"Krone"-Interview

Düringer: “Alles kaufen wollen ist Sklaverei”

Adabei
21.12.2013 16:05
Shoppingwahn und Weihnachtsstress, so was quält Roland Düringer schon lange nicht mehr. Der Schauspieler lebt seit einem Jahr ohne Kreditkarte und Konsumzwang. Mit Conny Bischofberger sprach er über die Kunst des Weglassens und sein einfaches, gutes Leben.

Mit einem zusammengeklappten Roller unterm Arm betritt Roland Düringer das "Krone"-Hochhaus in der Wiener Muthgasse. Er ist mit dem Zug aus Neulengbach gekommen, mit der U4 nach Heiligenstadt gefahren und hat bei Radio 88.6, in der Morgenshow, eh zu tun gehabt. Das letzte Stück hat er mit seinem Tretroller zurückgelegt.

"Für mi des sinnvollste Fahrzeug in der Stadt überhaupt", sagt ausgerechnet der "Benzinbruder", der noch vor ein paar Jahren am liebsten Autos und Motorräder gekauft und für eine Kreditkartenfirma Werbung gemacht hat. Ohne Auto sei man sogar noch mobiler, behauptet er. Verzicht - auch auf Handy, E-Mails, Fernsehen, Kreditkarte und Supermärkte - macht offenbar zufrieden: Roland Düringer lacht viel, und wenn er spricht, wippen seine bunten "Bartkugerl" fröhlich auf und ab.

"Krone": Herr Düringer, was bewegt einen Künstler dazu, sich aus der Welt des Konsums und der Kommunikation zurückzuziehen?
Roland Düringer: Vor mir lag ein Jahr, in dem ich mit meinem Programm auf Tour ging und kein neues Programm zu schreiben, also mehr Zeit hatte, und ich stellte mir die Frage: Was mache ich mit diesem Jahr? Ich hab' mich intensiv an meine Kindheit erinnert und plötzlich eine große Sehnsucht nach der überschaubaren, langsamen Welt von damals gespürt. Da startete ich einen Selbstversuch. Ich wollte wissen, was passiert, wenn ich heute wieder so lebe wie in den 70er-Jahren. Damals hatten wir kein Auto und waren trotzdem mobil. Wir hatten keinen Fernseher und es war uns trotzdem nicht langweilig. Wir hatten kein Internet und waren trotzdem vernetzt - mit echten Menschen.

"Krone": Seither muss man Ihnen Postkarten schreiben, weil Sie kein Handy haben und auch keine Mails mehr lesen.
Düringer:(lacht) Jeder, der ein Handy hat, weiß, wie schrecklich das ist, wenn es pausenlos läutet. E-Mails und Mobiltelefone sollten uns das Leben erleichtern, aber in Wahrheit belasten sie uns und kosten wahnsinnig viel Energie.

"Krone": Ist man ohne Handy und Mails nicht ein bisschen einsam?
Düringer: Nein, eben nicht. Weil man plötzlich von Angesicht zu Angesicht mit Menschen in Kontakt tritt.

"Krone": Stimmt es, dass Sie jetzt in einem Wohnwagen leben?
Düringer: Es ist eigentlich ein kleines Holzhaus mit 28 Quadratmetern auf Rädern. Ich könnte es an einem Tag abbauen und an einen anderen Ort bringen. 28 Quadratmeter, das heißt, ich komme erst gar nicht in Versuchung, Industriegerümpel zu kaufen. Und ich bin autark, ich hänge an keinem Stromnetz. Das bissel Strom, das der Wagen braucht, gewinne ich aus einer kleinen Photovoltaik-Anlage. Ich heize mit Holz, ich habe Gasflaschen, mit denen ich Warmwasser machen und kochen kann. Mehr braucht es nicht.

"Krone": Industriegerümpel - nennen Sie so die Geräte, die fast jeder zu Hause stehen hat?
Düringer: Industriegerümpel ist alles, was ein Ablaufdatum hat. Das meiste ist so gebaut, dass es schnell zu Müll wird, damit wir wieder Neues kaufen müssen. Wir denken viel zu wenig darüber nach, dass alles, was wir konsumieren, eigentlich unserem Planeten gehört. Und verwandeln so unseren ganzen Planeten langsam zu Müll. Da muss ich nicht mitmachen.

"Krone": Ist Kaufen für Sie was Unmoralisches?
Düringer: Wenn ich etwas brauche, ist es sinnvoll, es zu kaufen. Es macht nur keinen Sinn, etwas zu kaufen, was ich nicht brauche, sondern nur haben will. Noch dazu mit Geld, das ich nicht habe. Das ist in Wirklichkeit pathologisch.

"Krone": Haben Sie deshalb keine Bankomat- und Kreditkarten?
Düringer: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mir mit Geld, das ich eingesteckt habe, viel leichter tu' bei der Kaufentscheidung. Und ich kann auch nur ausgeben, was ich tatsächlich habe. Wir glauben, dass Freiheit bedeutet, sich alles kaufen zu können. Aber alles kaufen wollen ist in Wahrheit Sklaverei, weil es in uns immer mehr Bedürfnisse weckt, die eine ganz große Macht über uns haben. Für diese Bedürfnisse müssen wir dann arbeiten, viel arbeiten. So haben viele Leute einen Job, der sie nicht wirklich freut, um sich Dinge zu kaufen, die sie gar nicht brauchen. Industriegerümpel zum Beispiel.

"Krone": Sind Sie gar nicht in Weihnachtsstimmung, wo man gerne schöne Dinge kauft für Menschen, die man liebt?
Düringer: Prinzipiell ist Schenken ja was Schönes. Aber müssen wir das einmal im Jahr in dieser Geschwindigkeit abwickeln? Wäre es nicht schön, wenn wir 365 Tage im Jahr das Herz offen hätten?

"Krone": Aber was ist Weihnachten ohne Geschenke?
Düringer: Bei uns gibt es seit vielen Jahren keine Weihnachtsgeschenke mehr - meine Tochter ist jetzt zwölfeinhalb und weiß, dass es kein Christkind gibt. Sie braucht eigentlich nur eine warme Skihose. Meine Frau und ich, wir schenken uns nichts. Trotzdem mögen wir diese Zeit sehr. Da kehrt ein bisschen Ruhe ein, da wird alles ein bisschen langsamer. Man muss sich nur fernhalten von Einkaufsstraßen, wo alle nur einen Stress haben und Kekse essen, von denen sie Bauchweh bekommen. Wo alle etwas mitspielen, was sie eigentlich gar nicht wollen.

"Krone": Warum ist das so?
Düringer: Weil der Mensch sich vor Eigenverantwortung drückt. Lieber macht er mit, was die anderen machen, um des lieben Friedens willen. Ich stell' mir manchmal vor, ich bin ein Außerirdischer und lande am Samstag vor Weihnachten in der Shopping City Süd. Was denkt sich ein Außerirdischer, wenn er sieht, was dort los ist?

"Krone": Lauter Wahnsinnige?
Düringer: Ohne es zu bewerten. Er fragt sich: Ist das ein Ritual? Huldigen die Menschen da irgendeinem Gott? Oder sind sie alle auf der Flucht? Werden sie gezwungen, um die Wette möglichst viel Geld auszugeben? Der stellt sich tausend Fragen, vor allem, warum den Menschen, die sich alles kaufen können, die Mundwinkel meistens bis zu den Fersen runterhängen.

"Krone": Lachen Sie mehr, seit Sie sich ausgeklinkt haben?
Düringer: Ich lächle mehr, ich bin freundlicher. Auch in der U-Bahn, wo alle mit ihrem Handy spielen und sich Zeitungen vors Gesicht halten. Ich finde das eigentlich alles sehr lustig. Ein bisschen ist es auch skurriles Theater.

"Krone": Ihr Buch "Leb wohl, Schlaraffenland" wurde bereits 25.000-mal verkauft. Ist Ihre Sehnsucht nach der überschaubaren Welt ansteckend?
Düringer: Ich glaube schon. Mir schreiben sehr viele Menschen, die in kleinen Gemeinschaften leben, sich selbst versorgen und zum Teil sogar eine eigene Währung haben. Die brauchen das alles genauso wenig wie ich. Aber es ist natürlich noch immer eine kleine Minderheit, die so einfach lebt. Die Frage ist, ob diese Art zu leben einmal einen Schneeballeffekt haben wird.

"Krone": Was glauben Sie?
Düringer: Ich glaube, dass das System, diese Blase, in der wir leben, irgendwann zerplatzt, und dann werden sich neue Strukturen bilden. Klug ist es, sich schon jetzt unabhängig zu machen, sich auf eigene Füße zu stellen. Wenn ich mich gut versorgen kann, wenn ich autark leben kann, gut vernetzt bin mit realen Menschen in meiner Umgebung, dann kann mir nichts passieren, wenn es zum großen Knall kommt.

"Krone": Kann die Antwort auf die großen Veränderungen wirklich sein, sich in seiner eigenen kleinen Welt abzuschotten?
Düringer: Die Antwort kann nur sein, wieder Verantwortung zu übernehmen. Ich kann einer alten Frau, die bei mir im Haus wohnt und sich mit den Einkäufen plagt, anbieten, ihr das abzunehmen. Das ist tausendmal sinnvoller als irgendwelche Petitionen im Internet zu unterschreiben für die Hunde in der Ukraine und zu glauben, man hätte gerade die Welt gerettet. Gar nichts hlieber die Fühler aus und kümmere mich um die Menschen rund um mich herum. Das ist dann wirklich Weihnachten.

"Krone": Herr Düringer, Ihr Selbstversuch endet am 1.1.2014 - was wird dann sein?
Düringer: Was als Versuch vorgesehen war, ist mein Leben geworden… Es wird also so weitergehen, wie es sich in diesem Jahr eingespielt hat. Und ich werde nichts vermissen.

BUCHTIPP: "Leb wohl, Schlaraffenland - die Kunst des Weglassens" ist im Verlag edition a erschienen (€ 19,95).

Seine Karriere
Geboren am 31. Oktober 1963 in Wien. Schauspieler, Kabarettist und Buchautor. Im Dezember 2011 erregt er mit seiner "Wutbürgerrede" Aufmerksamkeit. Seit Jänner 2013 führt der frühere Werbeträger für eine Kreditkartenfirma, Motorrad- und Autosammler ein Videotagebuch auf www.gueltigestimme.at, in dem er über sein "Leben wie in den 70er-Jahren" berichtet. Alle Tourtermine zu seinem aktuellen Programm "WIR - Ein Umstand" unter www.e-a.at oder www.kabarett.at. Düringer ist seit 2007 mit Regine verheiratet und hat eine zwölfjährige Tochter namens Ilvy.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

(Bild: kmm)



Kostenlose Spiele