Bald live in Wien

EMA: Gegen die Zweiklassengesellschaft

Musik
29.01.2018 07:00

Mit "Exile In The Outer Ring" hat die US-Amerikanische Electro-Nois-Künstlerin EMA letztes Jahr sehr tief in den Wunden des "echten" Amerika gebohrt. Die 35-Jährige befasst sich mit dem allzu oft vergessenen "kleinen Mann" und prangert die immer größer werdende Kluft in der menschlichen Zweiklassengesellschaft an. Bevor sie am 4. Februar mit Depeche Mode in der Wiener Stadthalle spielt, sprach sie mit uns über die vielen Probleme auf dieser Welt, die nicht kleiner zu werden scheinen.

(Bild: kmm)

Unangenehme Zeiten erfordern unangenehme Maßnahmen. Während nach außen hin gerne das Bild sonnengebräunter Menschen aus Kalifornien über den großen Teich schwappt, versinkt der weniger attraktive Kern der USA in Armut, Drogenproblemen und touristischer Irrelevanz. EMA alias Erika Michelle Anderson kennt diese Probleme nur zu gut. Sie stammt aus dem ländlichen Midwestern, South Dakota, und hat in ihren frühen Kindheitstagen wenig von Glanz und Glamour der Küstengebiete mitgekriegt. Auch wenn sie später für kurze Zeit nach Kalifornien und in die Musikmetropole Portland zog, hat sie sich nie von ihrer alten Heimat entwurzelt. „Exile In The Outer Ring“, ihr 2017 erschienenes, aktuelles Album, ist somit gleichermaßen Liebeserklärung und Abrechnung mit dem wahren Amerika, das in internationalen Medien nur allzu gerne übergangen und ignoriert wird.

Unverblümte Kritik
„Ich habe die Songs vor mehr als zweieinhalb Jahren geschrieben und sie wirken heute aktueller und zeitgemäßer als je zuvor“, erzählt uns EMA im „Krone“-Interview, „die Welt ist momentan ein ziemlich verrückter Platz und umso wichtiger finde ich es, mich mit unterschiedlichsten Menschen in den verschiedensten Regionen zu unterhalten.“ Anderson packt ihre unverblümte Gesellschaftskritik und Beobachtungsgabe in eine Mischung aus industriell angehauchten Noise-Rock, dessen Klang ein ähnliches Unwohlsein verbreitet wie die Texte. Etwa „Aryan Nation“, eine Nummer, die sich um die zunehmende Popularität des Nationalsozialismus in den USA dreht. „Als ich den Song schrieb, hat dieses Thema kaum jemand behandelt. Mittlerweile haben wir Neonazi-Aufmärsche und innerhalb weniger Monate kam es so weit, dass das Album sogar zu sanft ausgefallen ist.“

Der Albumtitel selbst beschreibt die Folgen der Gentrifizierung, wie man sie längst auch in den europäischen Metropolen beobachten kann. Aufgrund der steigenden Miet- und Wohnpreise ziehen immer mehr Menschen an die sogenannten „Außenringe“, Vororte und Randbezirke, finden dort aber nicht mehr den Anschluss an die Mittelklasse, die ohnehin immer mehr zur Chimäre längst vergangener Gesellschaftsstrukturen wird. „Offenbar habe ich den Graben erfasst, der zwischen den Menschen in Amerika immer weiter auseinanderklafft. Der sogenannte kleine Mann ist nicht vergessen, aber er wird politisch instrumentiert. Immer mehr Menschen haben keinen Zugang zu guten Jobs, guten Bildungssystemen oder einer schönen Wohngegend. Vermögendere sehen auf diese Leute herab und so lodert das Feuer der Feindseligkeit in alle Richtungen.“

Reale Armut
EMA streckt den Mittelfinger aber nicht den viel zitierten Eliten entgegen, sondern den Politikern, die diese Zweiklassengesellschaft wissentlich befeuern. „Auf Instagram gibt es Menschen, die ihre cremigen Café Lattes oder gesundheitsbewussten Bio-Salate posten und gar nicht daran denken, dass sich andere das nicht leisten können. Dieses zwanghafte Zurschaustellen eines schönen Lebensstils auf den Social-Media-Plattformen muss nicht sein. Man könnte auch wohlhabend sein und trotzdem für eine Gemeinschaft einstehen, aber diese Art von Empathie geht uns mit rasanter Geschwindigkeit verloren.“ EMA hat auch ein Problem mit der zunehmenden Verharmlosung guter Sitten. So ist sie der Meinung, dass man prinzipiell auch Witze über Rassen und Religionen machen dürfe, aber eben nicht nur um des Witzes willen. „Bitte nicht bei den Drogensüchtigen und armen Leuten. Dort ist die Armut real und ich glaube nicht, dass sie diese Art von Humor brauchen können.“

Die stark von Grunge und der Gitarrenmusik der 90er-Jahre inspirierte 35-Jährige hat sich schon in den Jahren zuvor um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens gekümmert. EMA sieht ihre Kunst niemals nur als Ventil, um sich ein möglichst hedonistisches Leben einrichten zu können, sondern recherchiert und forscht akribisch zu Themen, die den „einfachen Mann“ bewegen. In den Noise-Folk- und Psych-Folk-Projekten Amps For Christ und Gowns schmiedet sie ihr Können so lange, bis sie sich 2010 endgültig von allen Normen emanzipiert und zur Alleinherrschern ihrer Kunst wird. Gerade das Internet und seine allmächtige Präsenz in dieser Welt fasziniert und verängstigt EMA zugleich. „Past Life Martyred Saints“ (2011) dockt bereits in diese Richtung an, „The Future’s Void“ (2014) ist schließlich die fertige Abhandlung über die Tücken der Digitalisierung. Dafür bedient sie sich bei der Literatur von William Gibson und holt Nine Inch Nails-Livemusiker Alessandro Cortini ins Boot.

Richtung Abgrund
„Ein paar Monate, nachdem ich dieses Album veröffentlichte, gab es in den USA die große ,Gamergate‘-Kontroverse. Es war der Höhepunkt einer Zeit, in der Frauen in Computerspielen sexualisiert wurden und all jene, die daran arbeiteten, Todesdrohungen erhielten. Mittlerweile gibt es ja auch ausreichend Beweise, dass der Online-Hass nicht nur Regierungen verändert, sondern sie auch stürzt oder verhindert. Die Menschen haben aufgehört für Nachrichten zu bezahlen und können nicht mehr filtern, welche Informationen stimmen und welche nicht. Gute Journalisten wurden gefeuert oder unterdurchschnittlich bezahlt. Es ist eine verrückte Welt in der wir leben und wir bewegen uns geradewegs auf den Abgrund zu.“

Antworten oder Lösungsmöglichkeiten gegen die Welle des Hasses hat natürlich auch EMA nicht zu bieten. „Den Aufstieg der rechten Parteien gibt es ja überall. Immigration in den USA kann man mit Europa überhaupt nicht vergleichen. Wir haben überhaupt keine Flüchtlinge aufgenommen, schreien aber extrem laut dagegen auf. Das ist insofern lächerlich, als dass die USA von Immigranten aufgebaut wurde und sonst gar nicht so existieren würde. Es wirkt so, als ob die Reichen sich international längst untereinander vernetzt hätten und den normalen Bürger mit einer Art unsichtbaren Hand am Boden halten. Es ist eben einfacher, die Leute untereinander kämpfen zu lassen, als sie gegen die Oberen aufzuwiegeln. Eine alte Taktik, die seit Ewigkeiten erfolgreich funktioniert.“

Liebe zu Wien
Trotz all der Wut, die EMAs Texten anheim liegt, sind vor allem Liveshows immer noch eine angenehme Erfahrung – sowohl für die Künstlerin als auch für das Publikum. Nach einem souveränen Auftritt letzten Oktober in der Wiener Arena, kommt EMA als Support der Synthie-Legenden Depeche Mode am 4. Februar in die restlos ausverkaufte Wiener Stadthalle. Zu Wien hat EMA ohnehin eine besondere Beziehung, war auch im privaten Rahmen immer wieder zu Besuch. „Wenn ich wirklich einen ganzen Tag Zeit hätte, dann würde ich mir die Mumien im Naturhistorischen Museum anschauen, mich auf die Spuren von Egon Schiele begeben und im Wiener Prater all die irren Dinge fahren, die diese Stadt mitunter auszeichnen. Jedes Mal, wenn ich dort bin glaube ich, ich muss gleich sterben.“

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