Wohn-Individualität

Warum Kitsch zum Wohnen gehört

Wohnkrone News
08.11.2007 15:25
„Das ist doch totaler Kitsch!“ Was bis vor einigen Jahren noch die schlimmste aller möglichen Beleidigungen in Bezug auf die neu gestaltete Wohnung war, kann man heute schon wieder fast als Kompliment verstehen. Denn die Bollywood-Manie und die damit verbundene überaus farbenprächtige und teils überladene Deko-Linie, die auch in unseren Räumen Einzug gehalten hat, bestätigt nur, was wir doch längst schon wussten: Kitsch kann so gemütlich sein!

Kitsch ist erlaubt! So das Urteil von Fachleuten quer aus allen Bereichen – von der Kunst, über die Literatur bis hin zum Einrichtungsexperten. Was gestern noch verpönt war, wird zunehmend als Ausdruck persönlicher Gestaltungsfreiheit gesehen.

Wobei die Trennlinie zwischen Kunst und Kitsch manchmal eine äußerst feine sein kann und schon in den vergangenen Jahrhunderten für oft heftige Diskussionen sorgte. So wurde zum Beispiel die heute hoch geschätzte und bewunderte Dekor-Art des Jugendstils zunächst einmal von Aristokratie und Kunstkritikern schlichtweg als „Kitsch“ in Grund und Boden verdammt.

So entstand Kitsch
Auch wenn schon Kunstgenie Michelangelo erbitterte Streitereien mit niederländischen Malern führte, bei deren Inhalten es um das ging, was wir heute schlicht als Kitschvorwurf bezeichnen würden - grundsätzlich ist Kitsch ein Phänomen der Neuzeit, das seinen Höhepunkt im 19. und 20. Jahrhundert in so gut wie allen Bereichen, von der Malerei bis hin zur Literatur, erlebte.

Einige Unklarheiten gibt es um die Wortdefinition, doch dürfte immerhin feststehen, dass das Wort „Kitsch“ im deutschen Sprachraum, wahrscheinlich in München entstand und von dem Ausdruck „kitschen“ abgeleitet wurde. Wenig schmeichelhaft wird damit die Tätigkeit, „den Straßenschlamm mit einer Kotkrücke zusammenzuscharren“, gemeint; die Münchner verwendeten diesen Ausdruck dann für alles, was sie für „künstlerischen Schund“ hielten.

Schon immer - und nicht nur in der häuslichen Umgebung - sorgte Kitsch für heftige Diskussionen, die in den seltensten Fällen objektiv verliefen. Gar nicht so unvergleichbar der heutigen Stimmung sahen vor allem die so genannten “Intellektuellen“ in diesen Auseinandersetzungen eine gute Gelegenheit, sich vom scheinbar schlechten Geschmack der Durchschnittsbürger abzugrenzen.

Echte Stimmungsmacher
Niedlicher Kitsch, sentimentaler Kitsch, gemütlicher Kitsch, religiöser Kitsch, ideologischer Kitsch, Monumentalkitsch, Designkitsch, Stoff- und Formkitsch – umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten befassen sich mit den vielen verschieden Einteilungen und Definitionen. Wer kann da noch Kitsch einfach als schlechten Geschmack abtun?

Eines steht jedoch fest: Kitsch ohne Gefühle ist undenkbar, denn jeder gute Kitsch ruft unweigerlich Emotionen hervor. So sind etwa die Hauptvertreter des Kitsch im Wohnbereich, die kleinen, gemeinhin als „Nippes“ bezeichneten Figürchen mit Merkmalen ausgestattet, wie etwa ein großer, runder Kopf und extrem kindliche Züge, die durch das Hervorrufen von Überlegenheits-, Mutter- oder Beschützergefühlen nur eines erreichen wollen: auf einfachstem Weg schlicht Wohlfühlen zu erzeugen. Das gilt im Übrigen auch für die beliebten Gartenzwerge, die schon lange den Sprung in den „Kitsch-Kulthimmel“ geschafft haben. Vor allem auch Kinder fühlen sich in solchen Umgebungen ausgesprochen wohl und sicher und werden förmlich magnetisch von diesen Figuren angezogen.

Ähnlich verhält es sich auch bei allen anderen Gegenständen, die man landläufig als „Kitsch“ im Wohnzimmer bezeichnet. Das überladene Samtsofa, auf dem es sich im Gegensatz zu mancher durchgestylten  Designer-Couch so wunderbar kuscheln lässt, die reich bestickten orientalischen Kissen, in die man sich am liebsten vergraben möchte, oder die mehr als üppig verzierte Vase aus dem letzten Urlaub, die einfach an schöne Tage erinnert.

Persönliche Akzente setzen
So verwundert es auch nicht, dass Kitsch-Objekte, gekonnt platziert und in spannenden Kontrast mit anderen Einrichtungsgegenständen gesetzt, wunderbar geeignet sind, einem Wohnraum die ganz eigene persönliche Note zu geben. Denn bei der Auswahl von Kitsch-Objekten ist nur eines wichtig: absolute Ehrlichkeit. Mit dem teuren Designer-Tisch, den man eigentlich nie so richtig wollte, kann man sich ja im Lauf des Alltags noch irgendwie arrangieren, mit Kitsch, der nicht aus tiefstem Herzen kommt und der gefühlsmäßig nicht zu einem passt, hält man es auf Dauer niemals aus.

Zu seinem Kitsch zu stehen zeugt von echtem Wohn-Selbstbewusstsein und Wohn-Individualität. Ein grober Fehler ist es daher, zu versuchen, Kitsch-Wohnkultur von Freunden, Bekannten oder Promis zu kopieren. Viel besser und spannender ist es, seinen eigenen ganz persönlichen und unverwechselbaren „Wohnkitsch“-Stil zu finden. Also, ob Gartenzwerg, Vase in süßer Katzenform, grell bemalte Indien-Replik-Statue, Kerzerl mit religiösem Motiv, kitschiges Engerl mit Posaune, Stickdeckerl, Spieldose mit drehender Ballerina, Osterhaserl von der Edel-Porzellan-Manufaktur oder das geerbte Gemälde mit röhrendem Hirsch – erlaubt ist alles, was gefällt und womit man sich ganz einfach wohlfühlt.

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