"Ein Armutszeugnis"

Zeltlager für Flüchtlinge: Kritik von allen Seiten

Österreich
14.05.2015 20:04
Die Entscheidung der Bundesregierung, nunmehr Zeltlager zur Unterbringung von Flüchtlingen zu errichten, hat am Donnerstag eine Welle der Empörung ausgelöst. Vertreter aus den betroffenen Bundesländern, die Opposition sowie Caritas und Diakonie übten harsche Kritik an dem Schritt von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die sich angesichts eines neuen massiven Flüchtlingsstroms zu dieser "Notmaßnahme" gezwungen sieht. In den heftigen Reaktionen ist unter anderem von "Armutszeugnis" und "strukturellem Versagen des Innenministeriums" die Rede.

Das Ministerium hatte - wie berichtet - Donnerstagfrüh mitgeteilt, wegen der zuletzt stark gestiegenen Asylzahlen seien die verfügbaren Unterkünfte nun so knapp, dass an drei Standorten Zeltlager errichtet werden: in der Stadt Salzburg, in Linz und im oberösterreichischen Thalham. Es handelt sich um zwölf Acht-Personen-Zelte pro Standort, maximal 96 Personen werden pro Zeltlager - und das möglichst für nur wenige Tage - untergebracht. Am Freitag soll ein eingesetzter Krisenstab unter anderem mit Vertretern von Bundesländern, NGOs, Feuerwehren und Verteidigungsministerium zusammenkommen.

"Armutszeugnis für die Flüchtlingspolitik des Bundes"
Die Entscheidung für die Zeltlager stieß auf heftige Kritik. Salzburgs grüne Landesrätin Martina Berthold etwa bezeichnete die Maßnahme als "ein Armutszeugnis für die Flüchtlingspolitik des Bundes". "Die Situation ist nicht so drastisch, dass Flüchtlinge in Zeltstädten untergebracht werden müssen", sagte Berthold. "Ich persönlich halte diese vom Bund gewählte Art der Unterbringung für gänzlich ungeeignet." Selbst am Höhepunkt der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien habe es Österreich geschafft, Hunderttausende Flüchtlinge zu versorgen, ohne auf derart "absolute Notmaßnahmen" wie die Errichtung von Zeltlagern zurückgreifen zu müssen.

Statt die Flüchtlinge in Zelten unterzubringen sollte die Bundesregierung endlich die Kasernen öffnen, forderte Berthold. In Salzburger Kasernen würden Gebäude leer stehen, beispielsweise in der Schwarzenbergkaserne. "Wann, wenn nicht jetzt, gehören diese zur Verfügung gestellt?", stellte Berthold die Frage an den Bund. "Die Kaserne wäre ein gutes Dauerquartier. Ich hoffe, dass auf Bundesebene endlich eine Einigung erzielt wird." Der Vorschlag, die Kasernen zu öffnen, sei bisher gescheitert, weil sich Innen- und Verteidigungsministerium nicht einigen konnten. "Damit muss endlich Schluss sein", so die Landesrätin.

"Strukturelles Versagen des Innenministeriums"
Der Bürgermeister von Linz, Klaus Luger (SPÖ), bezeichnete die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Polizeiareal in der oberösterreichischen Hauptstadt als erforderliche "Notlösung". Allerdings könnten auch andere Landeshauptstädte wie Graz einen Beitrag zur Entspannung der aktuellen Situation leisten. Luger kritisierte, dass er über die geplante Zeltstadt aus den Medien erfahren habe. Auf solcher Basis sei eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem zuständigen Ministerium sowie mit der oberösterreichischen Landesregierung mit unnötigen Reibungsverlusten verbunden, sagte der Stadtchef.

Luger ortete ein "strukturelles Versagen des Innenministeriums". Im Zuge einer Verwaltungsreform sollten die Asylangelegenheiten neu strukturiert werden. Zentral vom Bund geregelt oder organisiert, läge die Asylpolitik somit im alleinigen Verantwortungsbereich des Innenministeriums. "Eine quotenmäßige Aufteilung hilfsbedürftiger Fremder ab einer gewissen Einwohnergröße eines Bezirkes oder einer Gemeinde über das gesamte Bundesland halte ich für zielführend." Dadurch würden überschaubare kleinere Betreuungseinrichtungen entstehen, die die Lage entspannen würden.

Grüne orten "Inszenierung", Kritik auch von NEOS und FPÖ
Geht es nach der Opposition und Hilfsorganisationen, dürfte es eigentlich kein Problem sein, ausreichend Unterkünfte zu finden und somit Zeltstädte zu vermeiden. Die grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun warf Mikl-Leitner "Inszenierung" vor. Das Unterbringungsproblem sei demnach von der Ressortchefin hausgemacht. Korun sagte, dass Mikl-Leitner gefordert sei, die rund 1.000 in Traiskirchen festsitzenden minderjährigen Flüchtlinge kindgerecht zu versorgen - dann wäre dort auch mehr Platz für neu ankommende Schutzsuchende. In einem so reichen Land wie Österreich mit Zeltlagern auf mehr Flüchtlinge zu antworten sei jedenfalls unwürdig und nicht nachvollziehbar.

NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak sagte, man könne ihm nicht erklären, dass es in ganz Österreich keinen überdachten Ort gebe, der sich für die Unterbringung von Schutzsuchenden anbieten würde. Die FPÖ hält von Zeltstädten ebenfalls nichts, mehr stört Parteichef Heinz-Christian Strache aber, dass auch ein auf rund 300 Personen ausgelegtes Flüchtlingsquartier in Wien-Erdberg, das schon vergangenen Herbst und Winter als Notunterkunft gedient hatte, nun wieder eröffnet werden soll. Strache, der heuer als Spitzenkandidat bei der Wiener Gemeinderatswahl antritt, warf SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl vor, die "Krone des Asylkaisers" nicht abgeben zu wollen.

Caritas: Zeltstädte dienen nur "politischem Muskelspiel"
Die Caritas sprach von einem "Armutszeugnis". Wegen 300 schutzsuchender Menschen den Notstand auszurufen, sei zynisch und entbehre jeder Grundlage, sagte der Generalsekretär der Caritas Wien, Klaus Schwertner. 300 Flüchtlinge müssten in Österreich leicht eine andere Unterbringung als in Zelten finden. Schwertner appellierte an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, Besonnenheit und Sachlichkeit walten zu lassen. Seiner Ansicht nach dienen die Zeltstädte "allein einem politischen Muskelspiel auf dem Rücken von Flüchtlingen".

Auch aus Sicht der Diakonie ist die Unterbringung von Flüchtlingen in Zeltstädten "absolut nicht notwendig". Laut dem Leiter des Diakonie-Flüchtlingsdiensts, Christoph Riedl, gäbe es nämlich genug Unterkünfte, wenn Bund und Länder bereit wären, auch das Personal für diese zu bezahlen. Demnach sei es "keine Unterbringungskrise, sondern eine Finanzkrise". Ärgerlich findet der Diakonie-Experte auch das "Krisengeschrei", wie es schon zu Weihnachten ertönt sei. Seither habe man es verabsäumt, Vorkehrungen für den nächsten größeren Ansturm von Flüchtlingen zu treffen, obwohl man mit diesem ohnehin fix gerechnet habe.

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