Neues Album „Terrain“

Portico Quartet: Ein anspruchsvoller Spielplatz

Musik
26.06.2021 08:00

Elektronik, ein Hang und Jazz-Referenzen so vermischt, dass man trotzdem keinen Doktortitel zum Hörgenuss braucht. Das Londoner Portico Quartet weiß eben, wie man Komplexes möglichst einfach darstellt. Jack Wyllie nimmt uns mit auf eine interessante Klangreise, die das Kollektiv unlängst zum neuen Studioalbum „Terrain“ geführt hat.

(Bild: kmm)

Die Trauer und Zerrissenheit, die man mit dem Eintritt der Corona-Pandemie ab März 2020 spürte, bezeichnete der indische Schriftsteller Arundhati Roy als „ein Portal. Eine Brücke zwischen unserer Welt und der nächsten.“ Freilich kann man den Irrungen und Wirrungen des Virus mehr oder weniger esoterisch gegenübertreten, aber das Londoner Soundkollektiv Portico Quartet traf sich im Mai 2020, also quasi noch mitten im Auge des Sturms, um diese Zeit der kollektiven Unsicherheit in ein Album zu gießen. Wem könnte das auch besser gelingen als dem zwischenzeitlich schon zwei Mal zum Trio geschrumpften Quartett, das seine Klangästhetik mit feuilletonistischer Liebhaberei anreichert. Einerseits zeigt sich die Band gerne perkussiv, andererseits sphärisch und außerweltlich. Im Zentrum des Geschehens steht freilich das Hang, ein zwischen Massagestudiobackgroundsound und karibischer Strandjamsession pendelndes Instrumentarium, das bei uns durch den umweltbewussten Klangforscher Manu Delago zu größerer Berühmtheit kam.

Klangliche Freiheit erforschen
Das sanfte Beckenprasseln ist auch wegweisend für das dreiteilige Werk „Terrain“, auf dem das Portico Quartet einmal mehr die Grenzen des Meditativen auszuschöpfen scheint und sich ohne Hast, dafür aber mit umso mehr Entspannungswirksamkeit daran macht, die ultimative musikalische Freiheit zu erforschen. Dabei ist das Hang bei den Londonern in Form von Keir Vine erst seit 2017 salonfähig. Danke dafür, denn was als spannende Mischung aus Jazz mit elektronischen Einflüssen begann, wurde durch die Mitgliederdezimierung zwischenzeitlich zu einem relativ langweiligen Electropop-Einheitsbrei. Dass die Band dabei den Terminus „Quartet“ aus dem Namen strich, machte nicht nur rein personell Sinn, sondern gibt ihnen heute die angenehme Freiheit, auf eklatante Soundunterschiede zwischen den verschiedenen Bandphasen hinweisen zu können.

„Es war einfach ein anderes Projekt, im Prinzip eine völlig andere Band“, erzählt uns Saxofonist und Gründungsmitglied Jack Wyllie im Interview, „damals habe ich gar nicht so recht verstanden, warum man uns nicht als eigenständiges Projekt angesehen hat. Mit dem Erfahrungsreichtum aus dieser Causa würde ich die Sache mit Namen und Soundänderung heute aber wohl etwas anders lösen.“ Analog werden die Instrumente eingespielt und mit den modernsten Studiotechniken rein instrumental digitalisiert. Eine nicht komplett neue, aber trotz allem eigenständige Zugangsweise, denn die Verschmelzung aus Esoterik-Klängen, Jazz, Elektronik und amerikanisch angehauchtem Minimal gibt es in der Form tatsächlich nirgends zu hören. Das Jazz-Feeling, und damit einhergehend, das Saxofon, hat man sich dieses Mal gespart, ansonsten hat wieder alles Platz, was nicht nur Klangschalenhippies wie Öl die Kehle runterrinnen sollte.

Wände sind wichtig
„Die Leute glauben, wir würden uns bei den Songs keine Grenzen setzen, dabei müssen wir das sogar“, erklärt Wyllie den eigenwilligen Soundzugang, „ein paar Wände können irrsinnig nützlich sein. Ich ziehe gerne einen Spielplatz als Metapher heran. Du entscheidest dich dort für ein bestimmtes Spielzeug, gehst dann weiter zum nächsten, kannst aber nicht alle gemeinsam unbegrenzt nutzen, weil auch andere Kinder spielen wollen. Du spielst also mit dem vorhandenen Spielzeug und reizt das so weit aus, wie es dir möglich erscheint.“ Am Schwierigsten fällt dem Portico Quartet die grundsätzliche Richtungsentscheidung. Wissen die Herren erst einmal, in welche Richtung der Sound gehen soll, sind der kreativen Schübe keine Grenzen mehr gesetzt. Bei „Terrain“ ist es eben der Fokus auf American Minimal, auf entspannte Hang-Klänge und sanfte Jazz-Preziosen, die sich wohlig und unprätentiös im Hintergrund aufhalten.

Auch wenn der Vergleich rein musikalisch hinkt, am ehesten würde sich Wyllie mit den britischen Indie-Nationalhelden Radiohead vergleichen lassen. „Aber auch diese Verbindung ist sehr fad. Damit versucht man eben, unsere Indie-Ausrichtung in irgendeine Richtung auspendeln zu lassen, obwohl der Zusammenhang kaum gegeben ist. Es gibt bei uns definitiv kleine Einflüsse von unterschiedlichen Bands, aber es gibt dafür keine Band, die wie wir klingt. Komplett eigenständig und nach niemand anderem zu klingen war überhaupt die wichtigste Prämisse, als wir uns 2005 formiert haben.“ Nach knapp zwei Dekaden im Musikbusiness haben Portico Quartet ihren Platz im Kosmos der verschrobenen Musikliebhaber gefunden. Dass man die Botschaften nur rein instrumental vermittelt, stört Wyllie nicht. „Ich visualisiere Musik und den Freiraum den wir brauchen, um unseren Sound zu kreieren. Wenn ich über ein bestimmtes Thema nachdenke, kommt mir nicht automatisch ein Text in den Sinn. Ich kann diesen Gedanken musikalischen Raum geben und muss sie nicht extra erklären.“

Reflektion in den Zwischenräumen
Die Inspirationen kommen dem Portico Quartet freilich auch nicht so üblich, wie es bei anderen Bands gemeinhin der Fall ist. „Mir kommen Gedanken zur Musik, wenn ich etwa eine Ausstellung besuche. Dort kann ich mich fallenlassen und in Zwischenräumen denken. In den Bereichen des Lebens, in denen vermeintlich nichts passiert, kann ich gut reflektieren und mir neue Ideen und Inspirationen holen. Alles was du im Leben machst, hat unterbewusst Auswirkungen auf die nächsten Schritte. So passiert auch unsere Musik.“ Da verwundert es nicht, dass Bandmitglied Duncan Bellamy als diplomierter Künstler für die grafische Aufmachung und die Verpackung der Musik verantwortlich zeichnet. „Wir sind weit von einer Popmusik entfernt, die formelhaft in einem bestimmten System funktioniert. Das macht die ganze Sache am Ende aber noch interessanter für uns.“ Portico Quartet, ein durchaus anspruchsvoller Kinderspielplatz.

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