„Bewerbungsgespräche“

Polnische Wirte öffnen trotz Corona-Lockdown

Ausland
11.02.2021 15:08

Um einem drohenden Ruin zu entgehen, widersetzen sich in Polen zahlreiche Gastronomen den Corona-Verordnungen der Regierung - und öffnen oft unter dubiosen Vorwänden wie „Personalschulungen“ oder „Testessen“ für ihre Gäste. Ernsthafte Konsequenzen hat das für sie noch nicht - Grund dafür ist die wackelige Rechtslage, die Restaurantbetreiber meist vor Strafen bewahrt.

Eigentlich dürften die Gastronomie-Betriebe ihre Speisen und Getränke nur außer Haus anbieten, doch ein Lokalaugenschein des „Stern“ zeichnet ein anderes Bild. Immer mehr Lokale in Polen widersetzen sich dem von der Regierung verordneten Lockdown.

„Man muss doch irgendwie leben“
So drängen sich etwa in der Kneipe „PiwPaw“ im Zentrum von Warschau abends die Gäste. Grüppchen von jungen Leuten stehen bei Kerzenschein zusammen, die Barmänner am Tresen zapfen ein Bier nach dem anderen, Kellner flitzen hin und her. „Wir haben 40 verschiedene Sorten Bier“, sagt einer von ihnen stolz. Eine Maske trägt er nicht - genauso wenig wie die Gäste. 

Die Lokale sind zum Teil wieder gut gefüllt: 

„Man muss doch irgendwie leben“, erklärt der Eigentümer des „PiwPaw“. Mehrere Millionen Zloty habe er durch den Lockdown verloren, aus dem Rettungsschirm der Regierung erhalte er vielleicht 300.000 Zloty - umgerechnet etwa 70.000 Euro. „Ich hatte eine supergut funktionierende Firma. Diese Firma existiert jetzt schon nicht mehr“, sagt Maciag frustriert.

Gemeinsame Initiative
Der Kneipenbesitzer Maciag ist nicht allein. Er ist Teil der Kampagne „Otwieramy“ („Wir öffnen“) von Gastronomiebetrieben und anderen Unternehmen, die ein Ende des Lockdowns fordern. „Wir erwarten von der Regierung, dass sie uns erlaubt, normal zu arbeiten, und dass sie Arbeitsplätze nicht grundlos zerstört. Wir wollen, dass Bars und Restaurants öffnen können“, sagt Michal Wojciechowski von der Initiative. Mehrere Hundert Restaurants und Kneipen sind nach seinen Angaben daran beteiligt.

Kreative Umgehungsstrategien
Die Polen sind dabei sehr ideenreich bei dem Versuch, die illegale Öffnung mehr oder weniger notdürftig zu kaschieren. „Personalschulung“, murmelt die Kellnerin in einer Cocktailbar und zieht hastig die Vorhänge zu einem hinteren Raum zu - andernorts wird man auf „Bewerbungsgespräche“ verwiesen. Manche Restaurants überreichen ihren Gästen einen einseitigen Vertrag, wonach sie an einem „Testessen“ teilnehmen. Andere veranstalten „Food Workshops“. Das „PiwPaw“ hat sich eher scherzhaft zum „Museum für Kronkorken“ erklärt.

Wackelige Rechtslage
Die Gesundheitsämter und die Polizei haben ihre Kontrollen in den Kneipen und Restaurants zwar verschärft, wirklich Angst haben die Betreiber dadurch aber nicht. Denn die Rechtslage für die Corona-Einschränkungen ist ziemlich wackelig. Oft entscheiden Gerichte auch zugunsten der Bürger und heben die ausgesprochenen Strafen sogleich wieder auf. 

„Die Verordnung ist problematisch. Denn laut der polnischen Verfassung muss der Ausnahmezustand erklärt werden, damit derart weitgehende Einschränkungen verhängt werden können und de facto die Gewerbetätigkeit verboten wird“, erklärt der Jurist Piotr Wodkowski. Doch die nationalkonservative PiS-Regierung ist bislang davor zurückgeschreckt, den Not- und den Ausnahmezustand zu verhängen. Denn dann hätten die Unternehmer Ansprüche auf hohe Entschädigungen.

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