Im streng religiösen Haushalt der Familie Cooper in Memphis, Tennessee gab es einst keinen Platz für Rockmusik. John Cooper hat sich davon emanzipiert, vor einem guten Vierteljahrhundert Skillet gegründet und trägt seither christliche Rockmusik mit Heavy-Metal-Kante um den Globus. Mit an Bord ist u.a. Ehefrau Korey. Im „Krone“-Interview gibt er vor dem Konzert in der Wiener Szene Einblick auf seine Ansichten zu Gott, freier Meinungsäußerung und Post-Covid-Depressionen.
„Krone“: John, euer Anfang 2022 veröffentlichtes Album „Dominion“ war schon das elfte in eurer langen Karriere. Wird es mit den Jahren zunehmend schwieriger, mit neuen Themen und Ideen aufzuwarten?
John Cooper: (lacht) Eigentlich nicht. Ich liebe es, Songs zu schreiben und mit neuer Musik aufzuwarten. Manchmal weiß man nicht genau, ob man mehr der eigenen Vergangenheit folgen oder sich stärker verändern sollte. Wir haben noch immer sehr viel zu sagen und fühlen uns nicht müde, was die Themen angeht. Solange das Gefühl so bleibt, ist alles in Ordnung.
Nicht nur die Pandemie hielt auf dem Album Einzug, der gesamte Stand der Welt wurde ein bisschen darauf verarbeitet. Ist das Weltgeschehen elementar für ein Skillet-Album?
Das Weltgeschehen war uns immer wichtig und wir leben in einer seltsamen Zeit, wo Dinge passieren, die unsere Generation nie erlebt hat oder sich teilweise gar nicht einmal vorstellen konnte. Ich wollte diese Angst und Ohnmacht der Menschen in der Musik transferieren. Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht kontrollieren, andere aber schon. Wie gehe ich mit der Angst vor der Zukunft um? Was ist der Sinn des Lebens? Ich habe zwei Teenager-Kinder und auch bei Freunden gesehen, dass sich viele existenzielle Fragen aufgetan haben. Ich kümmere mich um meine Kids, meine Familie und meine Nachbarn. „Dominion“ sollte die Menschen inspirieren. Du kannst nichts gegen die Pandemie und den Zustand der Welt tun, aber du kannst dich selbst motivieren. Gib nicht auf, hab keine Angst und lebe dein Leben weiter.
Gerade für Teenager war Corona die Hölle, weil sie durch die Lockdowns ihrer besten und freiesten Jahre beraubt wurden. Wie hast du das bei dir zu Hause am eigenen Leib erlebt?
Es war zweifellos hart, da muss ich niemandem etwas vorlügen. Statistisch gesehen hat die Depressionsrate unter jungen Leuten extrem zugenommen - auch die Selbstmordrate. In den USA sind während der Corona-Jahre mehr Menschen unter 50 am Alkohol gestorben als am Virus. Die Leute haben wirklich gelitten. Meine Kids gingen sehr gut mit dem Problem um, aber sie haben Freunde, denen es sehr schlecht ging. Ich habe ihnen immer gesagt, sie sollten sich bei ihnen melden, facetimen und in Kontakt bleiben, um durch dieses Tal zu gehen. Wir leben in sehr verrückten Zeiten.
Auch wirtschaftlich waren es für dich und deine Band harte Zeiten. In den USA konnte man zwar wieder schneller touren, aber auch nicht so richtig. Hast du dich um die Zukunft gesorgt?
Viele Freunde von mir haben ihre Jobs verloren und wussten nicht, was sie tun sollten - dagegen bin ich noch gut ausgestiegen. Ich bin extrem gläubig und habe immer darauf vertraut, dass Gott seine schützende Hand über mich und meine Lieben hält und am Ende alles gut wird. Ich habe mir immer eingeredet, dass die Zeiten gerade etwas beängstigend sind, aber Gott auf uns schaut. Meine mentale Gesundheit wurde von meinem Glauben geschützt, aber ich musste mich jeden einzelnen Tag daran erinnern. Ich habe 14 Angestellte bei Skillet und bin für sie verantwortlich. Das war natürlich nicht einfach.
War dein tiefer Glaube in einer Krisensituation wie dieser wichtig?
Wenn ein Krieg, eine Rezession oder eine Pandemie über die Welt kommen, dann wird die Religion wieder wichtiger. Die Menschen merken, dass sie zusätzlichen Schutz brauchen. Für uns sind solche Krisen wichtig, weil sie uns daran erinnern, dass wir für uns da sein und glauben sollen. Wir sind ganz kleine Punkte auf dem großen Bild der Welt und ich hoffe sehr stark, dass es irgendwo da draußen etwas Großes gibt, das auf uns achtet. Bescheidenheit ist allgemein eine gute Sache, mit der man durchs Leben gehen sollte.
Weil du die Angst angesprochen hast - ist Angst der Katalysator für all die schlechten Dinge, die auf der Welt so passieren?
Die Angst spielt mit Sicherheit eine große Rolle, das ist für mich ganz klar. Es stellt sich in erster Linie die Frage, was war zuerst da? Die Henne oder das Ei? So geht es uns auch mit der Angst. Es gibt viele verschiedene Arten, um Probleme im zwischenmenschlichen Bereich zu lösen. Ich bin auch dankbar für Leute, die meine Meinung nicht teilen und andere Ansätze haben, aber ich glaube, dass Angst niemals gut ist. In den USA herrscht nicht nur viel Angst, sondern auch viel Hass. Man findet keinen Weg mehr, miteinander zu leben und zu diskutieren. Ich hoffe inständig, dass sich das wieder ändern wird.
Junge Menschen brauchen Vorbilder, um sich im Leben zu orientieren. Diese Vorbilder sind aber nicht Politiker, sondern Sportler oder Künstler. Fühlst du daher eine große Verantwortung in deinem Tun?
Das ist eine interessante Frage. Ich wollte das immer vermeiden, weil ich einfach nur Musiker sein möchte. In den USA ist es mittlerweile aber schon so, dass du als Sportler oder Künstler im Rampenlicht Druck verspürst, dich zu gewissen Themen äußern zu müssen. In der Realität wollen sie aber nur das hören, was sie eben hören wollen und wenn du das Falsche sagst, kriegst du gleich Probleme. Wenn man seine Meinung heute laut hinausposaunt, dann zieht man sich viel Hass zu. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Zensur heißt, die Regierung verbietet dir rigoros, dies oder das zu sagen. So ist es nicht, aber es ist eine Art kulturelle Zensur, wo dir still und heimlich eingebläut wird, was du zu sagen hast. Scherst du aus dieser Linie aus, wirst du gecancelt. Eine erschreckende Entwicklung.
Sorgst du dich persönlich darum, weil es dich und deine Texte bei Skillet betrifft?
Das stimmt schon, ja. Du bist nur so lange komplett frei, solange du dir darüber bewusst bist, dass deine Karriere dadurch in die Binsen gehen kann. (lacht) Das macht mir schon Stress, weil ich gerne gegen den Trend der Gesellschaft gehe. Mein Glaube leitet mich oft woanders hin und ich will nicht lügen. Ich hoffe nicht, dass das Konsequenzen hat, aber sicher bin ich mir nicht. Derzeit befinden wir uns in einer Welt, die gleichgeschaltet ist und keine Meinungsausscherer erlaubt. Wir müssen wieder einen Weg finden, miteinander zu kommunizieren. Die Wahrheit offen zu sagen, obwohl wir vielleicht unterschiedliche Wahrheiten haben - doch dann müssen wir eben darüber diskutieren können. Das wird in der Realität aber immer schwieriger.
Gerade im Metal ist die Religion, wie du sie praktizierst, nicht immer gerne gesehen und oft sogar verpönt. Führt das in deinem Fall auch oft zu Diskussionen im Backstage-Bereich?
Ich bin eigentlich mit allen Bands gut befreundet, mit denen wir spielten. Es gibt so viele antireligiöse Bands, aber die meisten habe ich nie getroffen. Vielleicht haben sie ein Problem mit meiner Religion, aber nicht mit mir - zumindest haben sie mir das nie zu spüren gegeben. Slipknot-Frontmann Corey Taylor ist vielleicht nicht gegen Religion, aber er glaubt nicht an dasselbe wie ich und trotzdem sind wir gut befreundet. Wir respektieren uns in unserer Andersartigkeit und finden uns bei anderen Themen. Auf Tour versucht er nie, mir meine Ansichten zu verbieten und vice versa. So sollte es sein. Die meisten Musiker wollen einfach in Ruhe und Freiheit sagen, was sie sagen wollen. Das ist das Prinzip des Rock’n’Roll. Ob du der Antichrist bist oder an der Bibel festhältst, es ist immer wichtig, dass du so frei bist, das zu sagen, was dir ein Anliegen ist.
Damit propagierst du die gute alte Diskussionskultur, die uns gerade im Zeitalter von Social Media zunehmend verlustig geht. Es reicht heute oft nicht mehr, den anderen einfach sein zu lassen, auch wenn man es selbst anders sieht …
Viele Menschen verdienen heute Geld damit, dass sie andere gegeneinander aufbringen, Headlines herausreißen und für Zündstoff sorgen. Traurig wird es dann, wenn es wie ein Job von Leuten wirkt, andere fertigzumachen, weil sie anders denken oder sich anders artikulieren. Wenn sie Dinge zerstören, nur um mehr Follower zu haben. Ich habe kein Problem mit Andersdenkenden, weil ich an die freie Rede glaube und daran, dass die besten Gedanken und Ideen am Ende gewinnen. Ich glaube in der Religion an diese Idee, du vielleicht an die andere. Keiner will den anderen bekehren, aber wir können trotzdem Freunde sein.
Skillet gibt es mittlerweile seit 27 Jahren - das ist schon eine ordentliche Reise, die ihr bislang zurückgelegt habt …
Ich kann es oft selbst nicht glauben. Ich hätte mir in einer Million Jahren nicht gedacht, dass wir als Band so lange existieren würden und bin irrsinnig dankbar dafür. Wir sind auch oft in Europa und spielen tolle Festival-Slots, was natürlich grandios ist. Ich danke den Fans sehr und hoffe, dass ich noch 25 Jahre da bin und irgendwann so ende wie Mick Jagger.
Was sind die wichtigsten Parameter und Lektionen dafür, dass ihr in der Band schon so lange miteinander auskommt und es die Band überhaupt so lange schon gibt?
Wir haben vorher über Bescheidenheit gesprochen und das ist ein signifikanter Punkt. Das Universum ist unendlich und wir sind ein nicht sichtbarer kleiner schwarzer Punkt. In 100 Millionen Jahren kennt niemand mehr unsere Namen und wir werden ziemlich sicher für immer vergessen sein. Wenn du in einer Band oder einer Ehe bist - und in meinem Fall habe ich eine Ehe innerhalb der Band - geht es darum, aufeinander zu achten, sich zu unterstützen und das Teamwork hochzuhalten. Das ist bei meiner Frau genauso wie mit der Band. Wenn du anderen helfen kannst, dann führt das zu einer ganz speziellen Form des Glücks und der Zufriedenheit. Es gibt viele Glaubensrichtungen unter den Menschen und alle werden diese Sichtweise teilen. Rockstars sind es gewohnt, dass ihnen gedient wird und deshalb sind sie oft so unglücklich im Leben. Wichtiger wäre es, dass du anderen dienst. Das ist das größte Glück auf Erden.
Wenn wir sowieso alle vergessen werden, warum überhaupt die Mühe? Warum schreibst du dann Musik?
Es wird natürlich Menschen geben, die alle Zeiten überdauern werden. John Lennon oder Paul McCartney wird man vielleicht auch in 100 Millionen Jahren noch kennen. Es wäre natürlich großartig, einen einzigen Song zu schreiben, der dann noch immer irgendwo bekannt sein wird, aber das ist unrealistisch. Von den Statuen kannst du auch nicht mehr leben, wenn du Staub bist. Lebe dein Leben lieber jetzt in Demut und Bescheidenheit.
Live in der Wiener Szene
Skillet sind am 7. Mai im Zuge ihrer „Day Of Destiny“-Tour für eine Headliner-Show im Wiener Gasometer zu Gast. Mit dabei sind Like A Storm und Eva Under Fire. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Informationen für das Konzerthighlight.
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