In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Schwarzenberg hat er Dr. Peter Girardi besucht.
Dass Schwarzenberg weitläufig ist und nicht nur aus dem postkartenhaften Ortszentrum besteht, wurde mir klar, als ich Peter Girardi zum Interview traf, den Mitbegründer der SMO-Reha, jener ersten Privatorganisation im Land, die sich der neurologischen Rehabilitation verschrieben hat. „Einfach via Achraintunnel nach Alberschwende, dann scharf links abbiegen“, sagte er am Telefon, mailte zur Sicherheit noch einen Google-Maps-Plan. Weder ich noch der Fotograf fanden sich auf dem Plan zurecht, verfuhren uns heillos, landeten auf einer Schotterstraße irgendwo in Alberschwende, die steil bergauf ging - ohne Allrad nicht zu schaffen. Ein junger Mann, der gerade das letzte Gras von einem Steilhang rechte, staunte Bauklötze, als wir ihm den Plan zeigten. „Gonz leatz“, sagte er und deutete in eine andere Himmelsrichtung. Arg verspätet langten wir endlich bei der gesuchten Hütte auf dem Vorsäß an, wo uns ein Herr in buntem, geometrisch gemustertem Hemd zuwinkte.
Robert Schneider: Kein Weg führt nach Schwarzenberg.
Peter Girardi: Wenn man sich auskennt, führen alle Wege nach Schwarzenberg. Es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt als hier oben. (Sagt es, der Peter Girardi, blickt hinunter in den weiten Talkessel im mittleren Bregenzerwald und holt tief Luft. Als stünde er wie ein Tourist das erste Mal auf dieser Anhöhe und könnte nicht genug kriegen vom grandiosen Herbstpanorama mit der Niederen und der Damülser Mittagsspitze. Dabei kennt er den Platz seit Kindertagen.) Wir waren drei Buben und sind in einem Häuserblock aufgewachsen. Da durfte man sich nicht ausleben. Aber hier oben konnten wir praktisch alles tun. Feuer machen, klettern, nach Herzenslust brüllen und toben.
Schneider: Wie muss man sich anstellen, um so ein uraltes Kleinod als Ferienhaus zu besitzen?
Girardi: Der Hof gehörte meiner Mutter, war aber vierzig Jahre lang nicht mehr bewirtschaftet. Wir Brüder haben ihn behutsam ausgebaut und teilen ihn mit unseren Familien. Jetzt werden schon meine Enkel hier groß.
Schneider: Und das geht? Ganz ohne Streit?
Girardi: Wir haben eine klare Regelung untereinander, was die Monate angeht. Es ist merkwürdig. Hier oben bemüht sich jede und jeder ganz selbstverständlich um Behutsamkeit. Der Ort hat etwas Besonderes. Er ist ein guter Platz zum Reden. Ein Platz für Freunde.
Schneider: Mit vielen Sitzgelegenheiten, wie ich sehe. Überall „schtoht a Bänkle“.
Girardi: Das ist ein Spleen, den ich und mein Bruder haben. Wir sind vernarrt in Bänke. Es können nicht genug davon herumstehen, denn auf jeder Bank hat man einen anderen Blick ins Tal und in die umgebenden Berge.
Schneider: Wo steht Ihre Lieblingsbank?
Girardi: Die ist südseitig an der Hauswand. Da kann man auch im Winter sitzen, weil die Sonne den Schnee sofort wieder wegputzt.
Schneider: Dann lassen Sie uns dort reden. Der Name Girardi klingt aber nicht nach Bregenzerwald.
Girardi: Die Vorfahren stammen aus dem Trentino. Schwabenkinder. Der Urgroßvater war beim Bau der Arlbergbahn beschäftigt. Mein Großvater wurde in Stallehr geboren.
Schneider: Sie haben ein beachtliches Lebenswerk aufgebaut. Ihre Idee war es, Menschen mit neurologischen Erkrankungen Rehabilitationsmöglichkeiten anzubieten. Ging da nicht ein Aufschrei durch die Arztpraxen und Ambulatorien?
Girardi: Und ob! Ich musste nicht nur gegen ein Bedenken kämpfen, sondern gegen einen ganzen Wald von Bedenken. Besonders hartnäckig hielt sich das Unverständnis, meine Idee auf privatwirtschaftlicher Basis umsetzen zu wollen. Da nutzte es wenig, wenn ich sagte: „Sie als Arzt eines Krankenhauses verdienen doch auch Ihr Geld.“ Seit 2005 ist die SMO-Reha mit ihren vier Standorten nach dem Vorarlberger Spitalsgesetz bewilligt. Das war ein überaus harter und sehr steiniger Weg.
Schneider: Auf mich wirken Sie mit Ihren 66 Jahren wie ein Naturbursche. Einer, dem die Wellen nicht stark genug entgegenschlagen können. Lieben Sie Herausforderungen?
Girardi: Mich treibt schon lange die Frage um: Was ist das im Leben, was mich inspiriert? Woher kommt der Einfall? Ich glaube zum Beispiel, dass der Einfall - also der Impuls, etwas zu wagen - schon nicht mehr aus unseren anerkannten Dimensionen wie Raum und Zeit herrührt, die uns ja letztlich einschränken und fesseln. Die Vorstellungen von einem klar abgegrenzten Diesseits und Jenseits funktionieren nicht mehr. Ich glaube stattdessen eher an ein simultanes Ganzes, das auf alle Fälle weit mehr Dimensionen beinhaltet.
Schneider: Das ging mir jetzt zu schnell. Können Sie mir das mit der Dimension nochmals erklären?
Girardi: Das geht Ihnen doch auch so, wenn Sie ein Buch beginnen. Sobald Sie schreiben, haben Sie sich schon längst auf den Einfall ausgerichtet. Das ist nichts Konstruiertes. Man fällt, wie es das Wort sagt, da regelrecht hinein. Das hat zuerst einmal etwas mit Hören zu tun. Ich muss mir zuhören. Wohin will ich eigentlich? Bevor ich nicht ein Bild von etwas habe, unternehme ich nichts. Das ist wie mit einem Gewitter in der Nacht, wo der Blitz plötzlich die ganze Landschaft für einen Sekundenbruchteil erhellt und sie kurz, aber ganz klar vor mir liegt. Alles Spätere besteht darin, diesen Augenblick nachzuschaffen. Der Einfall hat auch immer etwas mit meinem Körper zu tun. Wenn es mir keine Freude breitet, darf ich es nicht machen.
Wenn es mir keine Freude breitet, darf ich es nicht machen.
Dr. Peter Girardi
Schneider: Das Leben wäre so einfach, wenn man es verstünde?
Girardi: Man muss eben nicht alles verstehen. Aber es braucht die innere Bereitschaft oder Ausrichtung dazu. Wenn der Impuls einmal da ist, schiebt sich auch der Boden des Lebens unter die eigenen Füße. So war es immer in meinem Leben. Anders kann ich es nicht ausdrücken.
Schneider: Wie würden Sie Glück definieren?
Girardi: Ich kann mit dem Begriff Glück gar nicht so viel anfangen. Mir gefällt da eher die landläufige Bezeichnung „Schwein gehabt“. Je älter ich werde, umso dankbarer werde ich, im Leben so viel Schwein gehabt zu haben.
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