Das freie Wort

„Cancel Culture“ gegen Ricardo Muti

Das American Film Institute setzte im Jahre 1998 die Komödie „Rat mal, wer zum Essen kommt“ auf die Liste der besten 100 Filme aller Zeiten. Darin wird der farbige Darsteller Sidney Poitier mehrmals von seinen Mit-Schauspielern mit dem N.-Wort bedacht, ohne dass dies zu einem Einwand, geschweige denn zu Protesten von irgendeiner Seite geführt hätte. Im Gegenteil, dieses Meisterwerk des Regisseurs Stanley Kramer brachte es immerhin auf 10 Oscarnominierungen, von denen dann tatsächlich 2 zuerkannt wurden, und zwar je eine an die grandiose Katharine Hepburn und an William Rose für das beste Drehbuch. Heutzutage wären derartige Verleihungen aufgrund der unsäglichen Diktatur einer sogenannten „Political Correctness“ nicht mehr durchführbar, und wie lange werden Bestrebungen auf die posthume Aberkennung dieser Auszeichnungen noch auf sich warten lassen? Als jüngstes Opfer hat der Ableger dieser „Mafia“, nämlich die „Cancel Culture“ den international gefeierten italienischen Stardirigenten Riccardo Muti aufs Korn genommen. Ihm wird die Weigerung, das N-Wort aus dem Libretto der von ihm musikalisch geleiteten Verdi-Oper „Ein Maskenball“ zu eliminieren, vorgeworfen. Wie weit solche Auswüchse noch eskalieren werden, ist gegenwärtig kaum absehbar. Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass man das Nbrot, den Indianer mit Schlag, den Mohr, sowohl im Hemd als auch im Firmenlogo einer Feinkostkette, geächtet hat; lediglich beim Angriff auf das „Mohrenbräu“ hat man sich die Zähne ausgebissen, da diese Bezeichnung dem Familiennamen seines Firmengründers geschuldet ist. Offensichtlich aus ideologischen Gründen ist jedoch der Verzehr delikater „Russen“ noch immer ohne die geringste Beanstandung erlaubt.

Herwig Sembol, St. Georgen an der Gusen

Erschienen am Mi, 29.6.2022

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