Politisches Erdbeben

ÖVP-Rücktritte: Ist die Regierung Platter am Ende?

Tirol
05.05.2021 07:43

Es war ein politisches Erdbeben, das die Tiroler Landespolitik verändern wird: Patrizia Zoller-Frischauf kündigte Dienstagabend ihren Rücktritt als Wirtschaftslandesrätin an und überraschte damit große Teile ihrer eigenen Partei. Aber es kam noch dicker: Nur zwei Stunden später räumte auch Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg das Feld! Vonseiten der Regierungspartner und der Oppositionsparteien gibt es Lobeshymnen bis Kritik ...

Eine politische Bombe ließ Dienstag um exakt 18.12 Uhr Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf hochgehen, indem sie via privatem E-Mail-Account (!) ihren Rückzug vom Regierungsamt ankündigte, das sie 13 Jahre innehatte. „Bereits nach der Landtagswahl 2018 habe ich für mich persönlich beschlossen, dass ich zur Halbzeit der Legislaturperiode in den Landtag wechseln werde. Dies war mit Landeshauptmann Günther Platter bereits zu Beginn der Periode so besprochen“, betonte dazu Zoller-Frischauf.

Platter hat es auch nicht früher erfahren
„Nun, da die Impfungen in der breiten Bevölkerung ankommen und die Öffnung aller Teile der Wirtschaft bevorsteht, halte ich es für den richtigen Zeitpunkt, das Zepter als Wirtschaftslandesrätin zu übergeben. Ich habe deshalb heute Landeshauptmann Platter darüber informiert, dass ich diesen Schritt nun setzen möchte.“ Damit überraschte sie wohl nicht nur den Landeschef, sondern auch große Teile der eigenen Partei, für die dieser Schritt offenbar aus heiterem Himmel kam - obwohl Zoller-Frischauf neben Landesrat Tilg als Ablösekandidatin gehandelt wurde.

Eigentlich wäre der Zeitpunkt des Rücktrittes bereits im vergangenen Sommer erreicht gewesen. „Aufgrund der Corona-Pandemie war es jedoch enorm wichtig, entsprechende Stabilität und Kontinuität in der Landesregierung sicherzustellen“, begründete Zoller-Frischauf ihr längeres Bleiben.

Umstrittener Landesrat Tilg macht ebenfalls Abflug
Der insgeheim ausgemachte Rückzug mag die Partei noch nicht erschüttert haben. Das hat dann das folgende Beben erledigt: Denn wenige Stunden nach Zoller-Frischauf kündigte auch der umstrittene Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg („Alles richtig gemacht“) seinen Rückzug aus der Politik an. Auch er ist seit 2008 in der Landesregierung, auch er hat zwei Krisen an vorderster Front mitgemacht.

„Ich für mich habe den Entschluss gefasst, wieder als Professor für Medizintechnik und Medizininformatik an die UMIT zurückzukehren“, schrieb Tilg um 20.17 Uhr. Zoller-Frischauf will der Politik erhalten bleiben, sie will als Abgeordnete in den Landtag zurück. Als Schlusspunkt kündigte Platter zwei Personalien an: Der Galtürer Bürgermeister Anton Mattle soll Zoller-Frischauf folgen, Annette Leja (Geschäftsführerin des Sanatoriums Kettenbrücke in Innsbruck) Tilg.

Von Lobeshymnen bis Kritik
Die Rücktritte von Zoller-Frischauf und Tilg haben erwartungsgemäß Reaktionen ausgelöst. Sowohl die Grünen als auch Oppositionsparteien haben sich zu Wort gemeldet. Von Lobeshymnen bis hin zu kritischen Äußerungen und auch Forderungen ist alles dabei.

„Platters Team zerbröselt“
Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe und Landesrätin Gabriele Fischer (beide Grüne) bedankten sich bei den scheidenden Landesräten für die Zusammenarbeit. SPÖ-Landesparteichef Georg Dornauer betont: „Der Nachfolger von Zoller-Frischauf hat große Herausforderungen zu bewältigen. Tilg war de facto ungeeignet.“ Überrascht zeigt sich FPÖ-Landesparteichef Markus Abwerzger: „Platters Team zerbröselt offenbar. Tilgs Rücktritt kommt zu spät.“

„Tilg seit Jahren überfordert“
NEOS-Klubchef Dominik Oberhofer: „Als Landesrätin war Zoller-Frischauf offen für unsere Vorschläge, im Ressort Tilg ist vieles unrund gelaufen.“ Kritische Worte hat Liste Fritz-Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider: „Zoller-Frischauf hat ein Schattendasein geführt, Tilg war schon seit Jahren ziemlich überfordert.“

Kommentar von Claus Meinert: Auch Neuwahl steht im Raum
Selten passiert politisch in Tirol etwas Ähnliches wie Dienstag am frühen und späteren Abend: „Sirenenalarm“. Landesweit quasi! Köpferollen in der Regierung. Freiwillig? Wer es glaubt! Zunächst gab Patrizia Zoller-Frischauf ihren Rückzug bekannt. Nach 13 Jahren. Umstritten war sie fast ebenso lang. Vor allem eine im Großformat erscheinende Tageszeitung hat regelmäßig versucht, sie aus der Regierung rauszuschreiben. Ohne Erfolg.

Dann folgte, zwei Stunden später, Bernhard Tilg. Auch er war 13 Jahre Landesrat. In jüngster Zeit sehr umstritten und sein Spruch „Wir haben alles richtig gemacht“ im Vorjahr im Zuge der Corona-Pandemie ist fast schon legendär. Die Frage ist, ob Zoller-Frischauf und Tilg von selbst die Reißleine zogen, oder ob das der Anfang vom Ende dieser Regierung ist und Neuwahlen folgen (müssen)? Möglich ist es. Und Landeshauptmann Günther Platter wäre es allemal zuzutrauen. Denn er ist, was politische Taktik und damit verbundene Spielchen betrifft, ein „alter“, erfahrener Fuchs.

Und er weiß, dass in seinem jetzigen Regierungsteam noch so manche sitzen, die „Wackelkandidaten“ sind. Dazu gehört auch Landesrat Johannes Tratter, der längst (nicht mehr) als „Vertrauter“ von Platter gilt, zumal man ihm nachsagt, dass er im Landtagswahlkampf 2013 bei der ÖVP-Gegenpartei „Vorwärts Tirol“ neben Anna Hosp in den Startlöchern stand, um Platter zu stürzen. Damals wurde das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt war. Platter hat das bis heute alles überstanden.

Aus: „Meinert meint“ von Claus Meinert

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