Nach deutscher Kritik

Kurz verteidigt in Brief „nationale Antworten“

Politik
01.07.2020 19:00

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bläst aus Deutschland wegen seiner skeptischen Haltung gegenüber dem vorgeschlagenen EU-Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Corona-Krise weiterhin ein rauer Wind entgegen. „Ich habe mich zum wiederholten Mal gefragt, was aus dem Sebastian Kurz geworden ist, den ich 2015 kennen- und schätzen gelernt habe, der mit viel Leidenschaft für ein starkes und geschlossenes Europa kämpfte“, schrieb SPD-Politikerin Sawsan Chebli in einem Gastbeitrag in einer deutschen Wochenzeitung. Sie warf Kurz „nationalen Egoismus“ in der Corona-Krise vor. Kurz ließ die Kritik in einem Antwortschreiben nicht gelten: „Wir sind keine schlechteren Europäer, nur weil wir auf die Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern verweisen. Die Mehrheit der Österreicher lehnt eine Schuldenunion ab.“

Die Auseinandersetzung der beiden Politiker ist Teil der „Christ & Welt“-Serie „Corona-Briefe“ in der Wochenzeitung „Die Zeit“, einer Reihe von Briefwechseln verschiedener Persönlichkeiten über die Welt in der Krise. Eine Einigung auf den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU sowie einen Aufbauplan zustande zu bringen, gilt als große Herausforderung für den deutschen EU-Ratsvorsitz. Am Mittwoch hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen.

Chebli: „Begriff ,Schuldenunion‘ stimmt mich traurig“
Chebli ging in ihrem Brief mit Kurz hart ins Gericht. Sie wirft dem Kanzler vor, derzeit nicht entschlossen genug für ein geeintes Europa in der Krise einzutreten. „Du lehnst einen Wiederaufbauplan ab und hast, anstatt nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen, einen Gegenvorschlag unterbreitet, den die besonders stark betroffenen Staaten als demütigend empfinden mussten. Du wolltest, wie du es formuliert hast, nicht, dass die Corona-Hilfe zu einer ,Schuldenunion durch die Hintertür‘ wird. Der Begriff ,Schuldenunion‘ stimmt mich traurig, angesichts der Bilder aus Bergamo und Madrid“, so Chebli.

Der Ex-Außenminister Kurz und Chebli kennen sich übrigens aus ihrer Zeit als Mitarbeiterin im deutschen Außenministerium.

Chebli verstehe nicht, wieso Kurz so vehement gegen den Corona-Wiederaufbauplan der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sei. „Die Bewältigung der Corona-Krise biete eine große Chance, dem europäischen Gedanken Leben einzuhauchen und Bedeutung zu verleihen: Wir lassen niemanden im Stich, keiner muss betteln, um in Not Solidarität zu erfahren.“ Kurz tritt in Sachen Wiederaufbaufonds bekanntlich für eine klare zeitliche Befristung und Kredite statt Zuschüssen ein.

Appell an Kurz: „Europas Schicksal liegt auch in deiner Hand“
Chebli schrieb weiters, dass sie von Kurz während seiner Zeit als Außenminister noch bewundert habe. Auch beim Thema Integration. „Ich war begeistert, mit welcher Bodenständigkeit du in Brüssel aufgetreten bist und vor allem, mit wie viel Herz du dich für Solidarität und gemeinsame europäische Lösungen stark gemacht hast.“ Doch dann sei die Kehrwende gekommen. „Oft hörte ich von dir eine Sprache, der sich sonst die Rechtspopulisten bedienen. Eine Sprache, die nicht verbindet, sondern spaltet“, so Chebli. Sie mache sich daher Sorgen um den Zustand Europas und glaube, dass Kurz eine maßgebliche Rolle bei der Beantwortung der Frage spielen könne, wohin Europa steuert. „Europas Schicksal liegt auch in deiner Hand“, appellierte sie an den Kanzler. Für sie sei Europa das, was sie als staatenloses Kind nicht gehabt hätte - „Freiheit, Zugehörigkeit, Solidarität und Grenzenlosigkeit“.

Kurz: „Österreich hat in Corona-Krise von Anfang an Solidarität gezeigt“
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) konterte in seinem Antwortschreiben, das am Donnerstag in der „Zeit“ erscheint, gegen Cheblis Vorwürfe. Demnach habe Österreich in der Corona-Krise von Anfang an Solidarität gezeigt. „Wir haben Intensivpatienten aus Italien, Frankreich, und Montenegro aufgenommen, um Leben zu retten. Italien sowie die Staaten des Westbalkans haben von uns zudem Hilfslieferungen mit Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel erhalten.“ Auch habe man bereits ein 540-Milliarden-Euro schweres Hilfspaket auf den Weg gebracht, das insbesondere dem Gesundheitssektor in diesen Ländern seit Juni zur Verfügung stehe.

„Haben eine große Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern“
Seine (gemeinsam mit Dänemark, Schweden und den Niederlanden) Skepsis gegenüber dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen EU-Wiederaufbaufonds sei jedoch legitim. „Wir haben eine große Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern, die durch eine schwere Rezession in unseren eigenen Ländern bereits eine hohe Last zu schultern haben. Wie kann es plötzlich verantwortungsvoll sein, 500 Milliarden Euro an geborgtem Geld auszugeben und die Rechnung in die Zukunft zu schicken?“, fragte Kurz die SPD-Politikerin.

„Vorschläge von Berlin und Paris nicht einfach abnicken“
Sein Verständnis von Europa sei es jedenfalls nicht, dass man Vorschläge von Berlin und Paris einfach abnicke. „Es ist gut, dass zwei so große Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich Vorschläge vorlegen, um einen wichtigen Beitrag zur europäischen Debatte zu leisten. Genauso wichtig ist es aber, dass wir uns Europa als Ort lebhafter Diskussion auf Augenhöhe erhalten.“ In der aktuell schwierigen Notlage müsse man sich einander in Europa helfen, „aber mit Augenmaß und Verantwortung“. Dies sei man den zukünftigen Generationen schuldig. „Es muss uns wieder gelingen, Europa näher an die Bürger zu bringen.“ Er sei daher zuversichtlich, dass am Ende eine Einigung in der Frage des europäischen Wiederaufbaufonds gelingen werde.

Kurz: Abseits von linken Träumern und rechten Hetzern
Auch seine harte Linie in Sachen Zuwanderung und Integration verteidigte Kurz. „Mir war es stets ein großes Anliegen, die Debatte über Integration in Österreich wieder zu versachlichen - abseits von linken Träumern und rechten Hetzern.“ Man solle seiner Meinung nach Probleme nicht zudecken, aber auch nicht ausnützen. Vielmehr solle man Probleme ansprechen, aber nicht missbrauchen. „Grundwerte wie die Gleichstellung von Mann und Frau oder Meinungsfreiheit dürfen von niemandem infrage gestellt werden. Der Entwicklung von Parallelgesellschaften müssen wir von Anfang an Einhalt gebieten.“ 

Kurz streute der SPD-Politikerin in seinem Brief auch Rosen. „Dein Beispiel kann vielen anderen Menschen Mut machen, denn du hast es durch deine eigene Leistung weit gebracht.“

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