Leben? Ja!

Placebo im krone.at-Interview

Musik
21.06.2009 18:28
In zehn Ländern auf Platz 1 der Charts, erfolgreich auf Tour inklusive eines bejubelten Stopps beim Nova-Rock-Festival am vergangenen Samstag - doch Placebo geht es nicht nur deswegen prächtig. Die bisher vorwiegend für melancholische und pessimistische Songs berühmt-berüchtigte Band um Mastermind Brian Molko hat auf ihrem neuen Album "Battle For The Sun" andere Wege eingeschlagen und sich nach über zehn Jahren Depri-Musik auch den sonnigen Seiten des Lebens gewidmet. Warum und wodurch erzählt Brian Molko im krone.at-Interview.
(Bild: kmm)

Herr Molko ist kein unkomplizierter Interviewpartner. Er spricht mit dem Wortschatz eines Hochschullehrers, sehr bedacht, und häufig ohne seinem Gegenüber in die Augen zu blicken. Genauso gern bewegt sich der charismatische Placebo-Kopf verbal unter die Gürtellinie. "Battle For The Sun" bespricht Molko hingegen ungewohnt entspannt. Denn es kam in der Vergangenheit selten vor, dass er, wenn es um die Musik geht, mit positiv beladenen Themen konfrontiert ist und z.B. ein Wort wie Hoffnung ohne ein "no" vorne dran fällt.

Die Band erlebte bei der Produktion der neuen Platte einen positiv-geladenen Energieschub, der nach dem Depri-Album "Meds" offenbar dringend notwendig gewesen war. Die Veränderung machte der ausgelaufene Vertrag beim Majorlabel EMI möglich, sowie der Rauswurf/Ausstieg von Drummer Steve Hewitt. Mit dem erst 22 Jahre jungen Schlagzeuger Steve Forrest nahmen Placebo ihr Anfang Juni erschienenes Album in Eigenregie im kanadischen Toronto auf. Deklarierte Ziele: Veränderung um jeden Preis, "Hoffnung für den Zuhörer" (O-Ton Molko) und Songs, die Fans und Kritiker nicht erwartet hätten.

Die Vorsätze wurden jedenfalls erfüllt und das betont rockige und sehr dynamische Ergebnis kommt beim Endverbraucher mehr als gut an: In zehn Ländern schnellte "Battle For The Sun" ohne große PR-Maschinerie auf Platz eins der Charts - Österreich inklusive. Hier das Gespräch mit Brian Molko, wenige Stunden vor dem Auftritt der Band beim Nova-Rock-Festival.

krone.at: "Battle For The Sun" ist ein überraschend lebensbejahender, fast jubelnder Nachfolger eures letzten Albums "Meds"...

Brian Molko: Nun ja, der Charakter jedes neuen Albums wird am meisten durch seinen Vorgänger bestimmt. Man nimmt sich bei der Produktion ja nur Dinge vor, die man nicht bzw. nicht wieder tun möchte. "Meds" war ein gut gemachtes und zudem sehr emotionales Album, trotzdem fanden Stefan (Olsdal, Placebo-Bassist, Anm.) und ich im Nachhinein, dass es zu düster geraten war. Man konnte keine Perspektive heraushören, keine Zuversicht. Unser nächstes Album sollte farbenfreudig werden, den Fans Hoffnung geben.

Grund zum Jubeln hatten Stefan und ich über unsere wiederentdeckte Kreativität und unser Selbstbewusstsein als Songwriter. Wir hatten eine sehr düstere Phase hinter uns gelassen und konnte wieder in die Zukunft blicken. Davor gab es manchmal Tage, an denen wir uns dem Ende nahe fühlten. Zusätzliche Energie gab uns dann auch noch die Aufnahme eines neuen Mitglieds in die Band. Da wurde uns erst bewusst, wie verdammt lange wir verdammt unglücklich mit Placebo waren.

krone.at: Aber unglücklich zu sein war doch eine Art Bandkonzept, oder? Die Musik von Placebo stellte immer klar, dass das Leben auch weh tun kann.

Brian Molko: Ja, aber das war keine intellektuelle Angelegenheit oder eine Frage des Selbstverständnisses. In einem Autorenworkshop wird einem als erstes erklärt, dass man über Dinge schreiben soll, die man kennt. Ich habe das immer so gemacht. Aber obwohl meine Arbeit dadurch in gewisser Weise autobiografisch ist, sind Placebo-Songs keine Seiten aus meinem Tagebuch. Lyrics sind fiktive Geschichten basierend auf echten Elebnissen ("It's small fiction based on real events").

Das kleines bisschen Erfundene ist wichtig, schließlich ist Songwriting ein Kunsthandwerk. Der Zuhörer muss sich damit identifizieren können, dazu gehört auch eine entsprechende Ambiguität, die Raum schafft, in dem er sich bewegen kann. Unsere Karriere begann, als wir selbst noch nach dem Sinn des Lebens suchten. Wir wuchsen im Rampenlicht und in unserer Musik auf. Unter diesen Umständen konnte es uns nur auf die dunkle Seite ziehen, weil es einem viel spannender erscheint, die düstere Seite der Psyche zu erforschen. Da ist mehr Fleisch, in das man seine Zähne tief hineinschlagen kann.

krone.at: Wie wichtig war es für "Battle For The Sun", dass ihr das Album auf eigene Faust produziert habt und keinen Vertrag bei einem Majorlabel hattet?

Brian Molko: Es war für uns schon lange klar, dass wir nach dem Auslaufen unseres Vertrages mit EMI auf der Independent-Schiene weitermachen wollten. Schon allein aus dem Prinzip der notwendigen Veränderung. Wir nahmen 3.000 Meilen von zuhause entfernt eine Platte auf, die wir aus eigener Tasche bezahlten. Uns saß kein Majorlabel im Nacken, das sich nur um die maximale Zahl erfolgreicher Singles Gedanken macht und ob es sein investiertes Geld wieder zurückbekommt. Zum ersten Mal konnten wir ein geschlossenes Album machen, was ja heutzutage nicht mehr so oft geschieht. Wenn ich nur an die alten Vinyl-Platten denke! Das waren Alben, keine Single-Sammlungen. Für die junge Generation hat das mit den heutigen Vertriebswegen keine Bedeutung mehr.

krone.at: Früher musste man halt noch von der Couch aufstehen und die Nadel verrücken, um einen Song auf der Platte zu überspringen...

Brian Molko: Genau! Es ist wie mit der Erfindung der TV-Fernbedienung. Seither schaut sich keiner mehr ernsthaft etwas an, sondern zappt durch tausend Kanäle. Die Berücksichtigung dieser Effekte ist uns bei "Battle For The Sun" erspart geblieben. Es gab keinen Grund, auf den kommerziellen Aspekt zu achten. Und siehe da: Das Album ist in zehn Ländern Nummer eins!

krone.at: Glaubst du, dass es beim nächsten Mal schwieriger wird, wenn das Echo der PR-Maschine eines Majorlabels nicht mehr nachhallt?

Brian Molko: Keine Ahnung! Wenn du dir einen runterholst, weißt du dann, ob es beim nächsten Mal genauso gut wird? (lacht) Ich hab leider keine Kristallkugel und bin kein Handleser.

krone.at: Auf der Making-of-DVD zu "Battle For The Sun" sprichst du davon, dass Placebo mit der Zeit zu einer Marke verkam. Was störte dich an dieser Marke?

Brian Molko: Unser Zusammengehörigkeitsgefühl, Brüderlichkeit, dieses "Us against the world"-Feeling einer Band - all das löste sich in Luft auf. Wir waren von einer Lebensphilosophie zu einer bloßen Vorstellung verkommen. Ich fühlte mich bald, als würde ich jeden Tag zur Arbeit gehen - ich spiele aber in einer Band, damit ich genau das nicht tun muss! (lacht) Irgendwann versucht du diese zweite Realität, die du um dich herum geschaffen hast, zu meiden. Das kann aber nicht funktionieren und du kommst dann drauf, dass du wirklich in der Scheiße steckst. Folglich musst du etwas verändern. Für Placebo war eine personelle Konsequenz genau die richtige Entscheidung.

krone.at: Apropos Bandmitglieder: Eure Entscheidung, den mit 22 Jahren doch recht jungen Drummer Steve Forrest als Nachfolger von Steve Hewitt in die Band zu bringen, hat für Aufsehen gesorgt. Was macht ihn so passend für Placebo?

Brian Molko: Wir haben eines gemeinsam: Wir können nichts anderes tun, außer Musik zu machen. Wir haben kein Verlangen nach und auch kein Talent für Alternativen. Ein anderer, erzwungener Lebensinhalt als Musik würde uns wohl umbringen. Die Belohnung für das Musikerdasein kommt in Form von Freiheit - persönlicher, beruflicher, gedanklicher. Steves Drang nach dieser Freiheit ist genauso stark wie unserer.

krone.at: Irgendwo auf dem Album fällt der Ausdruck "emotional sense", ein zunächst eher sonderbar anmutendes Wortkonstrukt...

Brian Molko: Ich gebe dir ein Beispiel: Wir weigern uns seit Jahren, zwei unserer erfolgreichsten Singles zu spielen. Weil "Nancy Boy" und "Pure Morning" für uns einfach keinen emotionalen Sinn ergeben. Wir haben keine gefühlsmäßige Bindung zu diesen Songs und sind nicht der Typ Band, der auf die Bühne stapft und im Laufschritt durch ein Programm hetzen kann. Wenn wir selbst nichts fühlen, können wir auch dem Publikum keine Emotion vermitteln. Man spielt keine Songs, die man nicht fühlen kann. Das wäre eine glatte Lüge.

von Christoph Andert

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