Schock und Trauer nach dem Doppelmord in Graz: Dem mutmaßlichen Täter, einem Apotheker, war offenbar alles zu viel geworden. Er hatte die Mutter gepflegt, der Bruder war auch krank - da griff er zur Waffe. Nachbarn und Apothekerkollegen beschreiben den Mann als „Kavalier der alten Schule“, aber auch als Einzelgänger.
Mittwochfrüh, 24 Stunden nach der Schreckenstat: Vor dem Mordhaus in der Grazer Leonhardstraße stehen Grabkerzen. Bewohner des Mehrparteienhauses haben sie im Gedenken an Andreas L., seine Mutter Adelheid und den Bruder Michael entzündet. Autos fahren im Schritttempo am Hochhaus vorbei, die Lenker kennen den Tatort von den Pressefotos. Auch Menschen in der Straßenbahn, die direkt am Schauplatz der Familientragödie vorbeirollt, kleben an den Fenstern und tuscheln.
„Immer wieder bleiben Leute vor dem Haus stehen oder kommen herein. Alle sind neugierig“, berichtet eine 25-jährige Hausbewohnerin der „Krone“. Die Familientragödie ist Tagesgespräch unter den Hausparteien - „wir fragen uns alle, ob man den Doppelmord und den Selbstmord verhindern hätte können. Aber damit hätte wirklich niemand hier gerechnet.“
Immer höflich und adrett gekleidet
Die junge Frau kannte den 60-jährigen mutmaßlichen Täter sehr gut, traf ihn häufig am Gang oder beim Eingang. „Er war ein sehr netter Herr, immer höflich, adrett gekleidet, stets zuvorkommend. Er hielt mir öfters die Tür auf und sagte: ,Bitte, gnä’ Frau!“
„Er war einer, der dich immer zuerst gegrüßt hat“
Die Anrainer sahen den Apotheker stets allein, ohne Begleitung: „Er war ein Einzelgänger“, so die Bewohnerin, scheute aber nie den Kontakt zu den Mitbewohnern - im Gegenteil: „Er war einer, der dich immer zuerst gegrüßt hat. Außerdem hat er einige ältere Menschen im Haus mit Medikamenten versorgt. Vor allem für die ist es unbegreiflich.“ Der Akademiker war ein Kavalier der alten Schule.
Er war einer, der dich immer zuerst gegrüßt hat. Außerdem hat er einige ältere Menschen im Haus mit Medikamenten versorgt.
Eine Nachbarin von Andreas L.
Als „unauffällig“ wurde er in der Grazer Apothekerszene wahrgenommen. „Man kennt sich untereinander, hat mit den meisten auch einen regen Austausch“, beschreibt ein Kollege. „Mit ihm gab es das nicht so wirklich, ihn hatte niemand so richtig auf dem Radar.“
Ein Schock für alle in der Apotheker-Branche
Man hätte sich zwar gewundert, warum der Betreiber nicht mehr aus der Apotheke mit dem erstklassigen Standort auf dem Jakominiplatz gemacht hat, „aber das war natürlich seine Sache“. Ob der Betreiber auch finanzielle Probleme hatte? „Corona hatte auf viele Apotheken Auswirkungen, was weiß man ...“
Schwer schockiert wären jedenfalls alle in der Branche: „Das war keiner, von dem man sagt: ,Das war eh klar, dass mit dem einmal was passiert’. Sondern jemand, von dem man sich niemals einen Gewaltakt vorstellen hätte können.“
Und trotzdem ist es passiert. Und das Motiv könnte Verzweiflung sein. Verzweiflung über eine Misere, die mittlerweile so viele Steirer trifft und für die noch immer (politisch) keine Lösung in Sicht ist: die Pflege.
„Man wird es wohl nicht mehr erfahren“
Andreas L. pflegte seine 81-jährige Mutter aufopferungsvoll, auch sein jüngerer Bruder (58) war krank. „Warum er keine externe Hilfe in Anspruch genommen hat, wird man wohl nicht mehr erfahren“, sagt Polizeisprecher Fritz Grundnig.
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