WhatsApp & Co.

Terror: EU will Verschlüsselung einschränken

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11.11.2020 12:34

Wenige Tage nach dem Terroranschlag in Wien planen die EU-Staaten offenbar eine Ausweitung der digitalen Überwachung. Im Raum steht Medienberichten zufolge auch ein mögliches Verschlüsselungsverbot für Messengerdienste wie WhatsApp & Co. 

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hatte im Auftrag der EU-Staaten einen Resolutionsentwurf zum Umgang mit Verschlüsselung ausgearbeitet, wie das deutsche Innenministerium laut dpa bestätigte. Ziel sei jedoch zunächst nur ein „dauerhafter Dialog mit der Industrie“ über Lösungsvorschläge, die „einen möglichst geringen Eingriff in die Verschlüsselungssysteme darstellen“. Der Resolutionsentwurf enthalte keine Lösungsvorschläge oder Forderungen nach Schwächung von Verschlüsselungssystemen.

Die NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon fordert als Reaktion aber die EU-Kommission, den Europäischen Rat und den deutschen EU-Ratsvorsitz dazu auf, von dem Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten abzusehen. Mitunterzeichner sind bisher die niederländische Liberale Sophie in t‘ Veld und Moritz Körner von der FDP. 

„Wir lehnen es insbesondere ab, die jüngsten Terroranschläge als Mittel zur Förderung dieser Agenda zu nutzen“, heißt es in dem Schreiben. Aktuelle Vorschriften ermöglichten den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf eine bereits große Menge an Daten und Informationen. Wir stimmen mit Datenschutzspezialisten darin überein, dass „der Zugang verhältnismäßig und zielgerichtet bleiben muss“ und die Strafverfolgung „sich darauf konzentrieren sollte, ihre Fähigkeit zur Interpretation dieser Daten zur Ermittlung und Verfolgung von Kriminellen zu verbessern“, schreiben die EU-Abgeordneten.

Das Thema soll laut EU-Ratskreisen tatsächlich im Dezember von den EU-Innenministern behandelt werden. Zum Beschluss liege jedoch eine Absichtserklärung vor, die nicht von den üblichen Forderungen abweiche, und kein Rechtsakt sei, hieß es am Montag aus Brüssel. Ein solcher müsste von der EU-Kommission kommen. Die Formulierung, welche im Dezember angenommen werden soll, entspreche der bisherigen. Strafverfolgungsbehörden solle der Zugriff auf offensichtliche Beweismittel ermöglicht werden, WhatsApp und Co. keinen rechtsfreien Raum darstellen. Diese Diskussion laufe schon länger, nicht erst seit den jüngsten Terroranschlägen in Frankreich und Österreich.

„Mehr Überwachung ist definitiv die falsche Antwort auf Terrorismus“
Auch seitens der SPÖ und FPÖ kam Kritik an derartigen Plänen. „Mehr Überwachung ist definitiv die falsche Antwort auf Terrorismus“, lautetet etwa ein Kommentar aus den Reihen der Sozialdemokraten. Dabei habe gerade der Terroranschlag in Wien gezeigt, dass „mangelnde Daten nicht das Problem“ gewesen seien. Das Vorhaben sei „ein Blankoscheck, um auf unsere privaten Nachrichten auf WhatsApp & Co zuzugreifen“ und stelle einen „massiven Eingriff“ in die Grundrechte dar. Die FPÖ sprach von einem „Generalangriff auf das Telekommunikationsgeheimnis“.

Chaos Computer Club warnt vor „Schuss ins eigene Knie“
Kritik kam auch vom deutschen Chaos Computer Club: „Das Vorhaben des EU-Ministerrats geht in die völlig falsche Richtung. Sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss die Regel werden, um den Schutz von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik im 21. Jahrhundert zu gewährleisten. Stattdessen würde uns dieser Schuss ins eigene Knie zurück in die Steinzeit katapultieren“, so dessen Sprecher, Dirk Engling. In einer digitalisierten Welt bräuchten Unternehmen Schutz vor Wirtschaftsspionage und Bürgerinnen Schutz vor allumfassender Überwachung durch Konzerne, Regierungen und Kriminelle.

Verschlüsselung könne nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden. Entweder sei sie sicher oder sie sei es nicht, so der Club in einer Stellungnahme. Man könne Verschlüsselung nicht so schwächen, dass die Schwächen nur durch Strafverfolgungsbehörden ausgenutzt werden könnten. Wohl aber könnten versierte Nutzer auf kaputte Kryptographie verzichten. Im Ergebnis hätten nur noch Kriminelle wahren Schutz.

„Backdoors nicht dauerhaft kontrollierbar“
Der deutsche Branchenverband Bitkom kritisierte ebenfalls die geplanten Hintertüren: „Terrorismus und andere Formen schwerster Kriminalität müssen konsequent bekämpft werden können - digital und analog. Behörden müssen dazu fähig und entsprechend ausgestattet sein. Hintertüren in Kommunikationsdiensten können dafür aber nicht die Lösung sein. Wer Verschlüsselungen aufweicht, schwächt die IT-Sicherheit insgesamt. Backdoors sind nicht dauerhaft kontrollierbar und zugleich eine Einladung an Cyberkriminelle und ausländische Nachrichtendienste. Das eigentliche Ziel würde zudem verfehlt, da Kriminelle auf Dienste ausweichen würden, die mit EU-Gesetzen nicht zu erreichen sind“, erklärte Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung. Statt Sicherheit aufzugeben, brauche es vor allem mehr qualifizierte Mitarbeiter in Behörden, die im digitalen Raum ermitteln könnten, forderte sie

Terrorserie in Europa
Bei dem Anschlag in der Wiener Innenstadt waren Anfang der vergangenen Woche vier Menschen erschossen und zahlreiche verletzt worden. In Paris hatte ein islamistisch motivierte Attentäter Mitte Oktober in der Nähe von Paris einen Lehrer enthauptet, der im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt und zum Thema Meinungsfreiheit besprochen haben soll. Ende des Monats wurden bei einem Messerangriff in einer Kirche in Nizza drei Menschen getötet. In Dresden hatte knapp vier Wochen zuvor ein Messerangriff auf Touristen ein Menschenleben und einen Verletzten gefordert.

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