Geschworene am Wort

Arzt: “Wahrscheinlich wird Alen R. wieder töten”

Österreich
28.09.2016 16:44

Drei Tote, 52 Verletzte - das ist die schreckliche Bilanz der Grazer Amokfahrt. Die Kernfrage: Fuhr Alen R. (27) absichtlich auf Frauen, Männer und kleine Kinder los, oder war er willenloses Werkzeug seines Wahns? Letzteres behauptet ein deutscher Psychiater. Doch zwei Grazer Gutachter halten dagegen und diagnostizieren einen klassischen Amoklauf eines zwar Gestörten, aber Zurechnungsfähigen. Und: "Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er wieder zu Tötungshandlungen neigen", stellt ein Psychiater fest.

Für den ersten Gutachter Peter Hofmann steht fest: Alen R. war zur Tatzeit unzurechnungsfähig. Weil sein Kollege Manfred Walzl genau zum gegenteiligen Schluss kam, wurde Jürgen Müller, Professor für Forensische Psychiatrie an der Georg-August-Universität in Göttingen (Deutschland), zum Obergutachter bestellt.

Steinwürfe, Attentate, ein Schuss
Auch für ihn gibt es keinen Zweifel: Alen R. war unzurechnungsfähig, als er tötete. Paranoide Schizophrenie, lautet sein Befund. "Seit 2009 hat der Proband den Eindruck gehabt, verfolgt zu werden. Er berichtete, dass Fremde Steine an sein Fenster warfen, dass Unbekannte ihm auflauerten. Er fühlte sich vom Schwiegervater erpresst. Er hat ständig sein Handy gewechselt. Er glaubte, dass er in einem Fast-Food-Lokal und von seiner Frau vergiftet wird. Und er beschreibt dunkle Personen, die ihn überall auf der Straße bedrohen."

"Polizei war für ihn ein Hort der Gerechtigkeit"
Ein Schuss, den nur er an jenem verhängnisvollen Samstag auf dem Grazer Griesplatz hörte, habe die Psychose ausgelöst, sagt Jürgen Müller. Eine akustische Halluzination also. Alen R. wollte zur Polizei flüchten. "Denn die war für ihn der Hort der Gerechtigkeit." "Und warum ist er auf dem Weg dorthin auf Menschen losgefahren?", will Richter Andreas Rom wissen. Der Gutachter: "Er sah Verfolger. Er sagte: 'Ich habe das gemacht, damit die Polizei die findet.'" Der Vorsitzende, zweifelnd: "Auch Kinder und Frauen?" Jürgen Müller bleibt dabei: "Er wollte die Täter festsetzen. Er war nicht imstande, aus dem Wahnsystem auszubrechen."

Dieser Befund provoziert viele Fragen. Der Richter beginnt: "Die Psychose ging ausgerechnet los, als die Ampel auf dem Griesplatz Grün zeigte?" Der Vorsitzende zählt dann alle jene Handlungen des Amokfahrers an diesem Samstag auf, die durchaus kalkuliert und logisch erscheinen. Und er fragt: "Was ist, wenn all die Handlungen stimmen, real sind?" Wenn er also tatsächlich von unzufriedenen Autokäufern bedroht worden ist, wenn die wirklich Steine an seine Fenster warfen oder ihm auflauerten?

Doch der deutsche Gutachter bleibt dabei: "Eine paranoide Schizophrenie, so wie bei Alen R., ist nicht zu simulieren. Möglich ist nur, dass er mehr weiß, als er sagt, zum Beispiel über Details der Amokfahrt."

"Wahrscheinlich wird er wieder töten"
Manfred Walzl, der psychiatrische Gutachter aus Graz, ist gegenteiliger Ansicht. Kein Spur von paranoider Schizophrenie, meint er. Alen R. leide zwar an einer Persönlichkeitsstörung, sei aber zurechnungsfähig. Und gefährlich, wie er gleich zu Beginn seines Vortrages eindrucksvoll deponiert: "Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Mann wieder zu Tötungshandlungen neigen." Alen R. würde an einer Persönlichkeitsstörung leiden und den Wahn nur als Rechtfertigung seiner Tat vorgeben.

Und dann kommt der Gutachter auf all das zu sprechen, was Alen R. im Leben misslungen ist: Er versuchte 20 bis 30 Berufe, hatte aber nie Erfolg, der Handel mit schrottreifen Autos blieb, die Ehe ging in die Brüche, die Frau zog aus.

Hass und Demütigungen als Auslöser
Walzl: "Er war auf der Suche nach dem Ventil für die Rache- und Hassgefühle. Die Vorstellung einer eigenen Inszenierung, einer großartigen Tat entsteht. Der Amoklauf war für ihn der letzte Ausweg aus einer unerträglichen Situation. Es war eine direkte Botschaft an die verhasste Gesellschaft, die ihn nie unterstützt hat." Auch die psychologische Gutachterin Anita Raiger folgt in wesentlichen Punkten Walzls Ausführungen: Demütigungen und Missachtungen hätten Wut und Hass ausgelöst, und letztlich habe sich Alen R. auf die Suche nach einem Ventil für seine Rachegedanken begeben. "Es kam schlussendlich zum Ausleben von Gewaltfantasien."

Und die Gutachterin arbeitet noch ein interessantes Detail heraus: Viele Menschen, die von Alen R. überrollt wurden, entsprachen gar nicht dem Bedrohungsprofil, von dem er immer geredet hatte. Es waren keine "dunklen Typen", von denen er immer sprach. Es waren viele Frauen und Kinder.

Das Urteil ergeht am Donnerstag.

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