„Krone“-Talk

Kevin Morby: Reise durch das unverfälschte Amerika

Musik
10.07.2023 09:00

Kevin Morby vermittelt in seinen Indie-Slacker-Songs das Gefühl des rechten, unverfälschten Amerika. So auch auf seinen beiden neuen Alben und unlängst bei einem fulminanten Auftritt im Wiener Theater Akzent. Für das Songwriting sucht sich der Gitarrist und Sänger gerne einsame Plätze und lässt sich von der Langeweile leiten.

Das Leben ist nicht viel mehr als ein Augenzwinkern und ehe man sich versieht, kann alles wieder vorbei sein. Unter dem Eindruck einer solchen Dramatik hat der amerikanische Slacker Kevin Morby seine letzten beiden Alben gefertigt. Das im Jahr 2022 erschienene „This Is A Photograph“ und der um sechs neue Songs angereicherte, im Mai veröffentlichte Nachfolger „More Photographs (A Continuum)“ wurden von einer tragischen Familiengeschichte inspiriert. Im Jänner 2020 brach Morbys Vater in der alten Heimat Kansas City unvermittelt bei einem Familienessen zusammen und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Dieser Schock ließ Morby nostalgisch werden. Er kramte in alten Familienfotos und sah seinen so schwachen und angeschlagenen Erzeuger als starken, jungen und stolzen Mann. Die titelgebenden „Photographs“ künden nicht zuletzt von der Vergangenheit, dem Leben und der eigenen Vergänglichkeit.

Auf den Spuren einer Legende
„Als Songwriter gräbst du in erster Linie in deinen eigenen Erinnerungen“, erzählte uns Morby unlängst beim Interview am Rande seines großartigen Auftritts im Wiener Theater Akzent, „aber diese Erinnerungen verknüpfst du mit allgemeinen Themen, die für alle Menschen zugänglich sind. Bei mir fließen am Ende immer beide Welten zusammen.“ In eine eigene Welt ist Morby auch beim Schreibprozess eingetaucht. Er schloss sich drei Wochen lang alleine im kultigen Peabody Hotel in Memphis ein, um die Atmosphäre in dieser „Music City“ aufzusaugen. Einen besonderen Einfluss hatte der 1997 unter mysteriösen Umständen eben dort verstorbene Jeff Buckley auf Morbys Sound. Mit „A Coat Of Butterflies“ und „Lion Tamer“ finden sich gleich zwei Lieder auf den beiden Alben, die direkt mit der Person und dem Vermächtnis Buckleys zu tun haben.

„Ich habe mich in Memphis sehr tief in verschiedene Themenbereiche eingegraben und über Menschen recherchiert, die dort aktiv waren. Jeffs Tod hat mich insofern beeindruckt, als er dort auf der Suche nach dem amerikanischen Traum war oder zumindest einem Pfad der US-Rock’n’Roll-Geschichte folgen wollte. Dieses Gefühl hatte ich auch und darin entdeckte ich mich sofort wieder.“ Seinen abgedrehten Folk mit Slacker- und Indie-Attitüde pflegt der 35-Jährige seit nun genau zehn Jahren solo, nachdem er sich in den Bands Woods und The Babies zuvor erste Sporen verdient hatte. Sein 2013 veröffentlichtes Solodebüt „Harlem River“ war eine Hommage an seine Teilzeitheimat New York, die er damals in Los Angeles fertigte. Auf Tour schrieb er Alben wie „Still Life“ (2014), „Singing Saw“ (2016) oder „City Music“ (2017). Breitere Bekanntheit erreichte er mit dem Track „Beautiful Strangers“. Ein Protestsong, der das Bataclan-Attentat von Paris 2015 und das Orlando-Shooting 2016 ins Zentrum rückte und noch heute Fixpunkt in jedem Live-Set ist.

Seiner Grenzen bewusst
Mit seinen Werken bewegt sich der musikalische Workaholic immer weit genug vom Mainstream entfernt, um als profunder Künstler zu gelten, steckt aber auch tief in den Fußstapfen von Künstlern wie The War On Drugs oder Kurt Vile, die wie kaum jemand anders für die realitätsnahe Working-Class-Tradition des amerikanischen Heartland stehen. Morby sieht sich in erster Linie als Geschichtenerzähler und erst danach als Musiker. „Natürlich bin ich Musiker, falls mich jemand fragt, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Aber für mich ist die Musik prinzipiell eine Plattform, um meine Geschichten zu erzählen und meine Erlebnisse und Gedanken mit anderen zu teilen.“ Trotz der persönlichen Anklänge taucht Morby nicht zu tief in die eigene Psyche ein. „Meine Grenzen sind mir sehr bewusst, aber die Kunst gibt mir trotz allem die Freiheit all das zu erzählen, was ich gerne erzählen möchte.“

Seit Ausbruch der Pandemie hat Morby zweieinhalb Studioalben und zwei Live-Alben veröffentlicht. Wo andere Künstler sich in Fadesse wälzten, nahm der Lockenkopf die tristen Lockdowns dankbar an, um sie in kreative Schübe umzuleiten. „Langeweile ist für mich unheimlich wichtig. Gemeinhin sagt man gerne, wenn man gelangweilt ist, ist man auch langweilig, aber ich sehe das fundamental anders. Lässt man seine Gedanken leer im Raum schleifen und sieht Zeit nicht als entscheidenden Faktor an, kommen oft die interessantesten Sachen dabei heraus. Man muss sich nur fallen und es zulassen können. Daran hakt es bei den meisten.“ Obwohl er live gerne mit kundiger Band auftritt, hat er sich nach einer Dekade an das Alleinarbeiten gewöhnt und will das auch nicht mehr ändern. „Ich versuche mich beim Songwriting immer den großen Städten zu entziehen und mir meine private Komfortzone zu genehmigen. Das ist sehr wichtig für den Schaffensprozess.“

Spezielles Memphis-Feeling
Als Musiknerd und -liebhaber hat Morby aber auch ein besonderes Herz für die amerikanische Musikgeschichte. So hat er für „This Is A Photograph“ Musikstudenten der legendären Stax Music Academy in Memphis für Backing-Vocals verpflichtet. „Ich habe eine Tour durch das Museum gemacht und war richtig begeistert. Am Ende sagten sie mir, dass sich hier auch eine Akademie befinden würde. Die Studenten schlussendlich am Album einzubauen verlieh dem Ganzen ein zusätzliches Memphis-Feeling, was mir sehr gefiel.“ Nach der Europa-Tour und den beiden „Photograph“-Alben gibt es bei Kevin Morby natürlich keinen Stillstand. „Ich werde mir nun aber ein bisschen Zeit nehmen, um die Tour Revue passieren zu lassen und in Ruhe an das nächste Projekt ranzugehen. Es gibt keinen Grund, Dinge zu überstürzen und zu schnell in etwas einzutauchen.“ Stress in der Projektplanung, Ruhe beim Songwriting. Und die Langeweile? Die ist herzlich willkommen!

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