Experte im Interview

Ursachen, Irrtümer und neues Wissen zu Migräne

Tirol
13.03.2019 12:00

Jeder kennt das: Kopfschmerzen. Aber wann ist es echte Migräne? Prof. Gregor Brössner, Leiter der Kopfschmerz-Ambulanz der Klinik Innsbruck, über Ursachen, wirkungsvolle Therapien und die größten Irrtümer. Achtung: Am Freitag, den 13. März, finden die 10. Tiroler Gesundheitsgespräche der Tirol Kliniken in Kooperation mit der „Tiroler Krone“ und ORF Tirol statt. Beginn ist um 19.30 Uhr, der Eintritt ist kostenlos. 

Herr Professor Brössner, im Volksmund werden wiederkehrende Kopfschmerzen gerne unter dem Begriff Migräne subsumiert. Kann man das so einfach sagen?
Die Kriterien für eine echte Migräne sind gut ausformuliert. Häufigkeit und Stärke der Schmerzen spielen dabei die zentrale Rolle. Grundsätzlich gilt, dass der typische Migräne-Kopfschmerz vier bis 72 Stunden dauern kann und von Übelkeit oder extremer Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet wird. Darüber hinaus ist Migräne durch sehr starke Schmerzen mit pochendem Charakter und halbseitiger Lokalisation gekennzeichnet. Der Schmerz wird durch Bewegung oft noch verstärkt. Wenn zwei dieser Merkmale auch noch gegeben sind, dann ist es Migräne. Wir kennen zwei Formen: die episodische Migräne mit bis zu 15 Schmerz-Tagen im Monat und die chronische Migräne mit mehr als 15 Tagen.

Starke, wiederkehrende Kopfschmerzen sind also nicht automatisch eine Migräne?
Nein, sie können auch Symptom einer anderen Erkrankung wie Hirntumor oder Blutung sein. Daher braucht es eine gute Abklärung beim Facharzt.

Fast 100.000 Tiroler leiden an einer Migräne

Wie viele Menschen sind in Tirol von Migräne betroffen?
Laut Statistik leiden 12 bis 13 Prozent der Bevölkerung daran. In Tirol wären das fast 100.000 Menschen. Eine große Zahl, die deutlich macht, wie wichtig Aufklärung ist. Beeindruckend auch folgende Zahl: Es erleiden weltweit jeden Tag rund 90 Millionen Menschen eine Migräne-Attacke.

Was weiß man heute über die Ursachen? Sind diese gänzlich entschlüsselt?
Früher hieß es, Migräne sei ein Leiden hysterischer Frauen oder Folge einer psychischen Störung. Längst wissen wir, dass nichts davon stimmt und Migräne keine eingebildete Krankheit ist. Gerade in den vergangenen Jahren hat die Forschung viele Erkenntnisse gewonnen. Auch Wissenschafter aus Innsbruck haben substanziell daran mitgewirkt. Migräne ist eine neurobiologische Erkrankung des Gehirns. Das heißt: im Gehirn funktionieren bestimmte Areale nicht so, wie sie bei gesunden Menschen funktionieren. Es gibt gute Beweise dafür, dass das Risiko, Migräne zu bekommen, stark erblich bedingt ist. Meistens wird die Erkrankung in mütterlicher Linie weitervererbt. Eineiige Geschwister sind überdurchschnittlich häufig betroffen. Es gibt also so genannte Migräne-Familien.

Sind Frauen oder Männer häufiger betroffen?
Das lässt sich nicht in einem Satz beantworten: Migräne ist altersabhängig. Im Alter von 30 bis 40 Jahren sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer. Vor der Pubertät gibt es keine Unterschiede zwischen Mädchen und Buben. Dann wird der Anteil der Frauen größer, nimmt aber in der Menopause wieder ab. Hormone spielen als Auslöser für Migräne eine wichtige Rolle - das ist gut erforscht.

Heißhunger vor der nächsten Attacke

Wie schon der Name vermittelt, stellt man sich eine Migräne-Attacke überfallsartig vor. Können sich Betroffene darauf einstellen?
Wir wissen heute, dass es Anzeichen einer sich anbahnenden Migräne-Attacke gibt. Dazu gehören Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Heißhunger. Das führte dazu, dass zum Beispiel Schokolade einige Zeit als Auslöser für Migräne im Verdacht stand - was natürlich nicht stimmt. Als Folge dieses Irrtums hört und liest man oft von Migräne-Diäten, bei denen auf bestimmte Lebensmittel verzichtet wird. Aber es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür, dass das Sinn macht.

Was macht Sinn für Betroffene? Wie schaut eine wirkungsvolle Therapie aus?
Basis ist eine rasche und genaue Diagnose. Als Anlaufstelle sind die Hausärzte zu nennen, aber natürlich auch niedergelassene Neurologen oder die Kopfschmerz-Ambulanzen an der Klinik Innsbruck oder im Krankenhaus Kufstein. Die Therapie ist dann sehr individuell und kann genau auf die Lebensumstände des Patienten abgestimmt werden. Wir unterscheiden nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen. Zu Ersteren gehört Ausdauersport - zumindest dreimal 30 Minuten pro Woche. Sport hat extrem gute Wirkung! Ebenso Biofeedback-Training für die Entspannung und eine spezielle Methode - genannt Progressive Muskelentspannung nach Jacobson-, bei der Muskel abwechselnd angespannt und entspannt werden. Diese Methode lässt sich unkompliziert daheim anwenden. Betroffene sollten auch auf ihren Biorhythmus achten, regelmäßig essen und Stress so gut wie möglich vermeiden.

Und wie schaut die Therapie mit Medikamenten aus?
Wir unterscheiden Mittel, die während einer Attacke eingesetzt werden und solche für die Prophylaxe. Dazu wird viel geforscht, auch bei uns in Innsbruck. Wir waren an der Entwicklung hoch wirksamer Substanzen beteiligt. Derzeit beschäftigt die Wissenschaft auch die Frage, was den Migräne-Generator in Betrieb setzt und wie man dort Einfluss nehmen kann. Jede Therapie verfolgt zwei Ziele: die Häufigkeit und die Intensität der Attacken zu reduzieren. Eine komplette Heilung ist derzeit noch nicht möglich.

Föhn als Auslöser von Migräne-Attacken?

Viele Ursachen können eine Migräne-Attacke auslösen. Gehört dazu auch der lästige Tiroler Föhn?
Es gab dazu Untersuchungen in Innsbruck und in Kanada. Doch es ist sehr schwierig, einen stichhaltigen Beweis für den Zusammenhang zu erbringen. Er konnte bisher nicht erbracht werden, weil beim Wetter so viele Faktoren mitspielen.

Neben den von Ihnen genannten Behandlungsmethoden werden in Ratgebern viele alternative Therapien genannt. Von der erwähnten Migräne-Diät bis hin zu Akupunktur. Alles unwirksam?
Die Wirksamkeit der schulmedizinischen Therapien ist bewiesen. Bei vielen alternativen Methoden ist die Datenlage schlecht, oder der Nachweis nicht erbracht. Die Forschung hat beim Thema Migräne besondere Herausforderungen. Das liegt daran, dass der berühmte Placebo-Effekt großen Einfluss hat. Wir sprechen von 40 Prozent, bei Kindern sogar von bis zu 60 Prozent. Betroffene erfahren Schmerzlinderung, obwohl die Therapie aus biomedizinischer Sicht keine spezifische Wirkung zeigt. Das macht es auch so aufwendig, Medikamente für die Behandlung zu entwickeln. In jeder Studie muss man den Placebo-Effekt berücksichtigen.

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