Schneider-Serie

Der Außerirdische vom Zanzenberg

Vorarlberg
24.07.2022 12:03

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet der Autor Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Dornbirn traf er jüngst den Künstler Ulrich Gabriel.

Er beugt sich über das Geländer am Steinebach, dort, wo die Straße zum Zanzenberg abzweigt. Er sieht mich nicht kommen, also kann ich ihn einige Augenblicke lang still beobachten. Ein großer, alter Mann, den eine merkwürdige Einsamkeit umgibt. Er wirkt versonnen, und er hat sich für das Interview schön gemacht. Schwarzes Hemd und eine aparte Brille. Ein bunter Kontrapunkt, fast wie ein Statement, das er den dunklen Wolken entgegensetzt, die bildlich über seine gesamte künstlerische Biografie hereingebrochen sind. Ulrich Gabriel, der das kulturelle, gegen den Strich gebürstete Denken dieses Landes über fünfzig Jahre lang mitgeprägt hat, ist ein geächteter Mann.

Der Gründer der Jeunesse, Erfinder des Spielbodens, der Musikpädagoge, der Generationen von Kindern vorgelebt hat, dass Musizieren verdammt viel Spaß machen kann, der so geistreiche Wortakrobat Jandl’scher Nachfolge, der Baron vom Zanzenberg, ist zur unerwünschten Person geworden. Weil er in seinen Kolumnen den Mund nicht halten konnte, sondern mit stetig wachsender und immer verzweifelter werdender Attitüde gegen das Angstschüren in Politik und Medien rund um die Pandemie angeschrieben hat. Bis einigen die Hutschnur riss. „Ich war nie ein Corona-Leugner“, sagt er mit später. „Ich war und bin ein Gegner einer Demokratie, die sich zunehmend radikalisiert.“ Er verwendet dafür die Wortschöpfung „Demokratur“. „Schauen Sie, wie glasklar der Steinebach ist“, sagt er und deutet aufs Wasser. Als Kind schillerte der noch in allen Farben. Das kam aus der Färberei Hämmerle. Die Zeiten haben sich doch geändert.„

Gemeinsam fahren wir den Zanzenberg hoch. “Ma goht an Zanzavogl ge bergla„, kalauert Gabriel, und ich sehe, dass er seinen Humor noch nicht ganz verloren hat. Die Bank für Verliebte, wo sich so viele Dornbirnerinnen und Dornbirner das erste Mal geküsst haben, steht nicht mehr am alten Platz. Ein dicker Ast ist zu Boden gedonnert, also wurde die Bank nach hinten versetzt. “Die Zanzenberg-Wiese ist ein bekannter UFO-Landeplatz. Haben Sie das gewusst?„ Ich verneine. “In Dornbirn weiß das jedes Kind."

Robert Schneider: Apropos Kind: Was sind Ihre frühesten Kindheitserinnerungen?
Ulrich Gabriel: Ich bin im ehemaligen Café Watzenegg zur Welt gekommen. Meine Mutter, eine Grabher, war dort die Wirtin. Ich lag im Kinderwagen, und immer haben irgendwelche fremden Leute zu mir hereingeschaut, ihre Visagen gezeigt, die Zähne und Jo-dudi-dudi! oder so ähnlich gesagt. Ich habe sehr gefremdelt und natürlich wie am Spieß geschrien. Dann hat man die Schesa halt ins Bad gestellt, was heute für manche sicher ein Fall fürs Jugendamt wäre.

Schneider: Woher stammen die Gabriels?
Gabriel: Die Großeltern väterlicherseits kamen beide aus Böhmen und Mähren und haben kaum ein Wort Deutsch gesprochen. Daran kann ich mich sogar noch erinnern. Es müssen unglaublich fleißige Leute gewesen sein, vielleicht auch, weil sie ihr Fremdsein dadurch kompensieren wollten. Der älteste ihrer Söhne hat es bis zum Stadtkämmerer in Dornbirn gebracht, und er war es auch, der die Idee hatte, eine Seilbahn auf den Karren zu bauen. Die Gabriels waren immer sehr initiativ. Mein Vater war Gymnasiallehrer. Der fuhr jeden Tag von Watzenegg aus mit dem Motorrad nach Bludenz zur Arbeit. Am Abend stand er dann in der Gaststube bis tief in die Nacht.

Schneider: Sie haben, ungewöhnlich für damals, an der Musikhochschule in Wien studiert, das Lehramt gemacht. Wie war Ihre politische Sozialisation?
Gabriel: Eigentlich war ich stockkonservativ. Ich war sogar beim CV (Anm.: eine katholische Studentenverbindung). Die haben mich dann aber rausgeworfen. Als ich aufgrund des damals akuten Lehrermangels wieder aus Wien zurückkam, hat mich sofort die kulturell-alternative Szene interessiert. Dort wollte ich etwas bewegen. Die Jugendunruhen der 1980er-Jahre in Zürich waren ein prägendes Erlebnis für mich und der Kampf für ein offenes Jugendhaus in Dornbirn. 1986 habe ich für die Bundes-Grünen kandidiert, war sogar Spitzenkandidat, wurde aber - vielleicht mein Glück - nicht ins Parlament gewählt. Irgendwann stellte ich fest, dass Kinderkonzepte entwickeln und politische Tätigkeit bei einer Partei nicht zusammengehen. Das war einfach nicht stimmig.

Schneider: Die Entwicklung der Grünen-Bewegung ist aber für Sie eine herbe Enttäuschung.
Gabriel: Wut und Zorn trifft es besser. Es ist mir unbegreiflich, dass mit dem Eintritt der Grünen in die Regierung all die Werte des Aufbegehrens, des kritischen Denkens und des Freiheitsgedankens überhaupt, im Handumdrehen obsolet geworden sind. Dass bei einer kranken Politik der Landeshauptmann krank wird, ist eigentlich schon wieder ein gesundes Zeichen.

Schneider: Wie war der politische Diskurs in der Ära des damaligen Landeshauptmanns Herbert Kessler?
Gabriel: Der Diskurs war in jedem Fall viel offener, auch schärfer. Ich habe damals bei der Pro-Vorarlberg-Bewegung wüste anonyme Anrufe erhalten. Der Unterschied zu heute besteht darin, dass erst gar keine öffentliche Auseinandersetzung mehr stattfindet. Alles ist einem großen, dumpfen Schweigen gewichen. Es herrscht eine Gesinnung des permanenten Ausweichens. Man muss aufpassen, was man sagt. Das hängt mit der Angstpolitik der vergangenen Jahre zusammen. Noch nie wurde, sowohl in den Medien wie in der Politik, eine derart gigantische Angstpropaganda betrieben. Wie wir jetzt sehen, ist der Grund für die Angst austauschbar. Zuerst war es die Gesundheit, dann Putin, neuerdings die drohende Energieknappheit.

Schneider: Sie können natürlich auch nicht Kaffeesatzlesen, aber wie wird unser Gemeinwesen in einigen Jahrzehnten aussehen?
Gabriel: Ich glaube in jedem Fall, dass unsere westlichen Demokratien autoritärer werden, dass die freie Meinungsäußerung zunehmend schwieriger wird. Orban und Erdogan haben Aufwind.

Schneider: An Ihrem Lieblingsplatz gibt es ein sogenanntes Tongrab. Was hat es damit auf sich?
Gabriel: Das Grab ist nicht mehr auffindbar. Ich habe in den 70er-Jahren mit meinen Schülern eine voll besungene Tonbandkassette hier vergraben. Wir haben sie wasserdicht verpackt und einen Schatzsucherplan angelegt. Fünf Schritte von diesem Baum rechts, dann zwei Schritte links, usw. Der Plan ist verloren gegangen. Aber die Kassette liegt hier irgendwo, wenn sie die Außerirdischen nicht an sich gerissen haben.

Schneider:Ich wünsche uns allen, Herr Gabriel, dass wir Ihre originellen Gedanken bald wieder in einem großen Forum lesen können. Danke für das Gespräch.

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