Neues Album „Amo“

Bring Me The Horizon: Mut kann man nicht kaufen

Musik
26.01.2019 07:00

Auf ihrem brandneuen Album „Amo“ gehen Bring Me The Horizon all in - aus der ehemaligen Sheffielder Deathcore-Kapelle wurde mittleweile eine Pop-Metal-Band mit einem Hang zur Elektronik und Rap. Ist das nun die Zukunft der Rockmusik oder ein übermütiges Stück Selbstvertrauen in der Spätpubertät? 15 Jahre nach Bandgründung wandeln sie jedenfalls am dünnen Drahtseil zwischen Grammy-Nominierung und Karrieretod. Ausgang: ungewiss.

(Bild: kmm)

Im Song „Heavy Metal“ auf dem neuen Album „Amo“ gibt es die Textzeile „This shit ain’t Heavy Metal“ zu bestaunen - programmatischer könnte die Gegenwart der britischen Chartstürmer Bring Me The Horizon nicht beschrieben werden. Bereits die letzten Sommer bzw. Herbst vorab ausgekoppelten Singles „Mantra“ und „Wonderful Life“ deuteten klar darauf hin, dass die Fans der frühen Tage besonders stark sein müssen. Wo einst rasend-viehisches Deathcore-Geboller für Headbanging der obersten Rotationsstufe sorgte, finden sich gut zehn Jahre später sanfte Balladen, elektronische Experimente und bewusst eingesetzte Stilbrüche wieder. Dem Sound der frühen Tage ist man längst abtrünnig geworden. Die einen mögen die stilistische Veränderung verteufeln und ihre Plattensammlung aus Wut für das Osterfeuer richten, andere werden den Engländern zumindest eine Chance geben, sich im neuen Licht zu beweisen.

Konzept vs. Streaming
Doch Obacht! So völlig aus dem nichts kommt die viel zu inflationär als „Radikaländerung“ titulierte Wandlung nicht. Schon der 2015 erschienene Vorgänger „That’s The Spirit“ spielte mit Elektronik und zeitgemäßen Pop-Zitaten. Den abdriftenden Teil langjähriger Fans füllten Frontmann Oliver Sykes und Co. mit einer ganzen Armada neuer Interessierter. Gerade in einem Zeitalter, wo man problemlos gleichzeitig Drake, Helene Fischer und The BossHoss in seiner Spotify-Playlist stehen hat, zeitigte die musikalische Öffnung auch Vorteile für das Quintett. Doch gerade Spotify ist für eine Band wie Bring Me The Horizon ein zweischneidiges Schwert. Einerseits steigern die Streamingzahlen die Popularität, andererseits sind die Musiker noch immer klare Verfechter des klassischen Albumformats. So ist „Amo“ (portugiesisch für „ich liebe“) ein breitgefächertes Konzeptalbum über die Liebe in all ihren Facetten. Glück, Vertrautheit, Streit, Misstrauen, Freude, Trennung - wie ein vertontes Theaterdrama nehmen uns Bring Me The Horizon mit auf ihre emotionale Tour de Force. Inspiriert auch von Sänger Sykes, der während des Schreibprozesses selbst gerade in einer Scheidung steckte.

„Ich finde es total okay, wenn wir als Pop-Metal-Band bezeichnet werden“ erklärte Keyboarder Jordan Fish gebetsmühlenartig in diversen Interviews. Dabei sind es mitunter gerade seine Instrumentalkünste, die seit seinem Einstieg in die Band vor knapp sieben Jahren mitendscheidend für die abrupte Stiländerung waren. Das Ziel von „Amo“ war abseits des klar deklinierten Liebeskonzepts von Anfang an, jedem Song ein Eigenleben zu verschaffen. Dementsprechend bunt wilderten die Briten auch in der klanglichen Botanik. Auf „Nihilist Blues“ hört man das kanadische Multitalent Grimes, das eingangs erwähnte „Heavy Metal“ wird ausgerechnet von Beatboxer Rahzel begleitet und für das sanft betitelte „Wonderful Life“ holte die Band Cradle-Of-Filth-Giftzwerg Dani Filth an Bord. Auf „Amo“ kriegt der Ausdruck „fehlende Berührungsängste“ eine ganz neue Farbe. Bunter und vielseitiger ist kaum mehr möglich - und dann versteckt diese einst so harte Band ihr physisches Produkt auch noch hinter eine Plattenhülle voller roter Herzen. Himmelherrschaftszeiten!

Neuer Standard
Doch genaugenommen befolgen Bring Me The Horizon mit diesem wagemutigen Schritt nur das, was ihr einstiges Hauptgenre Heavy Metal allzu gerne für sich propagiert - man stellt sich gegen alle ungeschriebenen Regeln und Gesetze des Genres und macht einfach das, worauf man Lust hat und was sich gut anfühlt. So ist das bereits Grammy-nominierte „Mantra“ ein wagemutiges Chamäleon aus Rock, Pop, Elektronik und 90er-Dance-Versatzstücken, während sich viele andere Tracks nicht davor fürchten, an Hip-Hop oder Drum’n’Bass anzustreifen. Das Ergebnis ist „Amo“ und brachte die dazugehörige Plattenfirma zur durchaus mutigen Aussage, das Album würde „den Standard im Rock für 2019 definieren“.

Mit derartigen Superlativen wurde übrigens schon beim Vorgänger um sich geworfen. Das Ergebnis war bekanntermaßen achtbar und beliebt, aber bei weitem nicht so revolutionär, wie es die Marketingabteilungen den Fans glaubhaft machen wollten. „Amo“ ist in der Tat mutig und forsch geraten und reizt die Grenzen, inwieweit man mit seinem Publikum und deren Erwartungshaltung gehen kann, bis ans Äußerste aus. Vielleicht haben die selbsternannten Demagogen recht, und die Zukunft des Rock ist mit Elektronik und Samples verknüpft. Möglicherweise ist „Amo“ aber auch nur eine besonders ausufernde Momentaufnahme übermütiger Rabauken, für die sie sich in weiteren zehn Jahren so schämen müssen wie Metallica für das Lou-Reed-Abenteuer „Lulu“? Die Antwort kennt nur die Zeit…

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