Demjanjuk-Prozess

Überlebende des Holocaust sagen als Zeugen aus

Ausland
22.12.2009 19:10
Mit der Anhörung von Holocaust-Überlebenden ist am Dienstag der Münchner Strafprozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk fortgesetzt worden. Der heute 89-jährige gebürtige Ukrainer ist angeklagt, im Zweiten Weltkrieg bei der Ermordung von 27.900 jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Vernichtungslager Sobibor geholfen zu haben.

Der 88-jährige Nebenkläger Jules Schelvis aus den Niederlanden berichtete vor dem Münchner Landgericht, dass er in Sobibor 18 Verwandte verloren habe, darunter auch seine damals 22 Jahre alte Ehefrau und seine Schwiegereltern. Mehr als 20 andere Verwandte seien im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden.

Schelvis sagte, mehr als 3.000 Bewohner des Amsterdamer Judenviertels seien am 26. Mai 1943 ins Zwischenlager Westerbork abtransportiert worden. Von dort seien sie am 1. Juni 1943 in Kolonnen zu einem Zug mit 50 Güterwaggons marschiert. Er selbst sei mit 61 weiteren Menschen und einem Kinderwagen in den letzten Waggon gepfercht worden. "Es war nicht genügend Platz da, um zu sitzen."

Sie hätten sich auf der viertägigen Reise nach Ostpolen zusammengedrängt, damit die Alten und Kranken liegen konnten. In dem Güterwaggon seien nur ein Wasserfass und ein leeres Fass zum Verrichten der Notdurft gewesen. Aber er habe geglaubt, "dass wir zur Arbeit deportiert werden". An seine Druckerei habe er im letzten Moment noch eine Karte geschrieben: "Alles ok. Rachel und Jules Schelvis."

Zahlreiche Nebenkläger angehört
Bereits am Montag waren zahlreiche Nebenkläger vor allem aus den Niederlanden angehört worden, die in dem Vernichtungslager der Nationalsozialisten im besetzten Polen viele Angehörige verloren hatten. Demjanjuk war als Soldat der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und soll sich dann zur Zusammenarbeit entschieden haben. Er soll geholfen haben, die zum großen Teil aus den Niederlanden stammenden Juden in die Gaskammern von Sobibor zu treiben.

Der 67 Jahre alte Nebenkläger Rudi Westerveld überlebte den Holocaust nach eigenen Worten nur, weil die Eltern ihn im Alter von nur fünf Monaten noch rechtzeitig bei einem befreundeten Ehepaar unterbrachten, als sie selbst angeblich zum Arbeitsdienst nach Polen einberufen wurden. Nur zwei Wochen später seien seine Mutter und sein Vater in Sobibor ermordet worden. Erst nach dem Krieg habe er erfahren, dass die vermeintlichen Eltern Pflegeeltern und die wirklichen Eltern tot waren. Er selbst habe in späteren Jahren einen Sohn verloren, sagte der 67-Jährige unter Tränen. Deshalb könne er nachfühlen, was seine Eltern bei der Weggabe ihres Sohnes empfunden haben müssen.

Auch sein Großvater und die Geschwister des Vaters seien in Sobibor ermordet worden, sagte Westerveld. Von seiner Familie mütterlicherseits habe er ein altes Foto mit 51 Verwandten, davon seien 30 von den Nazis ermordet worden. Der 69 Jahre alte Robert Fransmann sagte: "Ich bin als Nebenkläger hier für meine Eltern." Auch sie waren in Sobibor ermordet worden. Er selbst war als kleiner Bub vom früheren Dienstmädchen der Eltern aufgenommen und zuletzt auf einem niederländischen Bauernhof versteckt worden, so überlebte er den Holocaust.

Verteidiger beantragte Aussetzung des Verfahrens
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch beantragte am Dienstag erneut die sofortige Aussetzung des Verfahrens und warf den drei Berufsrichtern Befangenheit und Willkür vor. "Der Angeklagte ist Opfer eines internationalen Justizkomplotts", sagte der Wahlverteidiger und kritisierte im Hinblick auf das frühere israelische Todesurteil gegen Demjanjuk: "Unterlagen aus dem Sumpf des mutmaßlichen versuchten Justizmordes können nicht verwendet werden." Das Urteil war 1993 aufgehoben worden, als sich herausstellte, dass Demjanjuk mit einem Wärter des Vernichtungslagers Treblinka verwechselt worden war, der unter dem Namen "Iwan der Schreckliche" bekannt war.

Der Nebenkläger-Anwalt Cornelius Nestler sagte, Buschs Anträge erinnerten an ein immer wieder neu abgespieltes Tonband. Die von dem Verteidiger angefochtene Vernehmung von Kindern der Ermordeten sei notwendig, "weil die Opfer durch ihre Kinder eine Stimme bekommen haben".

Demjanjuk bestreitet, nach seiner Kriegsgefangenschaft als sogenannter "Trawnik" (einheimischer "Hilfswilliger") Handlanger der Nationalsozialisten beim Massenmord gewesen zu sein. Auch am Dienstag nahm er auf einem Bett liegend mit geschlossenen Augen (Bild) an der Hauptverhandlung teil.

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