Album nach 9 Jahren

The Offspring: „Wir verändern die Welt nicht mehr“

Musik
15.04.2021 06:00

Eine halbe Ewigkeit mussten Fans der Punkrock-Legende The Offspring auf ein neues Album ihrer Lieblinge warten. „Let The Bad Times Roll“ entschädigt dafür mit einer bewussten Old-School-Kante und der bewussten Rückbesinnung auf die großen Zeiten, ohne Politik und Gesellschaftskritik außen vor zu lassen. Dexter Holland und Noodles blödelten mit uns via Zoom und gaben tiefere Einblicke in die Welt der Kalifornier.

(Bild: kmm)

Ein neues Studioalbum der Punkrock-Legenden The Offspring wurde in den letzten Jahren zum Sickerwitz einer ganzen Szene. Das erste Mal sprach Gitarrist Noodles im Dezember 2012 vom zehnten Werk. Auch die „Krone“ wurde bei diversen Treffen mit den Offspring-Musikern immer wieder darauf heißgemacht. Frontmann Dexter Holland sprach im Zuge des Nova Rocks 2014 davon, dass es nun bald fertig sei. Darauf angesprochen schmunzelte Noodles beim Frequency 2019: „Ich sage in Interviews schon seit Jahren, dass das Album nächsten Sommer kommt, aber keiner glaubt mir mehr. Ich mir selbst übrigens am Wenigsten.“ Dass das Album nun Mitte April 2021, geschlagene neun Jahre nach dem umstrittenen und doch sehr poppigen „Days Go By“ tatsächlich erscheint, kann kaum jemand glauben. „Für uns fühlt es sich an, als würde es seit ungefähr 1985 rauskommen“, lacht Dexter Holland, der sich im brandaktuellen Zoom-Talk mit Noodles zusammengesetzt hat, „die an Guns N‘ Roses angelehnten ,Chinese Democracy‘ nehmen wir hin. Wir sind ja selbst schuld.“

Zahlreiche Stolpersteine
Faulheit kann man den Kaliforniern freilich nicht attestieren. Die ersten Songs wurden laut Holland schon 2013 geschrieben, jeden Sommer sah man die Band auf europäischen Festivalbühnen, den Rest des Jahres beackerte man die amerikanische Heimat oder diverse andere Kontinente. Zudem hat Holland 2017 nach langer Recherche und Arbeit seinen Doktortitel in Molekularbiologie für eine Thesis über HIV erhalten. Begonnen hat das ambitionierte Vorhaben schon vor Dekaden, doch dann kam eine Weltkarriere mit Millionenerlösen als Teenage Hero dazwischen… Die lange Pause resultierte aber auch aus weniger erfreulichen Vorkommnissen. Einerseits gab man 2019 die Trennung von Gründungsmitglied und Bassist Greg K. bekannt, die noch jetzt vor Gericht ausgefochten wird. Der Split mit Columbia Records setzte der Band ebenfalls zu und als ob das alles nicht reichen würde, kam noch ein kleines Virus namens Corona ins Spiel, welches das Album noch einmal um ein weiteres Jahr verzögerte.

So ist „Let The Bad Times Roll“ der wohl passendste Titel zur Situation der Band und der Welt im Allgemeinen. The Offspring nehmen die Dinge eben immer so locker wie möglich und ärgern sich nicht über Dinge, die man nicht ändern kann. „Schnapp dir ein Bier oder gleich mehrere und warte ab“, lacht Noodles in die Kamera, „keinem fällt es leicht und natürlich stecken viele Schicksale hinter dem Virus, aber wir müssen die Füße stillhalten und abwarten. Auch diese Sache geht vorbei.“ Auch wenn The Offspring vor allem an der Live-Front nachweislich eher köcheln als kochen und Frontmann Dexter Holland mittlerweile gerne die Puste ausgeht, wirkt man im Studio so frisch wie eh und je. „Let The Bad Times Roll“ ist gar eine Rückbesinnung auf die glorreichen Tage der Band, die 1994 mit „Smash“ begannen und tief bis in die 00er-Jahre reichten. Die mit Bläsern verstärkte Beziehungs-Dramödie „We Never Have Sex Anymore“ erinnert an „Why Don’t You Get A Job?“, der Titeltrack könnte ein neues „Pretty Fly“ sein und allgemein atmet die erste Albumhälfte sehr viel „Smash“- (1994) und „Ixnay On The Hombre“-Luft (1997).

Auf der Jagd nach Mozart
„Wir wollten einfach ein klassisches Offspring-Album machen“, erzählt Noodles euphorisch, „das Album hat verschiedene Dynamiken und die Songs stammen aus verschiedenen Jahren.“ Ein besonderes Highlight für Langzeit-Fans ist zweifellos die Piano-Version des 1997er-Klassikers „Gone Away“, der seit Jahren Fixpunkt im Live-Setting ist. „Live sorgt die Nummer immer für einen intimen und berührenden Moment zwischen all dem Krach“, lacht Holland, „und wir haben über die Jahre viele Nachrichten von Fans bekommen, die die Piano-Variante gerne im Studio eingespielt gehört hätten. Die Idee fanden wir auch gut und nun haben wir sie durchgezogen.“ Das Interlude, das ebenfalls an die alten Zeiten erinnert, ist übrigens Edvard Griegs „In The Hall Of The Mountain King“. „Ein ungefähr 200 Jahre alter Klassiker, den bislang niemand richtig gemacht hat“, lacht Noodles mit dem typischen Offspring-Humor, „in den USA wird die Nummer oft für Cartoons verwendet und wir haben gerne damit experimentiert. Und euch Österreichern sage ich nur eines: Mozart pass auf! Du bist der nächste! Wir jagen dich, Wolfgang - auch wenn du ordentlich vorgelegt hast.“

Bei all dem Spaß vergisst man allzu gerne, dass die Punkrocker schon immer ernsthafte Themen angeschnitten haben. So geht der Opener „This Is Not Utopia“ mit der Textzeile „the roots Of Ameria are the roots of hysteria“ direkt auf die derzeitige Schieflage in der US-Heimat ein. „Die Menschen haben verlernt zu diskutieren und sich zu respektieren. Wir leben in der gemeinhin friedlichsten und angenehmsten Zeit der Weltgeschichte und die Leute hören nicht damit auf, sich verbal fertigzumachen und aufeinander loszugehen.“ Holland pflichtet seinem Bandkollegen und Freund bei: „Man darf aber nicht vergessen, dass Hysterie in der Geschichte immer ihren Platz hatte. Denk zurück an die Hexenjagd, die Französische Revolution oder die Inquisition. Hysterie ist der Teil der Gesellschaft, der immer genau dann aufbricht, wenn etwas nicht gut läuft.“

Legale Todesfolge
„Army Of One“ und „Breaking These Bones“, zwei frühe Highlights auf dem neuen Album, setzen sich mit Depressionen, psychischen Krankheiten und Suizidgedanken auseinander, während das flotte, ebenfalls an die 90er-Offspring-angelehnte „The Opioid Diaries“ den grassierenden Medikamenten- und Drogenmissbrauch in Amerika anprangert. „Die Pharmafirmen machen mit legalen Medikamenten ein Riesengeld und treiben die Leute bei uns in die Abhängigkeit“, kommt Noodles in einen wütenden Redeschwall, „all das wird viel zu stark romantisiert. Es ist nicht so, dass nur Jim Carroll, Lou Reed oder die New York Dolls davon abhängig wurden. Es trifft High-School-Footballer, Klempner und Bankangestellte gleichermaßen. Die Kids glauben, sie werfen sich eine harmlose Partydroge ein, doch eines von drei stirbt daran. Der Punkt des Songs ist, dass die Leute an etwas zugrunde gehen, das ihnen nicht bewusst ist, weil sie es legal verschrieben kriegen.“

So halten sich komödiantische Aspekte und ernste Themen die Waage, nur musikalisch ist man vornehmlich fröhlich-fidel unterwegs. Deutlich kantiger und rockiger als auf „Days Go By“, aber ehrlicherweise auch weit von der jugendlichen Frische und dem Rebellentum der frühen Tage entfernt. Innerhalb der Band überwiegt die Freude darüber, dass man niemals erwachsen werden muss. „In den frühen Tagen sind wir in Vans und Pick-Up-Trucks durchs Land gefahren und haben in jeder Scheune gespielt“, sinniert Noodles, „diese Erinnerungen sind so frisch, als wäre es zwei Wochen her. Wir haben die Songs früher sicher aus einer anderen Perspektive geschrieben, aber so ist der Lauf des Lebens. Das Rad der Zeit dreht sich weiter. Wir haben es über all die Jahre geschafft, einen Signature-Sound zu kreieren und immer direkt nach uns zu klingen. Das ist schon ziemlich cool.“ Holland ergänzt: „Es ist natürlich ein steter Kampf, sich nicht dauernd zu wiederholen. Wir haben unsere Pfade auf den beiden letzten Alben erweitert und wollten nun wieder zu unseren Ursprüngen zurück. Für die Fans gibt es jetzt genug Material, aus dem sie ihre Favoriten wählen können.“

Keine Weltveränderung
The Offspring haben mittlerweile ein Publikum, dass sich zu Teilen aus Kids rekrutiert, die noch nicht einmal geboren waren, als „Smash“ den Punkrock einst für den Mainstreammarkt öffnete. „Das ist eine richtig großartige Sache, denn es ist alles andere als selbstverständlich, dass die junge Generation uns alte Säcke sehen und hören will“, ist Noodles dankbar, „wir waren nie so eine große Polit-Band wie Rage Against The Machine, aber man weiß, wofür wir stehen. Wer sich für unsere Texte interessiert, der kann darin eintauchen und sich dabei inspirieren lassen, weiter nachzuforschen. Wer das nicht will, der kann bei uns tanzen. Die Welt verändern wir sicher nicht, das ist uns bewusst.“ 2021 wird wohl der zweite Sommer ohne ein Offspring-Konzert in Österreich sein. Das ist quasi unvorstellbar. „Wir vermissen die Konzerte mittlerweile selbst so sehr, dass wir im Proberaum so tun, als würden wir in den fettesten Stadien spielen“, lacht der Gitarrist laut los, „wir sind aber wirklich fleißig, denn wenn wir die neuen Songs spielen werden, dann soll das auch richtig gut klingen.“ Mit Ankündigungen sollte man bei The Offspring vorsichtig sein, aber Noodles meint „wir möchten gerne bald ein weiteres Album nachschießen“. Zwischen Herbst 2021 und Sommer 2035 ist wohl alles möglich…

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