Experten analysieren

2 Monate vor Wahl: Kann Kern Kurz noch einholen?

Österreich
13.08.2017 08:29

Die Umfragen sind eindeutig - ÖVP-Chef Sebastian Kurz liegt unangefochten an der Spitze. Aber noch sind es zwei Monate bis zur Nationalratswahl. Kann Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) noch aufholen? Die "Krone" bat vier renommierte Politikexperten um eine Zwischenbilanz.

Die Experten analysieren auch Fehler, Erfolge und Strategien der Parteien und von deren Spitzenkandidaten. Fazit: Das Rennen um Platz eins ist noch nicht gelaufen.

Peter Filzmaier:
Wir haben seit Mitte Mai Dauerwahlkampf. Das bedeutet den längsten Nationalratswahlkampf in der Geschichte der Zweiten Republik. Bisher wichtig war das "Momentum", wer als vermeintlich chancenreich oder in einer schwierigen Situation dargestellt wird. Da ist es Sebastian Kurz gelungen, für die ÖVP eine positive Eigendynamik auszulösen. Das motiviert zugleich die Wahlkämpfer der Partei, während die SPÖ mühsam um ihre Wahlkampflinie rang. Die FPÖ verhält sich extrem ruhig und vertraut offenbar auf den Intensivwahlkampf nach Ferienende, was riskant sein kann. Die Grünen haben eine Summe von internen Konflikten bis hin zur Abspaltung von Peter Pilz erlebt. So ist eine systematische Wahlkampfplanung natürlich unmöglich.

Kathrin Stainer-Hämmerle:
Dass Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Matthias Strolz (NEOS) die beiden längstdienenden Parteichefs und die einzig wahlkampferprobten Spitzenkandidaten sind, zeigt, wie viel Spannung und Überraschungsmoment in dieser Wahl stecken. Einerseits wegen der zahlreichen neuen Gesichter, zweitens wegen der neuen wahlwerbenden Listen, drittens weil die Wähler so wechselbereit sind wie nie zuvor und viertens weil nach der Wahl erstmals alle Optionen für Koalitionsbildungen offen sind.

Dass es dennoch nicht für alle Parteien glatt läuft, liegt vorwiegend an internen Streitereien - bei der SPÖ etwa über die generelle Ausrichtung im Wahlkampf zwischen Partei und Kanzlerbüro oder auch zwischen Burgenland- und Wien-Linie, bei den Grünen bei der Erstellung der Wahllisten, die zur Abspaltung von Peter Pilz geführt hat und somit durch hauseigene Konkurrenz das zweistellige Ergebnis gefährdet. Das wäre ein Desaster.

Die ÖVP, von der man früher interne Uneinigkeit gewohnt war, zeigt sich hinter ihrem neuen Shootingstar Kurz geeint und dominiert dadurch. Alle Umfragen bestätigen diesen neuen Kurs. Alles dem Thema Zuwanderung unterzuordnen, wird nicht reichen. Das späte Präsentieren des Programms erst drei Wochen vor der Wahl ist riskant, vor allem bei Stammwählern.

Am Ende entscheiden die Glaubwürdigkeit von Kern, Kurz und Strache und die Wechselstimmung und -bereitschaft in der Bevölkerung.

Peter Hajek:
Die Älteren unter den Lesern werden sich noch an Skifahrer Werner Grissmann erinnern. Dieser lag bei der Zwischenzeit oft voran, erreichte in seiner Karriere aber nur einen Sieg. Der ÖVP erging es schon öfter so.

Auch dieser Tage scheint Platz eins für Sebastian Kurz zum Greifen nahe. Bis dato hat er viel richtig gemacht. Er besetzt seit langer Zeit die Themen Integration, Zuwanderung und Asyl und hat so der FPÖ das Wasser abgegraben. Konzepte zu anderen Themen möchte er erst im September präsentieren, was mögliche Fehlerquellen minimiert.

Aber ganz so einfach wird es nicht werden, denn die SPÖ hat wieder Fuß gefasst. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil soll das Thema Sicherheit übernehmen, er punktet quer durch alle Wählerschichten. Kanzler Kern nimmt klassische sozialdemokratische Themen unterlegt mit Kapitalismuskritik und einem zugespitzten Slogan ("Holen Sie sich, was Ihnen zusteht"). Das ist zwar gewagt, trifft aber die Befindlichkeit vieler Menschen. Vor allem im FPÖ-Lager könnte man damit punkten.

Die FPÖ ist damit unter Zugzwang. Sie hat harte Konkurrenz bekommen. Guter Rat ist auch bei Ulrike Lunacek nötig. Der Geschwisterkrieg im grünen Haus bringt vielleicht zwei Grün-Parteien ins Parlament, aber sicher nicht in die Regierung. Stellt sich nun die Frage: Wer von den Parteien hat genug Schmalz in den Oberschenkeln bis zu Ziellinie?

Thomas Hofer:
Bislang ist es eine verkehrte Welt: War es früher die ÖVP, die strategielos in Wahlschlachten torkelte, irrlichterte in den ersten drei Monaten dieses Wahlkampfs die SPÖ durch die innenpolitische Landschaft. Die früher so disziplinierte Kanzlerpartei beging grobe strategische Fehler, widersprach sich selbst und fiel vor allem durch interne Querelen auf.

Umfragekaiser Sebastian Kurz setzt auf die Macht des Ungefähren. Konkrete Pläne sind ihm, abgesehen vom Leib-und-Seelen-Thema Zuwanderung, bisher nicht zu entlocken. Er will Projektionsfläche für möglichst viele Wähler bleiben. Detaillierte Pläne sind da oft gefährlich, weil für Gegner leicht zu attackieren. Kurz muss nur klar sein: Gerade zu Wirtschaft, Steuern und Sozialem muss in der Intensivphase mehr kommen, denn in manchen dieser Bereiche ist er verwundbar.

Die FPÖ braucht ein Rezept gegen den tief in ihre Wählerschichten eingedrungenen Kurz. Und sie muss zugleich den Angriff Kerns abwehren, der dasselbe gerade mit dem zwischen Angriffslust und Verzweiflung angesiedelten Slogan "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht" versucht.

Zu erwarten ist für die heiße Phase sicher eines: das verstärkte Zerren an der Glaubwürdigkeit der Mitbewerber. Ohne Negativwahlkampf, gerade in den (a)sozialen Medien, wird es nicht abgehen. Die kleineren Parteien müssen dagegen hoffen, dass es zwischen den drei Großen nicht allzu eng wird. Ansonsten bekommen sie in der Schlussphase keinerlei Aufmerksamkeit.

Kronen Zeitung

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