Tausend Betroffene

Konvoi nach Kroatien: „Angst vor weiteren Beben“

Ausland
22.01.2021 14:03

Ein verheerendes Erdbeben hat am 29. Dezember Kroatien erschüttert - das heftigste seit Hunderten von Jahren. Am stärksten betroffen sind die Städte Petrinja, Sisak und Glina unweit von Zagreb. Dort sind Tausende Häuser beschädigt oder zerstört. krone.tv begleitete einen privaten Hilfskonvoi aus Österreich, sprach mit den Helfern und besuchte die Betroffenen. 

Die Hilfsaktion für Opfer des Erdbebens ist im burgenländischen Rudersdorf gestartet worden. Mit Unterstützung vieler umliegender Gemeinden, Unternehmer und Privatpersonen sind bis jetzt 17 Transporter voller Hilfsgüter und Spenden in die Krisenregion gebracht worden. Thomas König ist einer der Initiatoren. Wir treffen ihn im Lagerraum der Theresiensiedlung in Jennersdorf. In nur drei Stunden, um 2 Uhr früh, starten zwei Lkw Richtung Petrinja. Viele der 13 Tonnen an Paletten wurden hier zwischengelagert. Weiterhin treffen Spenden ein, der Raum füllt sich erneut. König ahnt, dass das keine kurzfristige Sache ist: „Die Aktion wird unbefristet weiterlaufen. Wir werden weitersammeln.“  

Schutt, Scherben, Trümmer
Treffpunkt ist ein Fuhrpark im Ort.
Bezirkspolizeikommandant Markus Tschank leitet den Hilfskonvoi und verteilt Mautbefreiungen und Schilder, um alle Lkw als „Hilfskonvoi“ zu kennzeichnen. Es geht in Richtung Kroatien los. Der Weg führt über die Slowakei zum Hilfslager des Kroatischen Roten Kreuzes, mit nur einer halben Stunde Pause.

Bei der Ankunft wird das Ausmaß des Erdbebens sichtbar. Tagelang waren kroatischen Streitkräfte mit dem Wegräumen der Trümmer beschäftigt. An den Straßenrändern liegt verschneiter Schutt,  Mauerwände sind umgekippt, man sieht Ziegel und alte Schornsteinreste sowie Scherben der Glasfronten von ehemaligen Geschäftslokalen. Absperrbänder ummanteln alte Hausfronten, viele sind mit einem „X“ aus rotem Lack besprüht. „X“ steht für „einsturzgefährdet“. Jedes Haus wird dafür gleich zweimal begutachtet.  

Schwierige Bedingungen, Hunderte Helfer
Im Lager des Kroatischen Roten Kreuz angekommen, ein Hoffnungsschimmer: Kroatien ist nicht alleine. Wie am Fließband treffen hier täglich Spenden ein - Lkw werden gemeinsam mit den kroatischen Streitkräften ausgeladen und in einer Tennishalle untergebracht, sortiert, portioniert und verteilt. Ab und an ist zu beobachten, wie Betroffene still und voller Demut Wasserflaschen in ihr Auto laden und wegfahren. Man erzählt uns, die Hilfe sei überwältigend. Kurze Zeit nach dem Beben trafen aus ganz Kroatien Menschen ein, bis die Polizei die Hilfsbereitschaft aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens stoppen musste.

Auch heute treffen Helfer ein und packen mit an. Nun sind Manfred Tschank und seine Kollegen dran. „Lebensmittel, Kleidung, Stromaggregate und mehr“ hat er dabei. Der Eingang zur Halle ist schmal, einen elektrischen Gabelstapler gibt es keinen. „Improvisation ist alles“, sagt ein Mitarbeiter zu Tschank. Heißt soviel wie händisches Ausladen von bis zu 200 Kilogramm schweren Paletten.  

Jahrelange Arbeit steht bevor, einsturzgefährdete Häuser
Auch für
Katarina Zoric, seit fünf Jahren Pressesprecherin beim Roten Kreuz, ist das Lager Treffpunkt. Sie und ihr Team bereiten sich auf einen Hausbesuch eines älteren Ehepaares vor. 100 Helfer, aufgeteilt in zehn Teams, fahren täglich in die Dörfer: „Wir, etwa 600 Personen, bestehend aus Freiwilligen und Berufsleuten, sind fürs Rote Kreuz im Einsatz. Wir arbeiten unermüdlich Tag und Nacht, weil es sehr viele Betroffene gibt, die unsere Hilfe benötigen. Es schneit, es ist kalt. Der Bedarf an Decken und warmer Kleidung ist dadurch groß. Wir tun unser Bestes. Momentan haben wir alles im Griff. Das Kroatische Rote Kreuz wird hierbleiben, egal ob Monate oder Jahre.“  

Viele leben weiterhin in ihren einsturzgefährdeten Häusern. „Die Betroffenen wohnen meist in sehr, sehr kleinen Dörfern, die eigentlich kaum als Dörfer bezeichnet werden können. Da stehen ein bis zwei Häuser in abgelegenen Orten, die schwierig zu erreichen sind. Vor allem, wenn es schneit. Wohncontainer werden dankend angenommen. Sie akzeptieren jede Lösung, solange sie in der Nähe von ihrem Zuhause weiterleben können. Viele haben Haustiere, um die sie sich weiterhin kümmern wollen und müssen. Sie haben Jahrzehnte in ihrem Zuhause gewohnt. Sie werden ihre Häuser nicht verlassen. Das wissen wir. Aber wenigstens haben sie Container, die sind warm und sauber. Es ist nicht viel, aber besser als nichts.“ 

„Es gibt hier Diebe nach so einer Katastrophe
Es geht in ein nahelegenes Dorf. Hier leben Jozefina und Niko Barac. Seit 1993 sind sie hier zu Hause. Der Krieg hat schon damals alles zerstört, die Zeit scheint für das Paar so ungewiss wie einst. Nach einigen Nächten im Auto schlafen sie baldmöglichst in einem Wohncontainer im Garten: „Unser Leben hat sich komplett verändert. Ich bin alt, mein Mann ist alt und wir sind beide schwer krank. Wir haben kein funktionierendes WC. Wir leben jetzt in dem Container im Garten, machen uns Sorgen um die Zukunft und wie es weitergehen soll. Unser Haus ist nun einsturzgefährdet. Außerdem fürchten wir uns vor weiteren Erdbeben. Wir haben einen Hund und wollen nicht, dass unsere Wertsachen gestohlen werden. Es gibt hier Diebe nach so einer Katastrophe.“

Nachbarn bitten um Hilfe für Betroffene 
Beide bedanken sich bei Zoric und ihrem Team. Es war nicht ihr letzter Besuch. Zoric weiß, sie muss noch einiges herbringen: „Wir haben ihnen zwar schon Betten gebracht, aber die sind nichts für alte Menschen, die schwer aufstehen können. Also müssen andere Betten her. Wir haben auch Bettwäsche und Decken sowie Essen und Hygieneartikel mitgebracht. Aber wir müssen sicherlich nochmal vorbeischauen.

Für das Team geht es zum nächsten Haus. Ein Mitarbeiter erklärt, wie sich die Menschen hier insgeheim fühlen: „Viele sind einfach zu stolz, um sich helfen zu lassen in einer Situation, für die sie nichts können. Manchmal rufen uns deswegen Nachbarn an und bitten uns, diese Leute doch zu besuchen.“

Nach 48 Stunden sind alle müde, in einer halben Stunde geht es zurück Richtung Österreich, wo sich alles um Corona dreht. Manch anderes Leid gerät dadurch in Vergessenheit.

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