Wehrpflicht-Debatte

Experte Karner: “Bundesheer keine Schule fürs Volk”

Österreich
15.07.2010 16:21
Brigadier und Militärstratege Gerald Karner setzt sich seit Beginn der Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht für die Aussetzung ebendieser ein. Im Interview mit "Krone"-Reporterin Nadia Weiss erklärt er, warum ein Berufsheer mehr Sinn für Österreich macht und wie groß dessen Einsatzstärke sein müsste.

"Krone": Herr Karner, Sie fordern die Abschaffung der Wehrpflicht. Erwarten Sie sich von der Umstellung auf ein Berufsheer langfristig eine Ersparnis für den Staat?
Gerald Karner: Langfristig würde die Umstellung eine Ersparnis bedeuten, auch wenn zunächst möglicherweise höhere Kosten anfallen. Der springende Punkt ist, dass seit Jahren Strukturreformen notwendig wären, die aber immer verschleppt wurden. Wenn diese erfolgen, was durch ein Berufsheer leichter möglich wäre, könnte mit Sicherheit Geld gespart werden.

"Krone": Der Grün-Abgeordnete Peter Pilz spricht von einem Berufsheer mit einer Einsatzstärke von 4.000 Personen anstelle der derzeit dienenden 50.000. Ist das realistisch?
Karner: Aus meiner Sicht nicht, vorstellen könnte ich mir eine schrittweise Reduktion auf 15.000 Soldatinnen und Soldaten.

"Krone": Kann damit der Katastrophenschutz im bisherigen Ausmaß gewährleistet werden?
Karner: Selbst bei den größten Hochwasserkatastrophen waren in Österreich nie mehr als 10.000 Soldaten im Einsatz. Diese Aufgaben können von einem gut ausgebildeten Berufsheer ohne Weiteres gewährleistet werden. Dieses Heer könnte auch bei Ausnahmesituationen für Assistenzeinsätze angefordert werden und sich an Friedensmissionen der internationalen Staatengemeinschaft beteiligen. Das ist einfach eine Frage der Verantwortung als Mitglied einer Wertegemeinschaft. Nur, die Bedrohung durch Angreifer von außen, möglicherweise vom Osten kommend, von der Militärromantiker manchmal reden, gibt es seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Deswegen wurde das Heer auch in mehreren Schritten verkleinert und wäre im heutigen Zustand gar nicht mehr in der Lage, Österreich gegen übermächtige Angreifer zu verteidigen.

"Krone": Das heißt, unser Heer ist derart abgewirtschaftet, dass wir uns ohnehin nicht verteidigen könnten?
Karner: Diesen Ausdruck würde ich nicht verwenden, aber es ist völlig klar, dass sechs Monate Wehrdienst, von dem mehrere Wochen beim Assistenzeinsatz verbracht werden, nicht als Vorbereitung für den Ernstfall eines Kriegseinsatzes ausreichen. Die allgemeine Wehrpflicht würde durch das Berufsheer nur ausgesetzt, das heißt, in einem sehr unwahrscheinlichen Bedarfsfall würden alle jene, die davon heute betroffen sind, ohnehin rechtzeitig einberufen und ausgebildet werden können.

"Krone": Disziplin, Verantwortungsgefühl und eine Verbundenheit mit dem Staat: Gilt das Heer nicht als Ort, an dem viele Österreicherinnen und Österreicher diese Werte lernen könnten, egal woher sie stammen?
Karner: An diesem Punkt liegt mir viel, nur muss klar sein, dass das Bundesheer nicht die Schule der Nation ist. Die Diskussion ist offen, wie man vielleicht die allgemeine Wehrpflicht in einen Solidaritätsdienst umwandeln könnte.

"Krone": Wer soll die Aufgaben der Zivildiener übernehmen, auf die viele gemeinnützige Organisationen angewiesen sind?
Karner: Es erscheint mir historisch gesehen etwas bizarr, dass der Zivildienst nun als Argument verwendet wird, um die allgemeine Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Wie gesagt, eine Art Solidaritätsdienst kann überlegt werden, allerdings glaube ich nicht, dass dies auf freiwilliger Basis funktionieren würde. Auf der anderen Seite könnte der Staat bei jenen Organisationen, die auf Zivildiener angewiesen sind, eine Ausgleichszahlung leisten. Das käme vielleicht billiger als das Bundesheer in der aktuellen Form aufrechtzuerhalten.

"Krone": Wo sehen Sie das große Sparpotential?
Karner: Die Verringerung der Einsatzstärke erlaubt flachere Hierarchien und eine kleinere Infrastruktur. Es würden bestimmte Stäbe, Kommanden und Lagerkapazitäten dann einfach nicht mehr notwendig sein. Bereits heute ist eine Vielzahl an Kasernen nicht mehr ökonomisch argumentierbar. Außerdem verringern sich natürlich die enormen Ausbildungskosten, die Anschaffung, Wartung und Lagerung der Ausrüstung für eine zahlenmäßig große Armee.

"Krone": Wie viele Rekruten würde das Berufsheer pro Jahr anwerben müssen?
Karner: Das kann derzeit nur eine grobe Schätzung sein, aber die Zahl bewegt sich meiner Meinung nach sicher im vierstelligen Bereich.

"Krone": Wie sollen einige tausend Österreicherinnen und Österreicher für eine militärische Karriere begeistert werden? Welche Art von Auswahlverfahren soll es geben?
Karner: Den jungen Menschen muss gezeigt werden, dass sie durch das Bundesheer eine Perspektive für ihr Leben bekommen: Sie erhalten eine gute Ausbildung, Verträge, die zum Beispiel zunächst auf sieben oder zwölf Jahre befristet sind, und die Möglichkeit, Auslandserfahrung zu sammeln.

"Krone": Was verstehen Sie unter guter Ausbildung?
Karner: Es muss mindestens eine Fremdsprache gelernt werden, weiters spielen Technik und Elektronik eine weitaus größere Rolle als in der Vergangenheit und zudem sammelt man beim Heer Führungs- und Organisationserfahrung.

"Krone": Sie sprechen von den neuen Aufgaben des Heeres, dem Katastrophenschutz und den Friedensmissionen. Verharmlost man damit den Beruf des Soldaten?
Karner: Es muss völlig klar sein, dass auch in Friedensmissionen die militärischen Kernfähigkeiten beherrscht werden müssen – aber eben nicht mehr in der Verteidigung gegen den Angriff eines übermächtigen Gegners auf das ganze Land und seine Bevölkerung. Nur ein derartiges Szenario würde die allgemeine Zwangsverpflichtung zum Wehrdienst ethisch und wirtschaftlich legitimieren.

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