Nach Beinahe-Crash

Börsianer flehen Staat um Regulierung an

Ausland
09.05.2010 14:17
Jetzt reicht es selbst den Börsianern. Nach dem nie gesehenen Kursexzess an der New Yorker Wall Street am Donnerstagabend rufen selbst hartgesottene Aktienhändler nach der sonst so oft verschmähten ordnenden Hand des Staates. "Dieser Irrsinn schreit nach Regulierung", sagt Klaus Stabel von der Wertpapierhandelsbank ICF. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass es zu absurden Kurssprüngen kam, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.

Experten wie der deutsche Bankenprofessor Hans-Peter Burghof fordern schon länger härtere Auflagen für den computergesteuerten Handel und sehen sich jetzt in ihrer Einschätzung bestätigt. "Wir müssen Regeln finden, wie wir mit der zunehmenden Abhängigkeit vom computergesteuerten Handel umgehen," sagt er.

US-Politiker stießen in das gleiche Horn und forderten umgehende engere Schranken für den zuletzt immer größer und schneller automatisierten Börsenhandel durch Computer. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und die Regierung wollen sich die unfassbaren Kursbewegungen genau anschauen.

Plötzlicher Einbruch um fast neun Prozent
Am Donnerstagabend war der amerikanische Aktienmarkt innerhalb weniger Minuten ohne ersichtlichen Grund um fast neun Prozent eingebrochen. Besonders deutlich wurde der "Börsen-Wahnsinn" anhand der Entwicklung des Schwergewichts Procter & Gamble (P&G). Der Marktwert des zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zählenden Konzerns rauschte innerhalb weniger Minuten um mehr als ein Drittel oder etwa 60 Milliarden Dollar (rund 47 Milliarden Euro) ohne fundamentalen Grund nach unten. "Es ist unvorstellbar, dass so etwas überhaupt möglich ist", sagt Stabel.

Schuld war offenbar ein fatale Kettenreaktion von computergesteuerten Handelssystemen, die nach bestimmten Regeln selbst handeln. Alle von den Börsenbetreibern eingebauten Schutzdämme wurden binnen Sekunden fortgespült. Heiko Veit, Experte von Metzler Investment, sieht den Ruf des gesamten Börsenbetriebs in Gefahr. "Die Vorgänge an der Wall Street könnten die Diskussion um den Aktienmarkt als Spielcasino wieder aufleben lassen." Der drastische Kurssturz innerhalb weniger Minuten zeige, wie "nervös und verletzlich" der Aktienmarkt ist.

Bereits 2008 fuhr die VW-Aktie Achterbahn
In Deutschland wurde sofort an den Oktober 2008 erinnert. Damals schoss die VW-Aktie wegen hochspekulativer Finanzwetten des Großaktionärs Porsche um fast 500 Euro auf mehr als 1.000 Euro hoch. Der Autohersteller wurde so zumindest für ein paar Stunden zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Schon damals konnten selbst Profis dies nicht mehr nachvollziehen und riefen nach der ordnenden Hand des Staates. Passiert ist wenig bis gar nichts.

Doch während bei dem VW-Kurssprung Porsche als Übeltäter galt, der mit komplizierten Finanzinstrumenten die Mehrheit am größten europäischen Autoherstellers erobern wollte, gab es für den jüngsten Kursrutsch von Standardwerten wie Procter & Gamble oder 3M keinen fundamentalen Grund - schuld war vielmehr der zuletzt immer intensiver gewordene Handel durch Computer. "Das war wie eine Apokalypse für den computergesteuerten Handel", sagt Stefan de Schutter vom Wertpapierhandelshaus Alpha.

"Es kann nicht sein, dass das System so einen Handel zulässt"
Das Marktversagen vom Donnerstag könnte das Fass bei den Regulierern zum Überlaufen gebracht haben. "Es kann nicht sein, dass ein angeblich intelligentes Handelssystem - wo auch immer es zum Einsatz kommt - einen so klar erkennbaren fehlerhaften Handel zulässt", sagt Stabel. "Offenbar ist hier systembedingt jegliche Plausibilitätsprüfung unterblieben." Das System ist nach Einschätzung der Experten kaum mehr zu kontrollieren, zumal zahlreiche Investmentbanken ihren Handel immer mehr über außerbörsliche Plattformen abwickeln.

Die systematischen Fehler wurden offensichtlich dadurch verstärkt, dass die Nervosität am Markt wegen der sich ausweitenden Schuldenkrise in der Eurozone besonders hoch ist. Die Krise ist nach Einschätzung längst über den Atlantik geschwappt und könnte bald die Erholung der gesamten Weltwirtschaft in Gefahr bringen. Um die ohnehin angeschlagenen Märkte nicht noch stärker zu schwächen und wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die gesamte Weltwirtschaft an den Rand des Absturzes zu bringen, sind jetzt alle Beteiligten gefordert. Banken-Professor Burghof sieht die Börsenbetreiber wie die NYSE, Nasdaq oder die Deutsche Börse genauso in der Pflicht wie Banken und Aufsicht.

Ein generelles Verbot des Computerhandels hält er allerdings weder für sinnvoll noch für durchsetzbar. Die Systeme machen die Märkte effizienter. "Das Rad kann hier nicht ganz zurückgedreht werden." Aber daran, dass sich der gesunde Menschenverstand wieder einen Teil des an die Computer abgegebenen Terrains zurückerobern muss, zweifelt kaum einer mehr.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele