"Krone" vor Ort

Hatten Entführer im Jemen Dominiks Freund im Visier?

Österreich
02.03.2013 16:00
Nach der Entführung von Dominik Neubauer am 21. Dezember in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa hat "Krone"-Reporter Gregor Brandl nun auch der Sprachschule (Bild), in der das Opfer studierte, einen Besuch abgestattet. Schockierende Erkenntnis beim Lokalaugenschein: Die Entführer hatten ursprünglich wohl nicht den Wiener, sondern dessen Freund aus Finnland im Visier.

Die Geräuschkulisse am Bazar von Sanaa ist ohrenbetäubend. Händler feilschen lautstark um den Kilopreis von Papayas und Bananen. Während in der Ferne der Muezzin vom Minarett aus zum Gebet ruft, bricht in den dichten Menschenmassen der Altstadt eine Schlägerei zwischen Jugendlichen aus. Es dürfte um eines der allgegenwärtigen Motorräder gehen. Große Beachtung findet die Handgreiflichkeit bei den Passanten nicht. Fliegende Fäuste gehören hier zum Alltag.

Einzig die wenigen Frauen, die auf der Straße zu sehen sind, verhalten sich ruhig. Schwarz vermummt und nur mit einem Sehschlitz vor den Augen tragen sie Ölkrüge aus Ton am Kopf in die Lehmhütten. Ein Spaziergang durch die Jemen-Hauptstadt ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Die Gebäude rund um den Tahrir-Platz könnten auch als Kulisse für ein Märchen aus "Tausendundeiner Nacht" durchgehen.

"Unterhosen-Bomber" lernte in demselben Institut
Nur einen Steinwurf vom Geschäftsviertel entfernt, befindet sich im Gewirr der dichten Gassen die Sprachschule CALES. "Im September 2012 begann Dominik sein Arabisch-Studium bei uns", erzählt Direktor Abdulfattah Shamsan (Bild 2). "Insgesamt haben schon 2.000 Ausländer bei uns gelernt." Dass einer davon auch der berüchtigte "Unterhosen-Bomber" Umar Farouk Abdulmutallab (siehe Infobox) war, erwähnt er aber nicht.

"Gut bezahlten Posten versprochen"
Warum der Österreicher ausgerechnet dieses Institut auswählte und sich dort mit einer Kemenate in der Größe eines Hühnerstalls zufrieden gab, bleibt rätselhaft. Ein Kommilitone plaudert beim "Krone"-Lokalaugenschein jedoch aus dem Nähkästchen: "Er hatte vorher in London studiert und bei einer internationalen Einrichtung gearbeitet. Sie hatten ihm einen gut bezahlten Posten im Nahen Osten versprochen - wenn er die Sprache lernt - und ihm dann CALES in Sanaa empfohlen". Fasziniert von der Gastfreundschaft und der arabischen Urtümlichkeit des Landes dürfte der Wiener die Warnungen vor der bitteren Armut, der Al-Kaida und den häufigen Entführungen in den Wind geschlagen haben.

Begann Überwachung nach Hochzeitsfeier?
Fleißig sei Dominik gewesen, ein tüchtiger Schüler, meint der Zentrumsleiter. Und ein guter Freund des Finnen Ati K. - doch genau dies könnte dem 26-Jährigen zum Verhängnis geworden sein. Denn der Nordländer war überaus umtriebig, knüpfte Freundschaften mit vielen Einheimischen und hinterließ somit eine vielleicht verhängnisvolle Fährte. Im November nahm Ati, der in Sanaa auch an einer politisch brisanten Dissertation schrieb, bei der Hochzeit seines Lehrers in Taizz, einer Hochburg der Terroristen, im Süden des Landes teil. Seither dürfte er überwacht worden sein.

Wochen später wollte K. gemeinsam mit seiner Ehefrau, die auf Besuch war, nach Taizz zurückkehren. Auch Dominik sollte mit. Alle gemeinsam gingen sie am 21. Dezember in das Elektrogeschäft beim Tahrir-Platz, um sich für den Ausflug noch eine Kamera zu besorgen. Augenblicke später waren die Europäer in den Fängen der bewaffneten Entführer. Seither sind 71 Tage vergangen.

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