Buch über „Violator“

Als Depeche Mode der Sprung in die Stadien gelang

Musik
05.08.2023 09:00

Mit ihrem siebenten Studioalbum „Violator“ intensivierten Depeche Mode ihre Beziehung zu Anton Corbijn und schafften den Sprung zur Stadionband. Das Buch „Halo“ zeichnet anhand von Zeitzeugenberichten detailliert nach, wie aus der britischen Synthiepopband ein globales Weltprojekt wurde.

Erst wenige Tage sind seit dem gefeierten und einzigen Österreich-Konzert der Synthiepop-Könige Depeche Mode im Klagenfurter Wörthersee Stadion ins Land gezogen und so mancher ist, trotz des stellenweise miesen Sounds, noch immer im Afterparty-Modus. Andererseits galt es aber auch die Schocknachricht zu verdauen, dass die Briten im Zuge ihrer Hallentour 2024 einen großen Bogen um Österreich machen und erstmals seit Äonen nicht in der Wiener Stadthalle auftreten werden. Zumindest etwas Trost kann man sich aber in Buchform ans Nachtkasterl legen, denn in „Halo: Die Geschichte hinter Depeche Modes Albumklassiker ,Violator‘“ (Hannibal Verlag) kann man noch einmal ganz tief in die richtungsweisende Zeit zwischen 1988 und 1990 eintauchen, in der eine hochtalentierte und bereits erfolgreiche Bubenband zu absoluten Weltstars reifte.

Protokolliert von zwei Fans
„Violator“, erschienen im März 1990, war bereits das siebente Album des damaligen Quartetts und stellte für die Band eine Zäsur dar. Nach dem düsteren Werk „Black Celebration“ gelang Depeche Mode 1987 bereits mit „Music For The Masses“ und Songs wie „Never Let Me Down Again“ der Sprung in die oberste Liga, aber „Violator“ war dann das letzte offene Puzzleteil, das die Briten schließlich in die großen Stadien katapultieren sollte. Protokolliert und nachgezeichnet wurde die umfassende Entstehungsgeschichte dieses Klassikers von Kevin May und David McElroy. Letztgenannter Schotte betreibt den beliebten Fan-Blog „Almost Predictable Almost“ und ist seit jeher treu ergebener Fan. Der Brite May kam erstmals auf der damaligen „World Violation Tour“ mit Depeche Mode in Kontakt und arbeitete 30 Jahre lang als Musikjournalist.

Akribisch und detailgetrau, sprachlich aber auch etwas hölzern und nicht wirklich spannungsaufbauend, begeben sich die beiden in ihrer Rückschau tief in die Vergangenheit und zeichnen zuerst einmal genau nach, wie es überhaupt zu diesem Album kam. Die Vorlaufgeschichte bringt langjährigen Fans, für die dieses Buch in erster Linie gedacht ist, aber relativ wenig Erkenntnisgewinn. Interessanter wird es natürlich, wenn Wegbegleiter und neuralgische Figuren der „Violator“-Zeit zu Wort kommen. Bei den eingeholten Interviews haben die beiden Autoren keine Mühen gescheut, auch wenn man die Schlüsselfiguren, nämlich die vier Musiker und Grafik-/Fotogenie Anton Corbijn, nicht zu Statements bewegen konnte. Doch allein schon die aktive Teilnahme von Produzent Flood, der mit seinem Zugang auch eine klangliche Zeitenwende einläutete, ist als Gewinn zu verbuchen.

Besondere Gruppendynamik
Auch Mute Records-Chef und Band-Entdecker Daniel Miller kommt zu Wort, dazu noch unzählige weitere Schlüssel- und Nebenfiguren, die vom Grafikassistenten über diverse Praktikanten bis hin zu treuen Fans reichen, die der Band damals noch näher standen, als es aufgrund des heutigen Weltruhms möglich wäre. Die Kreativ- und Aufnahmeplätze erstreckten sich von Mailand über Dänemark und London bis nach New York und spiegeln damit auch gut die finanziellen Möglichkeiten in der damals noch so florierenden Musikindustrie wider. Besonders schön sticht die feine Gruppendynamik der vier Bandmitglieder hervor, die sich damals so nahe waren wie maximal heute wieder. Martin Gore war das blondgelockte, aber stille Genie. Alan Wilder war das interne Sprachrohr, das geschickt an allen Strippen zog. Frontmann Dave Gahan der bereits den Drogen und Exzessen zugeneigte Posterboy für Videos und Optik und der im letzten Jahr verstorbene Andrew Fletcher zeigte sich als ruhiger, aber besonnener Kitt bei aufkeimenden Ego-Spielchen.

Der Prozess zu „Violator“ war vor allem klanglich einer des sich Findens und Experimentierens. Depeche Mode ließen neue Einflüsse von neuen Menschen zu und begaben sich an neue Orte. Stillstand bedeutete für die hungrige Truppe Rückschritt, insofern verließ man sich nicht auf die Erfolgsformeln der jüngeren Vergangenheit, sondern wagte den Mut zum Risiko. Mit „Personal Jesus“ und „Enjoy The Silence“ warf das Album so ganz nebenbei die zwei vielleicht größten Songs der Bandgeschichte aus - von den ikonischen, zu Kult gewordenen Videos reden wir erst gar nicht. Besonders schön hervor kommt das blinde Vertrauen aller Beteiligten. Meetings zu wichtigen Themen waren in aller Kürze erledigt, es wurde ohne Geheimniskrämerei miteinander kommuniziert und der erst kurz davor installierte Corbijn übernahm nicht nur das Foto-, sondern auch das Video- und Kreativboard-Ruder. Das Vertrauen ins Team und schlussendlich jedes einzelne Individuum waren federführend dafür, dass man sich auch beim ikonischen Cover-Artwork (die Rose) und dem lange kritisierten Albumtitel (vor allem im Deutschen sehr prekär) durchgesetzt hat.

Kompakte Oral History
Was neben Statements und Interviews mit den wichtigsten Beteiligten auch fehlt, sind detaillierte Hintergrundinformationen zu den eingesetzten Samples, zu Gores kreativer Herangehensweise und zu Alan Wilders damals immens wichtiger Rolle als Bindeglied zwischen den einzelnen Projektsubsparten. Dazu hätte es freilich die handelnden Personen selbst benötigt, die für „Halo“ nicht verfügbar waren oder sein wollten. Trotz allem werden die Geschehnisse der damaligen Zeit in dieser Oral History sehr kompakt und informativ vorgetragen. Wer sich kein literarisches Meisterwerk erwartet und einfach nur die Fanbrille schärfen möchte, ist hier goldrichtig. Aufgrund der Zugangsweise könnte man sich so ein Werk auch für weitere Depeche-Mode-Alben vorstellen. Wer weiß, vielleicht arbeiten die beiden Autoren auch schon aktiv daran.

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