Über Amok-Wilderer

Schwester: “Seine Welt war nicht meine Welt”

Österreich
20.09.2013 16:00
Im Blutrausch hat er drei Polizisten und einen Sanitäter hingerichtet. Er hat das Land schockiert und, mehr noch, ganze Familien ins Unglück gestürzt: jene der Opfer - und die eigene. Im "Krone"-Interview spricht jetzt die Schwester des Vierfachmörders Alois Huber über die dunklen Seiten ihres Bruders. "Seine Welt war nicht meine Welt", so die 44-Jährige.

Sie ist jetzt mit einem Mörder verwandt. Vier Menschen hat ihr Bruder auf dem Gewissen. Für Rosemarie H.-B. eine unerträgliche Last. "Der Schock sitzt tief", sagt sie. Und redet sich die Qualen von der Seele. Ihre Hauptsorge gilt der schwer kranken Mutter und dem Vater. Mit der Welt ihres Bruders hat sie - selbst Mutter und nicht weit vom Tatort zuhause - aber schon abgeschlossen.

Trotz des Schmerzes, der Verzweiflung und aller Ängste sind die Gedanken der tapferen Frau aus dem Bezirk Melk in Niederösterreich bei den Angehörigen der Opfer. Sie betet für die Familien und bittet um Verzeihung für etwas, wofür sie nichts kann. Wie sehr sie sich von dem Amokläufer, der einmal ihr Bruder war, innerlich distanziert hat, zeigt ihre Wortwahl. Den Taufnamen Alois spricht sie im Interview mit der "Krone" nicht ein einziges Mal aus.

"Krone": Was geht in Ihnen vor - in diesen wohl schlimmsten Stunden Ihres Lebens?
Rosemarie H.-B.: Der Schock sitzt endlos tief. Ich muss jetzt über die Ereignisse reden. Uns alle bedrückt eine schwere Last, weil es Menschen betrifft, die schuldlos sind. Es ist unfassbar - für uns alle.

"Krone": Gab es Anzeichen, dass er durchdrehen würde?
Rosemarie H.-B.: Nicht in diesem Ausmaß, damit konnte doch keiner rechnen.

"Krone": Hatten Sie noch Kontakt zu Ihrem Bruder?
Rosemarie H.-B.: Nein, er hat uns aus seinem Privatleben ausgeschlossen. Er hat auch seinem Bruder nichts vergönnt. Wir wussten das Wenigste von ihm. Wir haben auch von uns aus den Kontakt gemieden und in späteren Jahren niemals ein herzliches Verhältnis zueinander gehabt.

"Krone": Was war Ihr Bruder für ein Mensch?
Rosemarie H.-B.: Ein eher gefühlskalter, ein besitzergreifender Mensch. In den letzten fünf, sechs Jahren hat er unserer Mutter nicht einmal zum Muttertag gratuliert.

"Krone": Wie war Alois als Kind?
Rosemarie H.-B.: Ich bin seine kleine Schwester und war sogar einmal stolz auf ihn. Er hat Karate gemacht, ist mit mir Ski fahren gewesen. Als Bub war er ganz lustig in der Familie, wir hatten immer wieder auch sehr viel Spaß.

"Krone": Gab es schon damals diese dunkle Seite an ihm?
Rosemarie H.-B.: Ja, die gab es. Ich war manchmal schockiert, dass er so kalt und gefühlsarm sein konnte. Das war auch mit ein Grund, warum ich im Jugendalter keinen Kontakt mehr zu ihm wollte.

"Krone": Hatten Sie Angst, dass einmal etwas passieren könnte?
Rosemarie H.-B.: Ja, denn er war impulsiv und jähzornig. Er hat auch den Streit mit seinem Vater gesucht. Genau deswegen hatten wir das Gefühl, dass alles einmal eskalieren würde. Ich hab' Angst um meine Eltern gehabt, Angst, dass er eine Riesenwut entwickelt.

"Krone": Und der Amoklauf?
Rosemarie H.-B.: Es war für uns undenkbar, dass Außenstehende betroffen sein könnten. Eher dachten wir, er würde vielleicht unserer Familie etwas antun.

"Krone": Der Tod seiner Frau - glauben Sie, das war eine Art Auslöser?
Rosemarie H.-B.: Das könnte sein, aber es muss eine Krankheit dahinterstecken.

"Krone": Wann waren Sie zuletzt im Haus der Eltern?
Rosemarie H.-B.: Das ist schon lange her, bei einer Familienfeier wollte er uns den ausgebauten Hof zeigen, aber ich wollte das nicht. Wir wussten auch nicht, dass er die Kleider und den Schmuck seiner verstorbenen Frau aufgehoben hat.

"Krone": Kommen wir zu den tragischen Stunden, zu den Ereignissen auf dem Hof...
Rosemarie H.-B.: Wir hatten furchtbare Sorge um die Mutter, die wohnt ja dort mit unserem Vater. Wir wussten anfangs nicht, was mit der Mutter ist, sie ist ja schon so gebrechlich und nicht gut beisammen.

"Krone": Frau H.-B., Sie wohnen in einer kleinen Gemeinde. Wie haben die Menschen reagiert? Wie treten Sie Ihnen jetzt gegenüber?
Rosemarie H.-B.: Im Dorf sind alle mitfühlend und positiv, dafür bin ich wirklich dankbar.

"Krone": Und Ihr Kind in der Schule, wie geht es da?
Rosemarie H.-B.: Die Lehrer waren wunderbar, und unser Kind wird dort auch sehr gut behandelt und betreut.

"Krone": Noch einmal zu Ihren Eltern - wie nehmen sie diese Tragödie auf?
Rosemarie H.-B.: Das sind grundehrliche Menschen, die liebsten Eltern dieser Welt. Es ist schlimm, dass die alten Leute das alles noch erleben müssen. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Es kommt ja noch so viel auf uns zu, vor allem das Begräbnis des Bruders. Auch die Welt meiner Eltern ist zerstört. Zudem ist das Haus in Mitleidenschaft gezogen, Vater und Mutter haben ja dort das Wohnrecht.

"Krone": Ihre Ängste und Sorgen, jetzt, in diesen Minuten?
Rosemarie H.-B.: Auf uns liegt die Last, mit einem Mörder verwandt zu sein. Niemand kann sich das in den schlimmsten Träumen ausmalen. Für mich ist das jetzt auch eine Existenzfrage. Ich bin selbstständig und weiß nicht, wie meine Kunden reagieren werden.

"Krone": Haben Sie eine Botschaft an die Hinterbliebenen?
Rosemarie H.-B.: Bitte sagen Sie ihnen, dass es uns endlos leid tut. Dass auch wir nicht verstehen können, warum er Außenstehende mitnehmen musste. Ich schließe sie alle in meine innigsten Gebete ein.

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