Wulff tritt nicht ab

“Menschenrecht gilt auch für den Präsidenten”

Ausland
05.01.2012 09:03
Enorme Erwartungen lasteten auf Christian Wulff, als er am Mittwoch im Berliner Fernsehstudio Platz nahm. In höchster politischer Not hoffte Deutschlands Bundespräsident auf die klärende Kraft des Wortes. In seinem Interview für ARD und ZDF maß Wulff die ganze Spannbreite zwischen Reue und trotziger Selbstbehauptung aus, räumte Fehler ein, pochte auf seine Privatsphäre - und betonte, nicht an Rücktritt zu denken. Zudem meinte er: "Es gibt auch Menschenrechte - selbst für Bundespräsidenten."

Wulff entschuldigte sich unumwunden für den wütenden Anruf beim Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, mit dem er im Dezember auf die bevorstehende Enthüllung seines Privatdarlehens für den Hauskauf reagiert hatte. "Der Anruf war ein schwerer Fehler, der mir leid tut, für den ich mich entschuldige", sagte der Politiker. Ein Bundespräsident müsse "die Dinge einfach so im Griff haben, dass einem das nicht passiert". Er habe "dem Amt sicher nicht gedient", sagte Wulff.

"Situation auch menschlich verstehen"
Der TV-Auftritt illustrierte Wulffs Dilemma: Die andauernde Selbstverteidigung forderte alle Kräfte des Präsidenten. "Vielleicht muss man die Situation auch menschlich verstehen", sagte er. Viele Berichte über sein Privatleben seien "schmerzhaft", gegen seine Frau laufe eine auf "Fantasien" basierende Schmutzkampagne im Internet. "Man fühlt sich hilflos", sagte Wulff. Mit gedämpfter Stimme sprach er davon, dass er an manchen selbst gesteckten Erwartungen gescheitert sei. Seine Interventionen bei Medien stellte er als Entgleisungen dar, er habe es an Besonnenheit mangeln lassen.

Die Kritik an seinem Umgang mit Unternehmern wies Wulff aber unverändert zurück und berief sich auf die Menschenrechte. "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, in dem man sich von einem Freund kein Geld mehr leihen kann", sagte er mit Blick auf das Darlehen des befreundeten Unternehmerehepaars Geerkens. Gegen Gesetze habe er nicht verstoßen, ab Donnerstag sollten die Unterlagen zu dem Geschäft für alle einsehbar im Internet zu finden sein. Wulff pochte darauf, "dass auch ein Bundespräsident ein privates Leben hat". Deshalb finde er es auch nicht anstößig, sich zum Urlaub in die Häuser von Freunden einladen zu lassen.

Merkel steht hinter dem Präsidenten - mit Sicherheitsabstand
Wulffs Auftritt gingen intensive Kontakte mit dem Kanzleramt voraus. Denn die Kritik an Wulff zielte zuletzt auch auf Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat ihn vor zwei Jahren zum Bundespräsidenten gemacht - und will versuchen, ihn im Amt zu halten. Anders ist nicht zu verstehen, was sie ihren Sprecher Georg Streiter am Mittwoch verkünden ließ: Merkel schätze Wulffs Arbeit "außerordentlich", und sie habe "volles Vertrauen dahingehend, dass der Bundespräsident alle anstehenden Fragen weiter beantworten wird".

Die Botschaft aus dem Kanzleramt ins Schloss Bellevue lautete also: Merkel steht noch hinter Wulff - wenn auch mit gehörigem Sicherheitsabstand. Ihr Vorgehen orientiert sich mit kühlem Kalkül an politischer Zweckmäßigkeit. Die Wahl eines neuen Bundespräsidenten käme Merkel nicht gelegen, sie würde ihre wackelige Koalition schwer belasten. Ihren Kopf aber will die Kanzlerin für Wulff nicht hinhalten, freischwimmen muss er sich selber. Viele Politiker ihrer schwarz-gelben Koalition sind längst auf Distanz zu Wulff gegangen.

Wulff will seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen
Machtpolitische Erwägungen sind das eine. Das andere sind Fragen, wie Wulff überhaupt noch jene Glaubwürdigkeit und moralische Autorität ausstrahlen soll, die das Amt des Bundespräsidenten idealerweise erfordert. Wulff sprach in dem Interview selbst von einer "Bewährungsprobe". Er sehe aber noch eine Chance, seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, "wenn man auch im Umgang mit seinen eigenen Fehlern Lernfortschritte unter Beweis stellt". Zum Ende seiner Amtszeit 2015 wolle er "eine Bilanz ziehen, dass ich ein guter und erfolgreicher Bundespräsident war und das mit Freude und aus Überzeugung".

Regierung und Opposition uneins
Von Regierung und Opposition wurde das TV-Interview unterschiedlich bewertet. Die Unionsparteien reagierten erleichtert, die FDP forderte ein Ende der Debatte. Die oppositionellen Sozialdemokraten sehen die Angelegenheit hingegen noch nicht als erledigt an. Die entscheidende Sache sei, was die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Sache sage. Auch die Grünen sehen nun Merkel am Zug.

"Bild"-Zeitung widerspricht Wulff
Unterdessen widersprach die "Bild"-Zeitung der Aussage Wulffs, er habe mit seinem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann eine Berichterstattung zu der Kredit-Affäre nicht verhindern wollen. Wulff hatte auf die Frage, ob es nicht für einen Bundespräsidenten tabu sein müsse, unliebsame Berichterstattung im Vorhinein verhindern zu wollen, gesagt: "Ich habe nicht versucht, sie zu verhindern. Ich habe darum gebeten, einen Tag abzuwarten."

"Das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden", sagte Nikolaus Blome, Leiter des Berliner Büros der "Bild"-Zeitung, am Mittwochabend im Deutschlandfunk. Ob der Anruf als Drohung verstanden werden könne oder nicht, sei vielleicht eine Geschmacksfrage. "Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, nämlich: diese Berichterstattung, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses, zu unterbinden", sagte Blome.

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