Werkschau & Interview

Jimi Tenor: Mit schräger Musik die Welt vereinen

Musik
28.05.2022 15:00

Seit knapp 30 Jahren begeistert der Finne Jimi Tenor die Avantgarde-Musikliebhaber mit seiner eklektischen Mischung aus Techno, EDM, Jazz, Lounge und Afrobeat. Auf seinem neuen „Multiversum“ mischt er alle Substile zusammen, das 200-seitige Buch „Omniverse“ bietet eine profunde Rückschau auf eine Karriere nach dem DIY-Prinzip. Wir haben beim Meister selbst genauer nachgefragt.

Internationale Auftritte waren im Sommer 2021 eine Rarität. Als eines der frühen Highlights konnte das Fluc am Wiener Praterstern den finnischen Allrounder Jimi Tenor begrüßen, der mit seiner gewohnt eklektischen Mischung aus Avantgarde, Elektronik und Jazz für schwitzende Begeisterung sorgte. Wo der heute 57-Jährige sich auf seinen Alben immer mehr Richtung Weltmusik und Jazz bewegt, sind seine Liveshows meist elektronisch gehalten. In der immer beliebter werdenden Ein-Mann-Besetzung lässt es sich natürlich auch in prekären Zeiten viel leichter durch die Welt fahren. Doch Tenor liebt auch die große Bühne (wie etwa schon im Porgy & Bess bewiesen) und tritt gerne mit Big-Band auf. Sein brandneues Album „Multiversum“, schon im Titel eine Ode an Vielfalt und Gemeinschaft, schöpft einmal mehr aus diesen Bereichen und zeigt den schrägen Nordländer experimentell, verspielt und unerschöpflich motiviert. Dabei hat er doch wieder alles alleine gemacht.

Nach eigenen Kriterien
Zeit war in der Pandemie reichlich vorhanden, Tenor hat sie in seinem Heimstudio in Helsinki genutzt und fleißig an den vielen Songs geschraubt. „Ich litt zum Glück noch nie an einer Schreibblockade. Ich habe das Prinzip, sich mit einem Kaffee hinzusetzen, Stift und Papier zu nehmen und einfach an Songs zu schreiben, nie verstanden. Im Sommer 2020 ging es aber nicht anders, da habe ich wieder sehr viel dazugelernt.“ Jimi Tenor heißt eigentlich Lassi Lehto und hat sich seinen Künstlernamen vom US-Entertainer Jimmy Osmond und seinem geliebten Tenorsaxofon geliehen. 1996 eroberte er mit seiner Single „Take Me Baby“ die Techno-Tanzflächen und unterschrieb beim Branchenriesen Warp Records. Wichtigste Prämisse für Tenor: Das DIY-Prinzip bis zum Anschlag durchziehen. Immer sich selbst und der Intention vertrauen und sich keine Grenzen setzen.

In den 90er-Jahren lebte der damalige Mitdreißiger zeitweise in Barcelona, New York, London und Berlin. Er tauchte tief ein die jeweilig florierenden Club-Szenen und kreierte daraus seinen ganz eigenen Sound, der sich nie zu sehr an die jeweilige Wahlheimat anlehnte, sondern immer ausreichend Platz für originäre Klänge bot. Auch wenn er die vielen Reisen heute pragmatisch sieht. „Damals bin ich hauptsächlich meiner Freundin gefolgt. Wir sind einfach von einer Stadt in die andere und blieben dann dort. Irgendwann kamen dann meine Kinder und die mussten in die Schule. Als die Schulpflicht vorbei war, habe ich wieder zu reisen begonnen.“ Selbst in der Pandemie nutzt er die wenigen „freien“ Monate, um nach Ghana oder woandershin zu reisen, um neue Eindrücke und Inspirationen zu gewinnen. Die typisch finnische Einstellung dazu: „Man muss die Dinge im Leben einfach auf sich zukommen lassen.“

Bunte Vielfalt
Den nicht wirklich gut austarierten Gesang macht Tenor mit viel Instrumentarium und Herzblut wett. Er versuchte sich in Dub-, Club-, Techno-, Heavy Metal- und vor allem Afrobeat-Gefilden. Die schiere Menge seiner Kollaborationen würde alle Listen sprengen, als einer der glänzendsten Kompagnons reihte sich vor seinem viel zu frühen Tod der große Jazz-Drummer Tony Allen in den Reigen der Tenor-Mitstreiter. Für die Doppel-LP „Deep Sound Learning“ wühlte sich der Finne unlängst mit Warp Records durch elektronische Preziosen aus seiner Genre-Hochzeit zwischen 1993 und 2000. „Ich habe über die alten Tapes gehört. Viele Aufnahmen waren absolut unbrauchbar, in anderen schlummerte aber ein Geist, den ich freilassen wollte.“ Neben seinem Album „Multiversum“ strahlt aber vor allem das üppige Lebenswerk „Omniverse - Sounds, Sights And Stories“ besonders hell hervor.

Auf 200 Seiten versammelt er Fotos, Erinnerungen und Geschichten in gewohnt legerer Art und Weise und lässt alle Fans und Interessierten noch einmal teilhaben an einer einzigartigen und ziemlich kompromisslosen Karriere. Besonders spannend sind etwa die Rückblenden nach New York 1992 ausgefallen, als Tenor professioneller Fotograf werden wollte und dann doch nur Touristen beim Empire State Building knipste. Gleichzeitig tauchte er aber auch tief in das urbane Nachtleben und die Welt der Musik ein, wodurch diese Ära ihm als Unterlage für alles Kommende diente. „Natürlich verschönt so ein Buch die Vergangenheit. Sie wird in gewisser glorifiziert, aber dagegen ist ja nichts einzuwenden. Ich tauche manchmal wirklich gerne ein in die frühen Tage, als alles begann.“

Musik ohne Rücksicht
Für den Autodidakten ist nicht der Rhythmus, der Beat oder die Technik am Wichtigsten, sondern vorwiegend das richtige Gefühl. „Ich habe ein paar aggressive Tracks, aber ich versuche meine Nummern freundlicher und zugänglicher zu gestalten. Ich bin ein großer Fan von langen und ausgiebigen Melodien, geradezu besessen von ihnen. Ich will Musik nicht zu kompliziert machen und habe nie die großen Septakkorde benutzt, die in den 60er-Jahren so populär waren.“ Elektronisch gesehen hat sich Tenor stets gegen die „Massenware“ gestellt. Lieber egoistisch und still an den eigenen Songs arbeiten und sie nach eigenem Wunsch schichten, als einen Banger nach dem anderen zu produzieren. „Im Endeffekt ging es mir immer darum das zu machen, was mir Spaß macht - ganz ohne dabei ein bestimmtes Publikum zufriedenstellen zu müssen.“ 

Dass es trotz des kurzen Hypes Mitte der 90er-Jahre nie klappte mit dem breitflächigen Ruhm, geht Tenor dann aber doch näher, als er meist gerne zugibt. „Ich hätte absolut nichts dagegen in großen Stadien zu spielen“, lacht er, „aber mit meiner modularen, elektronischen Musik würde ich mich auf der Bühne ziemlich einsam fühlen. Es ist verrückt, dass sich die EDM-DJs dabei so wohlfühlen. Für mich wäre das in diesem Rahmen ziemlich befremdlich.“ „Multiversum“ kreuzt so gut wie alle Stile Tenors wie keine Platte zuvor. Ob Lounge-Sounds, Jazz, Afrobeat oder Elektronik - die Heterogenität des Materials geht am Ende doch ein bisschen zu Lasten der Nachvollziehbarkeit und am Ende war die Motivation, möglichst viel in möglichst kleinem Raum zu packen doch etwas überambitioniert.

Mit Planung geht nichts
Bei seiner Musik ist Jimi Tenor für gewöhnlich aber extrem selbstkritisch. „Wenn ich mich ans Klavier setze und ein paar Akkorde spiele, dann kommt in neun von zehn Fällen nichts dabei raus. Ich bevorzuge es also, zu improvisieren oder einfach herumzuspielen. In der Pandemie habe ich diese Big-Band-Songs gemacht und das Saxofon auf meinem Telefon aufgenommen. Wenn ich aber bewusst etwas machen will und es mir vornehme, dann wird es nie passieren. Anderen Musikern geht es genauso, ich habe da schon interessante Unterhaltungen geführt. Wenn du komplexe Passagen immer und immer wieder übst, kannst du sie irgendwann spielen. Aber eigentlich kannst du nie wirklich erfassen, warum du sie spielen kannst. All das ist ein sehr seltsamer Vorgang.“ Das Überraschungselement von Jimi Tenor trifft nicht nur seine Hörer, sondern vor allem ihn selbst. Ist doch gerade die Freigeistigkeit das höchste Gut in einer genormten Welt.

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