Josef Pühringer:

“Es hat auch Morddrohungen gegen uns gegeben”

Österreich
12.02.2017 07:00

Zwischen Leichtigkeit und Tränen: Nach 22 Jahren sagt Oberösterreichs "Landesvater" im April Adieu. Mit Conny Bischofberger spricht Josef Pühringer (67) über ÖVP-Leaks, den richtigen Moment und den lieben Gott.

8064 Tage an der Spitze Oberösterreichs. Nach Erwin Pröll hat am vergangenen Donnerstag auch Langzeit-Landeshauptmann Josef Pühringer - nicht mehr ganz überraschend - seinen Rückzug bekannt gegeben. Durch eine undichte Stelle sickerte der lange ausgeheckte Plan an die Öffentlichkeit. Den leichten Ärger über das Informations-Leck in der eigenen Partei kann der alte Fuchs bei unserem Treffen nur schwer kaschieren.

Oberösterreichisches Landhaus, am Morgen danach. Er habe sich am Freitag, als er um 6 Uhr in der Früh aufgewacht sei, das erste Mal nach vielen Jahren gedacht: "Jetzt schlafe ich einfach weiter. Um halb acht bin ich dann erst aufgestanden und ins Kaffeehaus frühstücken gegangen. Herrlich!" Und was das Leck betreffe: "Es war trotz allem ein Bilderbuch-Donnerstag", erklärt Pühringer mit heiserer Stimme.

Seine Stirn: Zerfurcht wie eine Flusslandschaft. Wenn er lacht, dann verschwinden die senkrechten Linien und zwischen den Zähnen blitzt eine lustige Lücke hervor. Auf dem Schreibtisch des "Landesvaters" steht Hustensaft, er kuriert gerade eine Bronchitis aus. Unübersehbar: das Kruzifix an der Wand.

"Krone":"Ich gehe mit Leichtigkeit", haben Sie bei Ihrer Pressekonferenz am Donnerstag gesagt. Warum glaubt man Ihnen das nicht so ganz?
Josef Pühringer: Die Leute sagen: "Der Pühringer ist mit diesem Amt so verbunden, dass es schwierig für ihn werden wird." Ich entgegne ihnen dann, dass ich den idealen Nachfolger gefunden habe, dass das Land in bestmöglichen Händen ist, da geht man leichter.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie groß ist die Leichtigkeit?
Ich würde sagen 9. Wir werden sehen, wie es rund um den 6. April sein wird. Da könnte es vielleicht um ein paar Punkte schwanken. (Denkt nach.) Wissen Sie, die Leichtigkeit rührt auch daher, dass ich mit niemandem auf Kriegsfuß stehe, dass ich in diesem Land auch ohne Funktion - so glaube ich - gerne gesehen sein werde. Es ist kein Abschied, wo man irgendwohin flüchtet. Ich bleibe ja im schönsten Land der Welt, nämlich in Oberösterreich.

Ohne Funktion: Auch das kann man sich bei Ihnen nicht vorstellen.
Es ist richtig, dass ich in der Woche mindestens zwei Ämterl angeboten bekomme. In einigen Bereichen werde ich mich sicher engagieren.

Seniorenbund-Obmann?
De facto ist es ausgemacht, dass ich Josef Ratzenböck diese Arbeit in nächster Zeit abnehme, de jure noch nicht. Ich bin auch Präsident des Österreichischen Volksliedwerkes, das werde ich vielleicht noch eine Zeit lang bleiben.

Können Sie ohne Politik überhaupt leben?
Sagen wir mal, ohne Engagement kann ich sicher nicht leben. Ich bin kein Stubenhocker oder Hausmannstyp. Einer, der sich im stillen Kämmerlein einschließt und tagelang vor sich hinmeditiert. Ich bin ein geselliger Mensch, ich muss hinaus zu den Menschen. Ich werde sicher auch Funktionen in meiner Partei wahrnehmen, und ich werde mich als aktiver Bürger in dem Land betätigen. Ich habe also keine Angst vor der Vereinsamung.

Ihr Vorgänger Josef Ratzenböck hat in seinem "Krone"-Abschiedsinterview gesagt: "Ich freu mich schon so auf ein bisschen Langeweile." Nichts für Sie?
Wochenlang faulenzen, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich freu mich, dass ich endlich meinen Hobbys nachgehen kann.

Also stimmt das Gerücht nicht, Sie hätten keine Hobbys?
Das ist ein ziemlicher Blödsinn. Ich hatte nur keine Zeit, sie auszuüben: Bergsteigen, Wandern, Radfahren, Lesen, Saunagehen, Singen. Auch die Präsenz bei den Studentenverbindungen und bei meinen zwei Stammtischen ist verbesserungswürdig.

Die Satireplattform "Tagespresse" hat geschrieben, dass der WWF den Michael Häupl jetzt unter Artenschutz stellen will, weil die Gattung "Landeskaiser" nach Ihrem und Prölls Abgang vom Aussterben bedroht sei. Können Sie über so etwas lachen?
Ich kann immer lachen. In 43 Jahren Politik habe ich immer den Humor bewahrt. Ohne Humor geht es überhaupt nicht. Wissen Sie, ich mache niemandem Vorschriften, wann er gehen muss. Der Michael Häupl hat in Wien eine ganz andere Situation. Ich möchte nicht tauschen mit ihm, vor allem was die innerparteiliche Situation anbelangt ... Bei uns waren am Donnerstag alle Beschlüsse einstimmig. Und das in geheimer Wahl.

Stirbt die Gattung "Landeskaiser" aus?
Es wird auch in Zukunft starke Landeshauptleute geben, aber die Rahmenbedingungen sind andere, weil sich die Zeiten ändern. Der Landesvater des Jahres 2020 ist ein anderer als der von 1995.

Auf Twitter spöttelte eine junge Oberösterreicherin: "Wir sind jetzt alle Halbwaisen."
Ich fasse das als Kompliment auf. Wenn ich "Vater" als Bezeichnung nehme für eine besondere Beziehung eines Höchstverantwortlichen gegenüber seinen Mitbürgern, dann finde ich das nicht schlecht. Wenn ich das patriarchalisch auffasse, dann ist es sicher heute falsch.

Welche Art Vater waren Sie, wenn Sie behaupten, kein Patriarch gewesen zu sein?
In meinem Alter ist man schon froh, wenn man nicht als Landesgroßvater bezeichnet wird. (Lacht.) Ich würde sagen, der "Vater" hat sich bemüht, ein Weitblickender zu sein, nie aus den Augen zu verlieren, dass sich dieses Land in die richtige Richtung entwickelt. Er hat sich nicht nur um die großen Anliegen dieses Landes gekümmert, sondern auch um die kleinen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Auf dem Sessel, auf dem Sie sitzen, sind Abertausende Menschen gesessen in den letzten 22 Jahren mit ihren Sorgen und Anliegen. Weil ein behindertes Kind keinen Pflegeplatz bekommen hat, weil ein Jugendlicher arbeitslos war, weil eine alte Frau nicht verstehen konnte, warum sie so eine geringe Rente bekommt und daher Hilfe nötig hatte. Denen Hoffnung zu geben war eigentlich die schönste Aufgabe.

Gibt es jemanden, den Sie enttäuscht haben?
Du kannst natürlich nicht jedem helfen. Da kommen Leute zu dir, die meinen, der Landeshauptmann sei allmächtig, manche verlangen Dinge, die einfach nicht möglich sind. Da musst du sagen: "Das geht leider nicht. Ich kann das Gesetz nicht brechen." Also werden zwei Hände nicht reichen für all jene, die ich enttäuscht habe. Ich hoffe aber, dass mir diese Menschen nicht nachhaltig böse sind.

Apropos böse: Wie sehr haben Sie sich geärgert, dass jemand Ihren Rückzug ausgeplaudert hat?
Ehrlich gesagt bin ich ziemlich narrisch geworden.

An die Decke gegangen?
Das geht sich bei meiner Körperlänge nicht aus. Die Decke hier ist fünf Meter hoch! (Grinst.) Aber geärgert habe ich mich schon.

Wie schaut das bei Ihnen aus?
Da brause ich auf, schimpfe ordentlich und kurz drauf ist es vergessen. Ich war nie nachtragend. Ich habe meine engsten Mitarbeiter um mich versammelt, wir haben das beraten und haben dann beschlossen, keinen Millimeter an der geplanten Inszenierung zu ändern. Und die Inszenierung hat bestens geklappt, es war meines Erachtens der erste Teil einer Bilderbuch-Übergabe.

Haben Sie einen Verdacht?
Verdachtsmomente gibt es. Aber ich brauch keine Rache.

Wann wussten Sie, dass Sie sich zurückziehen würden?
Schon vor einem guten Jahr, unmittelbar nach der Wahl. Da habe ich zu Thomas Stelzer gesagt: "Viereinhalb Jahre der Legislaturperiode machst du, eineinhalb Jahre mache ich." Das haben wir in Freundschaft miteinander vorbereitet.

Wäre es nach zehn Prozentpunkten Verlust nicht besser gewesen, wenn der Kapitän das Schiff noch in ruhigere Gewässer geführt hätte?
Die Wahl ist leider nicht so ausgegangen, wie haben wir gut hinbekommen. Heute ist die ÖVP so geschlossen wie nie, mit einer exzellenten Mannschaft. Ruhige Gewässer gibt es derzeit in der Politik nicht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass irgendwann Windstille kommt, dazu sind die Zeiten viel zu bewegt.

Trauen Sie Stelzer zu, den Abstand zur FPÖ zu vergrößern? ÖVP und FPÖ liegen ja fast gleichauf.
Naja, uns trennen sechs Prozent! Ich traue dem Thomas Stelzer sehr viel zu, sonst hätte ich ihn nicht als meinen Nachfolger vorgeschlagen.

War es schwer, sich für ihn und gegen Michael Strugl zu entscheiden?
Beide sind exzellente Leute. Das war durchaus eine gründliche Überlegung.

War sie fair?
Beide hätten das Zeug. Ich glaube schon, dass es fair war. Ich bin jedenfalls froh, dass die beiden sehr gut miteinander können.

Wenn Sie ganz ehrlich sind: Tut es nicht auch ein bisschen weh, wenn der Nachfolger, noch bevor er Landeshauptmann ist, seit geraumer Zeit schon umschwärmt und hofiert wird?
Nein, das tut überhaupt nicht weh, ganz im Gegenteil. Ich überlasse ihm jetzt schon eine Menge Auftritte. Als Scheidender erfährt man so viel Wertschätzung, Anerkennung, Ehrungen. Deshalb habe ich damit überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil. Aller Glanz soll auf den Neuen fallen.

Ihr Rückzug kam einen Monat nach Erwin Prölls Rückzug. Zufall?
Ja, denn wenn ich mir an Erwin Pröll ein Vorbild nehmen müsste, dann müsste ich noch drei Jahre bleiben, denn er ist drei Jahre länger im Amt und drei Jahre älter. Derzeit findet in den Ländern Oberösterreich und Niederösterreich ein großer Umbau statt. Das ist evident. Dass das Einfluss auf die Bundespartei hat, ist auch klar, weil diese zwei Bundesländer fast 50 Prozent der ÖVP-Mitglieder repräsentieren. Ich hoffe sehr, dass der "New Deal", der jetzt ausgehandelt wurde, wirklich hält. Dass man versucht hat, Landeshauptmann Erwin Pröll am Ende seiner erfolgreichen politischen Karriere anzupatzen, war übrigens eine Sauerei und tut mir für ihn persönlich Leid.

Muss die ÖVP nach rechts rücken, um zu überleben?
Nein, die ÖVP muss ihren Platz in der Mitte wieder deutlicher und sichtbarer machen. Ökosoziale Marktwirtschaft, Familie als Grundpfeiler des Staates, Leistungs- und Bildungsgesellschaft mit einem starken soziales Netz. Aber für die, die es wirklich brauchen und nicht für die, die sich in der Hängematte wohler fühlen.

Demo- und Burkaverbot, Kürzung der Mindestsicherung: Ist das die Mitte?
Schauen Sie, das sind Schlagworte. Darüber sollte man sachlich und ruhig diskutieren und nicht gleich den großen Streit ausrufen. Denn was ist die Alternative?

Neuwahlen.
Glauben Sie wirklich, dass wir nach Neuwahlen besser ausschauen? Ich glaube es nicht. Meines Erachtens ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Koalition hält, nach der Einigung deutlich höher.

Bundeskanzler Christian Kern hat nur zwei Parteien den Willen zur Veränderung attestiert: der SPÖ und der FPÖ. War das nicht eine Brüskierung der ÖVP?
Ich habe mich auch gewundert. Ich halte es nicht für klug, dem eigenen Koalitionspartner diesen Willen abzusprechen. Es mag schon sein, dass er wegen der einen oder anderen Maßnahme verärgert ist. Weil vielleicht bei der Deregulierung, bei der Verwaltungsreform, in manchen Gebieten zu wenig weitergeht. Mir auch! Aber deswegen kann ich nicht sagen: "Die haben keinen Veränderungswillen."

Hätte die ÖVP nicht aussteigen sollen, als Kern das Ultimatum gestellt hat?
Ultimaten stellt man nicht in aufrechter Koalition. Aber Aussteigen wäre nicht sinnvoll, da hätte es nur dritte Nutznießer gegeben.

Und wann folgt Kurz auf Mitterlehner?
Sebastian Kurz hat eine ganz große politische Zukunft vor sich. Da braucht man kein Prophet sein, das sieht auch ein Blinder. Aber im Moment ist das kein Thema, denn Reinhold Mitterlehner macht seine Aufgabe ganz ausgezeichnet.

Von Ihrer Amtszeit ist zuletzt vor allem dieses eine Bild geblieben: Die oberösterreichische Landesregierung, lauter Männer präsentieren sich als die großen Sieger und keine einzige Frau. War das ein Fehler?
Das war damals eine schwierige Situation, das gebe ich zu, aber in der Politik verändern sich die Dinge Gott sei Dank sehr, sehr rasch. Ein gutes Jahr später hat die ÖVP eine Wirtschaftskammerpräsidentin, eine Klubobfrau, 43 Prozent Anteil der Frauen unter den Abgeordneten im Landtag und wir kriegen mit Christine Haberlander eine ganz, ganz tolle Landesrätin.

Also kein Fehler?
Ich kann eine demokratische Abstimmung nicht als "Fehler" bezeichnen. Aber es war nicht gut.

Freut Ihre eigene Frau sich eigentlich über Ihren Rückzug?
Josef Ratzenböck hat nach seinem Rückzug auch gesagt: "Ich bemühe mich, meine Frau nicht mit meiner Anwesenheit zu belästigen." Das kann ich eins zu eins unterschreiben. Christa hat mir immer den Rücken freigehalten und praktisch von mir unbehelligt unsere drei Glanzstücke von Kindern erzogen.

Hat sie auch gelitten?
Sicherlich dann und wann. Eines Nachts haben die Protestierer gegen das Kraftwerk Lambach unseren Garten belagert. Es hat auch Morddrohungen gegen uns gegeben. Das ist für eine Familie nicht gerade lustig.

Herr Landeshauptmann, an der Wand da drüben hängt ein Kreuz. Ist der Glaube Teil Ihrer DNA?
Ganz bestimmt. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch für ein sinnerfülltes Leben ein Fundament braucht. Bei mir sind das die zehn Gebote, ich bin ja nicht zufällig bei der ÖVP gelandet. Die christliche Weltanschauung habe ich sicherlich auch von meinen Eltern vererbt bekommen.

Wäre es für einen ehemaligen Religionslehrer nicht die größte Freude, nach dem Tod heiliggesprochen zu werden?
(Josef Pühringer steht auf, geht zu seinem Schreibtisch, holt einen Gebetstext von Theresa von Avila und liest ihn laut vor.) Dieser Text wird in den nächsten Wochen und Monaten sehr wichtig für mich sein. Hier heißt es: Oh Herr! Ich möchte kein Heiliger sein. Mit ihnen lebt es sich so schwer. Ich lege darauf also überhaupt keinen Wert. Ich wäre sehr zufrieden, wenn in meiner letzten Stunde der oberste Chef sagt: "Sepp, das hast du nicht so schlecht gemacht."

Seine Karriere
Geboren am 30. Oktober 1949 als Sohn des Trauner Schneidermeisterehepaares Josef und Maria Pühringer in Linz. Studium der Rechtswissenschaften, von 1970 bis 1976 arbeitet er als Religionslehrer. 1973 geht er in die Politik, neun Jahre lang ist er Chef der Jungen Volkspartei. 1995 wird er ÖVP-Chef in Oberösterreich und Landeshauptmann. Verheiratet mit Christa, die in Traun ein Gesundheitsinstitut betreibt. Drei Kinder: Katharina Maria (26), Josef (24) und Peter (19).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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