Studie liefert Beweis

Ratings oft selbsterfüllendes “Finanz-Voodoo”

Ausland
29.06.2011 16:57
Der Verdacht, dass das vielkritisierte "Finanz-Voodoo" der Ratingagenturen den Druck auf verschuldete Staaten ungerechtfertigt erhöht und auf den Finanzmärkten Hektik provoziert, ist seit Beginn der Euro-Krise nicht nur einmal geäußert worden. Schweizer Ökonomen der Uni St. Gallen liefern jetzt auch einen wissenschaftlichen Beleg dafür: "Schlechte Ratings können sich von selbst erfüllen, selbst wenn sie ungerechtfertigt sind", so das Ergebnis ihrer Studie. Und bei den Euro-Schuldenländern haben die Rating-"Zauberer" offenbar ganze Arbeit geleistet.

Die Agenturen haben die Kreditwürdigkeit der sogenannten PIGS-Staaten (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) in den letzten zwei Jahren ungerechtfertigt weit herabgestuft, schlussfolgern die Schweizer Wirtschaftsforscher in ihrer Arbeit. "Man könnte fast meinen, Ratingagenturen erfüllen einen reinen Selbstzweck: Sie können einen Staatsbankrott ex ante nicht vorhersagen, aber in bestimmten Situationen herbeiführen und damit prognostizieren", so die Autoren Prof. Manfred Gärtner, Björn Griesbach und Florian Jung.

Ein niedriges Rating prognostiziert, dass ein Zahlungsausfall in Zukunft wahrscheinlicher wird. Es bedeutet aber auch, dass der Betroffene heute und in Zukunft höhere Zinsen auf seine Staatsschulden bezahlen muss. "Dies kann bewirken, dass sich die ursprüngliche Prognose von selbst bewahrheitet", heißt es.

Für den Kapitalmarkt sind Ratingagenturen wie Gott
Die Studie zeigt, dass Ratingabstufungen eines Landes generell mit höheren Zinssätzen auf dessen Staatsschulden verbunden sind, auch wenn Fundamentalwerte wie etwa die Verschuldungsquote, das Haushaltsdefizit oder das Wirtschaftswachstum des entsprechenden Landes die Ratingänderung nicht oder nur teilweise rechtfertigen. Und noch eine landläufige Theorie belegt die Studie, nämlich, dass die Finanzmärkte anfällig für dieses Voodoo sind: "Der Kapitalmarkt, auf dem die Zinssätze für Staatsschulden bestimmt werden, glaubt den Urteilen der Ratingagenturen offenbar auch dann, wenn diese den Fundamentaldaten zuwider liegen." Dies eröffne den Ratingagenturen einen gewissen Spielraum.

Hätte Griechenland beispielsweise das gleiche Rating wie Deutschland oder Österreich und müsste hierdurch nur noch rund drei Prozent statt aktuell 17 Prozent Zinsen auf seine Staatsanleihen bezahlen, entspräche das beim gegenwärtigen Schuldenstand von 329 Milliarden Euro jährlich absoluten Zinszahlungen von knapp zehn statt 56 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das vielfach als zu hoch kritisierte Haushaltsdefizit Griechenlands von elf Prozent des BIP entspricht 24 Milliarden Euro.

Den PIGS wurde übel mitgespielt
Die Studie mit dem Titel "PIGS or Lambs? The European Sovereign Debt Crisis and the Role of Rating Agencies" zeigt auch, dass Ratingagenturen tatsächlich die Kreditwürdigkeit der sogenannten PIGS-Staaten in den letzten zwei Jahren ungerechtfertigt weit herabgestuft haben. Das heißt, es gibt andere Länder, die ähnliche Fundamentaldaten aufweisen, aber ein deutlich besseres Rating erhalten haben.

Die Autoren schätzen die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen als problematisch ein, genauso wie die Oligopolstellung der drei Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor und Fitch sowie deren fatale Fehleinschätzungen zahlreicher Derivate während der Finanzkrise. Vor diesem Hintergrund stellt sich laut der Autoren der Studie die Frage, ob Regierungen nicht eine höhere Transparenz und Diversifizierung im Markt für Ratingagenturen erzwingen sollten. Seit der Euro-Krise debattieren die EU-Mitgliedsländer auch über eine eigene europäische Ratingagentur. Passiert ist noch nichts.

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