Autor Robert Schneider hat sich aufs Festspiel-Gelände gewagt – und dort Rosi Winkler getroffen, die einiges zu erzählen hat. Immerhin ist sie seit vielen Jahren mitverantwortlich dafür, dass jeden Abend alles reibungslos abläuft.
Im Festspielhaus in Bregenz und auf der Seebühne herrscht Ruhe vor dem Sturm. Mehr Ruhe als Sturm. Hektik ist keine zu spüren. Der Laden läuft ja. Sehr gut sogar.
Überall ist diese seltsame Mischung aus hoher Professionalität und jovialer Freundlichkeit zu spüren. Jeder hat seinen Platz, macht seinen Job. Die Auftragsbücher sind voll. Die Ernte kann wieder eingefahren werden, auch wenn Philipp Stölzls „Freischütz“ die Kritik nicht gerade in Begeisterungsstürme im Bodensee hat ertrinken lassen. Wurscht. Solange die Leute kommen, darf auch ruhig etwas Zeitgeist säuseln in dem verstaubten Stück. Wichtig ist die Kohle. Nicht die Kunst. Denn Hunderte von Bussen werden in den kommenden Wochen die Festspielgäste in einem Rundumsorglospaket nach Bregenz karren und spätnachts auch wieder heim. „Was haben wir gesehen, Trude?“, fragt der hundemüde Ehegatte aus Nürtingen beim Einschlafen seine Frau. „Das war Oper, Hans. War das nicht herrlich? Der Sonnenuntergang und das golden glänzende Lindau im Hintergrund?“ – „Warum sind die lesbisch? Steht das so im Stück?“, will er noch gähnend wissen. – „Ach, du hast keine Ahnung von Kunst“, seufzt Trude. Aber Hans hört es schon nicht mehr.
1000 geölte Zahnrädchen drehen sich
Der Organismus der Bregenzer Festspiele ist gesund wie nie zuvor. Darum hat man sich auch verplappert und glatt freiwillig vier Millionen Euro im Zuge der Kultureinsparungen des Bundes locker gemacht, während die Salzburger Festspiele nicht einen Cent abgeben. Peanuts. Das zahlen wir aus der Portokasse.
An diesem beeindruckenden Apparat, der Bregenzer Festspiele heißt, mit seinen tausend perfekt geölten Zahnrädchen, interessiert mich zur Abwechslung just so ein Zahnrädchen. Jemand, der nicht im Rampenlicht steht und doch immer da ist.
Darum bin ich mit Rosa Winkler verabredet, einer langjährigen Platzanweiserin und Garderobenfrau. „Sie müssen mich aber in Ihrem Artikel Rosi nennen, sonst weiß niemand, wer ich bin. Hier kennt man mich nämlich nur als Rosi“, sagt die sehr herzliche, 86-jährige Dame.
Nachdem wir endlich einen Platz für das Interview gefunden haben – eine versierte Presseassistentin weicht nie von meiner Seite, weil man ja nicht weiß, was der Schneider wieder im Schilde führt – beginnt Rosi, aus dem Nähkästchen zu plaudern.
„Krone“: Rosi, wenn ich mit Ihnen so durchs Haus gehe, fliegen Ihnen gleich alle Herzen zu.
Rosa Winkler: Ja, ich bin halt schon so lange da. Jeder kennt mich.
Wie kamen Sie zu den Festspielen?
Ich habe mit elf Jahren meinen Vater verloren und wuchs bei meiner Tante auf, die ein großes Haus hatte, wo viele Künstler während der Festspielzeit gewohnt haben. Die Wilma Lipp zum Beispiel, die weltberühmte Sopranistin oder der Burgschauspieler Fred Liewehr. So durfte ich zum ersten Mal die Proben bei den Bregenzer Festspielen besuchen. Das war 1955. Die Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Bühne war noch ganz klein.
Ich wuchs bei meiner Tante auf, die ein großes Haus hatte, wo viele Künstler während der Festspielzeit gewohnt haben.
Rosa Winkler
Und dann wurden Sie Platzanweiserin?
Ja, wobei das gar nicht so einfach war. Damals hieß der Publikumsservice noch Ordnerteam, denn die Leute, die das gemacht haben, waren alle lange mit dabei, zwanzig Jahre und mehr. Damals war man halt noch konsequent an einem Arbeitsplatz. Man musste etwas Glück haben, um reinzukommen.
Sie haben jeden Abend die Gäste an ihre Plätze begleitet. Kam es auch einmal vor, dass ein Platz doppelt gebucht war?
Ja. Das hängt mit den unterschiedlichen Kontingenten zusammen, die verkauft werden. Da brauchte man dann viel Ruhe, Diplomatie und menschliches Gespür. Aber das lernt man in so vielen Jahren.
Die Festspiele sind auch ein Fest der Eitelkeiten. Hat sich ein Promi mal danebenbenommen? Wir sind ja unter uns.
Ich nenne den Namen nicht, aber bei einer verregneten Seeaufführung mussten wir ins Haus überwechseln. Die Persönlichkeit, die auf der Seebühne in der ersten Reihe saß, fand sich nun im Haus am Rang oben. Du meine Güte, das war ein Theater! Sie wollte einfach nicht akzeptieren, dass sie nicht in der ersten Reihe sitzt.
Den Namen wollen Sie mir nicht zufällig verraten?
Eine Politikerin. Mehr sage ich nicht.
Sie waren und sind noch immer Platzanweiserin im Festspielhaus, auch das ganze Jahr über, und kennen das Haus in- und auswendig, wissen vermutlich, wo genau die Leichen im Keller vergraben sind. (Rosi lacht). Sie sind aber auch Garderobenfrau. Da lernt man bestimmt auch die Menschen kennen, oder?
Meistens sind die Gäste sehr freundlich und auch entspannt. Sie freuen sich ja auf den Abend. Es sei denn, sie kommen zu spät oder haben keinen Parkplatz gefunden. Dann wird es mitunter etwas stressig.
Haben Sie schon mal den Mantel der Frau Bundespräsidentin mit dem Mantel einer FPÖ-Ministerin vertauscht?
Aber nein! Es kommt allerdings vor, dass die Leute ihre Marke verlieren. Da kann es zu Differenzen kommen. Aber wir sind alle sehr geschult. Es gab allerdings mal einen Fall, da behauptete eine Dame vehement, sie habe ihren Mantel abgegeben und wolle ihn jetzt vom Haus ersetzt bekommen. Schließlich hafte das Haus für die Garderobe. Ihr Fehler war, dass sie es mit dieser Masche schon öfters probiert hatte und darum allseits bekannt war.
Sind die Leute sparsamer geworden mit dem Trinkgeld?
Das könnte ich nicht sagen. Es gibt welche, die geben etwas für die Kaffeekasse und welche, die geben nie etwas.
Dürfen Sie bei der Festspieleröffnung den Bundespräsidenten samt Gattin an den Platz begleiten?
Nein, wir stehen da nur vor der Tür. Der kommt ja mit seiner Entourage und weiß genau, wo er sitzt. Allerdings ist immer jemand vom Publikumsservice unten, wo er dann Platz nimmt.
Was war für Sie in diesen vielen Jahrzehnten das schönste Erlebnis?
Bei einer Seeaufführung, zum Glück noch unmittelbar davor, erlitt ein älterer Herr einen Herzinfarkt. Seine Tochter, die ihn begleitete, winkte mir aufgeregt zu. Ich habe sofort meine Jacke ausgezogen, ihn in die Seitenlage gebracht. Der glückliche Zufall wollte es, dass ein Arzt anwesend war. Eine Woche später wurde im Festspielhaus ein großer Blumenstrauß abgegeben, mit einer Karte, auf der stand, ich hätte dem Vater das Leben gerettet.
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