Billy Corgan ist einer der sonderbarsten Menschen der Musikwelt – ein Außerirdischer, der inkognito unter dem Pop-Pöbel lebt. Beim diesjährigen Konzert der Pumpkins am Novarock trat er in einem undefinierbaren Gemisch aus Zeltplane, Altkleiderfetzen und Klebeband-Bondage am Körper auf - einer der umstehenden Zuschauer nannte ihn als erste Reaktion auf das Kostüm spontan „Fetzenschädel“ - und legte mit seinen neuen
Mitstreitern eine fast perfekte Show hin.
Sein Publikum ignorierte er dabei so weit es ging mit dem scheinbar desinteressierten Blick eines scheinbar unterbemittelten, immerzu quengeligen Unterdurchschnittstypen, den man immerzu bemitleiden will, weil ihn das Leben ob seiner kümmerlichen Gestalt und der traurig-wässrigen Augen schon hart genug bestraft haben dürfte.
Aber aus Billy Corgans Blick spricht nicht nur der Wahnsinn eines Quer- und Kontradenkers sondern neuerdings auch der „Zeitgeist“. Die Platte, auf der außer Corgan nur noch Drummer Jimmy Chamberlin als Original-Bandmitglied vertreten ist, beginnt mit dem apokalyptischen „Doomsday Clock“ – einer Weltuntergangsnummer, passend zum Cover mit der halb versunkenen Freiheitsstatue, die gleich zu Anfang die dem Zeitgeist angepasste, neue Härte der Pumpkins demonstriert. Corgan singt über seine bedrohlich tickende innere Uhr und wie stolz Kafka auf ihn sein sollte, dass er eigentlich jeden Tag des Lebens liebt, aber es auf seinem Platz unter der Sonne trotzdem nicht aushält.
Begleitet von den charakteristischen massiven Gitarrenarrangements, die Corgan diesmal durch das Fernbleiben von Ex-Gitarrist James Iha ganz allein einklopfen musste, während Chamberlin in einem anderen Teil des Studios Live-Bassistin Ginger Reyes und Live-Zweitgitarrist Jeff Schroeder castete, manövrierten Corgan und Chamberlin – beide auch Produzenten von „Zeitgeist“ – den Sound der Band ins 21. Jahrhundert. Die Single „Tarantula“, ein treibender, in seiner Struktur völlig emotionsleerer Song, dem Jimmy Chamberlins virtuoses Drumming dennoch Würze gibt, vermeidet es so gut es geht, die eigene Vergangenheit zu zitieren. Nur Corgans nasal-melodischer Gesang und ein paar durch übertriebene Effektspielereien dem Soundbild entrückte Gitarrenriffs („Bleeding The Orchid“, „Neverlost“), verkörpern die wenigen klischeehaften Reminiszenzen an die Vorgeschichte der Band. Das restliche Gitarrenmaterial fällt spürbar martialischer, weniger melodiös, bisweilen sogar grantig und emotional sprunghaft aus.
Chamberlin erreicht seinen schlagzeugerischen Höhepunkt auf „Starz“, wo er Billy Corgans unerbittlich schmetternden Gitarren und Zeilen wie „we are Stars / we are the stars that shine / we are the stars that bleed“ ordentlich contra geben kann. Corgan mischt Sarkasmus mit Bitterkeit, Trash (am Cover der Single wie auch im Booklet prangt Paris Hilton) mit Klasse, und wohl gleich fängt „Zeitgeist“ keinesfalls die Welt, in der wir leben ein. Vielmehr schließt Corgan, der als ungeahnt feinfühliger Mensch gilt, von seinem Innersten auf alles andere. Mit „For God And Country“ werden die von Anspielungen und Wortspielen gekennzeichneten Lyrics dann fast polemisch, prangern Glaubenskrieg, Gottergebenheit und Überwachungskameras an; wobei man sich nie wirklich sicher ist, ob Corgan sich nicht doch am Übel in der Welt erfreut und seine düsteren Vorahnungen bestätigt fühlt.
Sein furioses Ende findet „Zeitgeist“ mit der Endlos-Nummer „Pomp And Circumstance“ auf der sich die Synthesizer und Drummachines der Frühzeit mit gequälten Gitarrensolis paaren und schließlich in einen bittersüßen Schlussakkord münden. Die Hardliner, die Billy Corgan die Reunion bzw. Neuerfindung der Band nicht verzeihen, wird er mit dem doch sehr gelungenen Album vielleicht besänftigen. Spannender ist, dass „Zeitgeist“ mehrere Einladungen an potenzielle Fans ausspricht, denn aus dem Willen Corgans, seine Band wiederzuerhalten, ist eine Platte entstanden, die für seine Maßstäbe zugänglicher den je ist.
8 von 10 nicht bös gemeinten Fetzenschädeln
Christoph Andert
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