Polit-Krise im Libanon

Premier tritt ab: „Korruption größer als Libanon“

Ausland
10.08.2020 19:40

Der wachsende Zorn über eine möglicherweise vermeidbare Explosion mit vielen Toten und Verletzten in Beirut hat die Regierung von Premierminister Hassan Diab nun zu Fall gebracht. Der Regierungschef erklärte am Montagabend seinen Rücktritt. Unterdessen gingen die Proteste in der libanesischen Hauptstadt weiter. Demonstranten versuchten, eine Betonabsperrung zum Parlament im Zentrum der Stadt zu überwinden, wie am Montag auf Bildern des libanesischen Senders LBCI zu sehen war. Dabei warfen sie auch Steine. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um die Menge zu vertreiben.

Bei seiner Ansprache an das libanesische Volk betonte Diab, man stehe geeint mit dem Volk im Ruf nach Gerechtigkeit für „dieses Verbrechen“. Der 61-Jährige machte die weit verbreitete Korruption im Land für die Explosionskatastrophe mitverantwortlich. Die Korruption sei größer als der Libanon. Einigen gehe es nur darum, politische Punkte zu erzielen, meinte Diab.

Premier liefen Minister davon
Der Regierungschef hatte bis zuletzt versucht, mit vorgezogenen Neuwahlen, das Ruder umzureißen. Doch ihm liefen die Minister davon. Nach zwei Rücktritten (Informationsministerin Mandal Abdel Samad, Umweltminister Damianos Kattar) am Wochenende gaben am Montag auch Justizministerin Marie-Claude Nadschm und Finanzminister Ghasi Washni ihr Ausscheiden aus der Regierung bekannt.

Viele Libanesen machen die Regierung für die Explosion im Beiruter Hafen mit mindestens 160 Toten und mehr als 6000 Verletzten verantwortlich. Am Wochenende schlugen Demonstrationen im Zentrum der Stadt gegen die politische Elite in Chaos und Gewalt um. Aufgebrachte Demonstranten wollten Absperrungen zum Parlament durchbrechen, Sicherheitskräfte setzen Tränengas ein. Über Stunden kam es zu Zusammenstößen. Ein Polizist wurde nach offiziellen Angaben getötet, mehr als 200 Menschen erlitten Verletzungen. Aufgebrachte Demonstranten stürmten mehrere Ministerien.

Diab hatte erst im Jänner nach einer monatelangen Hängepartie das Amt des Regierungschefs in dem Land am Mittelmeer übernommen. Er folgte auf Saad al-Hariri, der nach Massenprotesten Ende Oktober zurückgetreten war. Diabs Regierung wird unter anderem von der Iran-treuen Hisbollah unterstützt, die im Libanon extrem mächtig ist. Wegen einer schweren Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie sind in seiner Amtszeit große Teile der libanesischen Bevölkerung in die Armut abgerutscht.

Ohne Hisbollah keine neue Regierung
Nach dem Regierungsrücktritt müssen sich die führenden politischen Blöcke im Parlament auf einen Nachfolger für Diab einigen. Eine zentrale Rolle spielt die Iran-treue schiitische Hisbollah, die zu den einflussreichsten politischen Kräften des Landes gehört. Gegen die Hisbollah kann kaum eine Regierung gebildet werden. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass auch eine vorgezogene Neuwahl des Parlaments die Lage nicht beruhigen kann. Die Demonstranten verlangen weitgehende politische Reformen.

250 Millionen Euro Soforthilfe an den Libanon
Diese Forderungen sind zum Teil auch an die ausländischen Finanzhilfen gebunden. Am Wochenende wurden im Zuge einer Geberkonferenz unter der Leitung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der Vereinten Nationen 250 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. Die Hilfsgelder sollen nach dem Willen der Geberländer direkt an die Bevölkerung fließen. „In dieser schrecklichen Zeit ist der Libanon nicht allein“, versicherten die rund 30 Geberländer zum Abschluss der Konferenz am Sonntag. Allerdings forderten sie, die Hilfsgelder müssten von den Vereinten Nationen koordiniert werden und „mit maximaler Effizienz und Transparenz direkt“ an die Bevölkerung fließen.

Der Internationale Währungsfonds will dem Libanon mit einem Rettungspaket helfen, verlangt dafür aber eine politische Einigung auf umfassende Reformen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte ebenfalls politische Veränderungen an. Zugleich sagte er langfristige Unterstützung zu. „Das System der Vereinten Nationen wird dem Libanon in dieser Notlage weiterhin auf jede mögliche Art und Weise helfen“, so Guterres am Montag.

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