriting kann man in andere Figuren schlüpfen und Dinge bildlich beschreiben, die man selbst gar nicht so erlebt hat. Natürlich muss etwas Reales als Unterlage dienen, denn rein fiktional kann ich nicht schreiben. Ich schmücke aber gerne aus, das ist die Macht der Kunst.“

Das Prinzip steht
Wie all seine Idole fühlt sich Kamrad in der englischen Sprache wohler. „Ich schreibe auch Songs auf Deutsch, aber eher für andere Künstler. Wenn ich selbst auf Deutsch singe, fühle ich mich etwas nackt und nicht unbedingt wohl. Ich habe schon als kleines Kind englische Texte der Beatles nachgeahmt, ohne überhaupt die englische Sprache gesprochen zu haben. Meine Soundwelt war schon immer damit konnotiert und deshalb bin ich schlussendlich auch dort geblieben.“ Ende Juni veröffentlichte er seine neue EP „Not Good At Playing Love Songs“. Das Prinzip Singles-EP-Singles will er bis auf Weiteres beibehalten. „Ich finde es schon gut, dass man heute nicht mehr sechs Monate warten muss, bis man ein ganzes Album hat. Insofern ist in die Richtung voraussichtlich auch nichts geplant.“ Mit den reinen Singles wie „Never Get Older“ oder „I’m Done“ hat er aber auch so ausreichend Erfolg.

Live in Wien
Nachdem sein Konzert um ein halbes Jahr verschoben werden musste, kommt Kamrad nun am 10. September ins Wiener B72, um dort seine EP und die bisherigen Hits vorzustellen. „Wir sind zu viert auf der Bühne. Eine klassische Rockbesetzung und ein elektronisches Schlagzeug. Ich will in meiner 90-Minuten-Show meine ganze Bandbreite zeigen. Es gibt also sehr viel Band, aber auch sehr viel Tanz." Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Konzerthighlight im Spätsommer. Und wer weiß, vielleicht warten 2024 schon die großen heimischen Festivals auf seine Liedkunst.

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