Den Hauptact gab Carlos Santana, der - um es gleich vorweg zu sagen -, bis auf seine trommelnde Ehefrau Cindy Blackman, die sich im ersten Drittel des Sets für ein Solo auf Dennis Chambers' Trommelburg schwang, keine Überraschungen im Gepäck hatte. Der 1947 in Mexiko geborene Gitarrenvirtuose kann aber ohnehin allein mit den "alten Hadern" von "Black Magic Woman" bis "Oye Como Va" und den Pophits seines Comeback-Albums "Supernatural" sowie dem Spin-off "Shaman" schon ausreichend punkten - auch wenn er gleich am Anfang unbedingt AC/DCs "Back in Black" von seinem Cover-Album "Guitar Heaven" zum Besten geben musste.
Hits und Déjà-vus
Wer vor neun Jahren die "Supernatural"-Show Santanas vor Schloss Schönbrunn Wien besucht hat, erlebte in Wiesen nicht nur einmal ein Déjà-vu: dieselben Musiker (gut so!), derselbe umwerfende Sound (noch besser!) und zu 65% dieselbe Setlist (naja...) sowie exakt dieselben "Love and Peace"-Messages vom Gitarrengott (eher öd). Mit dem Satz "We need no weapons of mass destruction, what we need are weapons of mass compassion" traf Santana vielleicht 2002 noch einen Nerv. Zwei US-Kriege, eine Finanzkrise, einen toten Terrorpaten und einen frisch begonnenen NATO-Einsatz in Libyen später, die ganz ohne W.M.D.s zu Katastrophen wurden, hätte er's vielleicht etwas adaptieren können. Richtig Zustimmung in Form von Applaus und Jubelrufen kam, als Santana erklärte, Religion und Politik seien zwei gleich korrupte Systeme. Der Nachsatz "Versteht mich nicht falsch, ich liebe Jesus Christus" sorgte dann bei einigen wiederum für Kopfschütteln.
Aber es geht auf einem Festival zuvorderst nicht um "Messages" oder Santanas Definition der Begriffe Religion und Kirche. Die Soli des Kultgitarristen waren auch am Freitag umwerfend - eigentlich war das gesamte zweistündige Konzert ein einziges Solo. Und zwar nicht nur von Santana, sondern auch seiner Mit-Musiker, die auf eine Handbewegung vom Chef, befehlsgetreu wie nordkoreanische Berufssoldaten, zu improvisieren beginnen. Vor allem die mit Schlagzeuger Dennis Chambers und den beiden Percussionisten Karl Perazzo und Raul Rekow hochkarätig besetzte Rhythmusabteilung dürfte bei der Befehlsausgabe im Burgenland die Order bekommen haben, so viele Fills wie möglich zwischen die Strophen und Santanas Solopassagen einzustreuen. Ein Volksfest für Musiklehrer und Virtuosenliebhaber, eher fordernd für all jene, die sich ein bisschen "Smooth", "Maria, Maria" und "Samba Pa Ti" (das übrigens wie 2002 nicht kam) erwartet hätten. Wer's zum ersten Mal sah, wird trotzdem beeindruckt nach Hause gegangen sein.
Musikalisches Wechselbad vor dem Grande Finale
Vor dem Auftritt Santanas, der von 22 Uhr bis kurz nach Mitternacht das fast ausverkaufte Wiesen-Areal in Stimmung hielt, gab es ein bunt zusammengewürfeltes Vorprogramm, pardon: einen Festival-Nachmittag. Den Anfang machte Martin Turner's Wishbone Ash, ein Abkömmling der 1969 gegründeten englischen Rockband Wishbone Ash, die es allerdings nach wie vor gibt und die 2008 beim "Lovely Days" aufgegeigt hatte. Genauso wie "das Original" war auch die Formation von Ex-Mitglied Martin Turner nicht gerade ein Brüller. Treffender Kommentar eines Festivalbesuchers: "Wenn die sich wieder zusammentun täten, wär's nur die halbe Qual."
Mit Power im Faktor 100:1 im Vergleich zum Opener trat dann die britische Kultformation Ten Years After an. Rock'n'Blues am sonnigen Nachmittag, mit Herz und Biss - das hat was. Der Applaus und die Begeisterung, die Gitarrist Joe Gooch vom Wiesen-Publikum für seine Darbietung einheimste, war schon fast jenen Ovationen ebenbürtig, die fünf Stunden später Carlos Santana bekam. Bis auf den 34-jährigen Gitarrenmann sind alle übrigen Mitglieder der 1967 gegründeten Band (Woodstock-Veteranen!) noch Originale.
Auf ihre eigene Art und Weise unterhaltsam war die nächste Band im Line-up: die Weltmusik-Pioniere von Osibisa. Die ghanaischen Musiker bereiteten mit ihrem "Carribbean-Rock" Ende der Sechziger den Weg für Bob Marley und Co. in den Mainstream. Der Kontrast zum fetzigen Bluesrock von Ten Years After war zwar enorm und bei der Rhythmus-Geschichte war klar, dass mit Santana danach ein ganz anderes Kaliber folgen sollte. Dennoch verbreitete das Musiker-Kollektiv beim Festival-Publikum gute Laune.
Sachen zum Horchen lieferten dann am frühen Abend Colosseum samt der britischen Saxonfonisten-Ritterfrau Barbara Thompson. Das Jazzrock-Kollektiv mit John Hiseman am Schlagzeug und dem unvergleichlichen Chris Farlowe am Mikrofon sorgte eine Stunde lang für höchste Konzentration beim Festivalpublikum - Texten, Soli und den andauernden Stilwechseln galt es zu folgen.
Weit weniger hoch lagen die Anforderungen in Sachen Stil und Lyrics bei der letzten Band vor Santana, der amerikanischen R'n'B-Formation Mother's Finest. Dampf auf voller Lautstärke und jeden Song in Sachen Groove auf den Punkt genau dort hinnageln, wo er hingehört. Länger als eine Stunde hätte man "Do the monkey, make it funky" zwar nicht standgehalten, aber so war's genau die richtige Dosis, um aufgeputscht zu Carlos Santanas Gitarren- und Percussion-Feuer übergleiten zu können.
Fazit: Am Papier sah die sechste Ausgabe des "Flowerpower"-Festivals eher weniger ansprechend aus als in den Jahren davor (vom ersten Lovely-Days-Line-up können Konzertgeher in Resteuropa nach wie vor nur träumen). Das Ergebnis war dann aber doch in Summe zufriedenstellend. Die Besucher zog das Lovely Days aber heuer mehr denn je mit seiner gemütlichen Atmosphäre an, die sich in den letzten Jahren herumgesprochen hat und unabhängig von der Musik einlädt. Ein Grund mehr, es vielleicht wieder mit einem größeren Line-up zu versuchen. Oder gar mit einem zweiten Tag...?
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