Konzert-Highlight

Coldplay: Bahnbrechendes Pop-Entertainment

Musik
12.06.2017 00:55

Vor mehr als 50.000 Fans im randvoll ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion boten Coldplay Sonntagabend die wohl bunteste Show der modernen Pop-Historie. Chris Martin und Co. lieferten zwei Stunden lang Entertainment in Reinkultur, ohne dabei auf leise Töne zu vergessen. Ein Spektakel, das nur einmal kurz aus der vorgegebenen Spur rutschte.

(Bild: kmm)

Zugegeben - die Warnungen für Epileptiker hätten von Veranstalterseite vielleicht etwas deutlicher kommuniziert werden können. Was das britische Vorzeige-Popkollektiv Coldplay Sonntagabend in den Wiener Nachthimmel pulverte, spottete jedweder Beschreibung. Als sich die ersten Raketen den Weg gen Himmel bahnen und kiloweise Papierschnipsel aus den Konfettikanonen strömen, ist es noch taghell und der Opener "A Head Full Of Dreams" ist erst zu 95 Prozent absolviert. Die vielen treuen Fans, die das Ernst-Happel-Stadion ausverkauften und schon seit acht langen Jahren auf eine Wiederkehr ihrer Helden warten (2008 brillierten Chris Martin und Co. in der Wiener Stadthalle), sind genau dafür gekommen. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Alles glitzert kunterbunt, Prunk, Pomp und Trara drücken sich die Klinke in die Hand und für das Dargebotene müsste man eigentlich eine harmlose Krankheit namens Augenkaries erfinden.

Visuelle Überstrahlung
Verstärkt wird das farbenprächtige Treiben durch die Interaktivität mit den Fans. Beim Eingang bekommt jeder Besucher ein unscheinbares Armband umgestülpt, das aus dem bruchfälligen Happel-Areal eine Großraumdisco für alle Generationen macht. Die Lichtarmbänder sorgen für einen multiplen Zuwachs an Atmosphäre eines ohnehin schon grell leuchtenden Spektakels. Dass Martin irgendwann im ersten Drittel vollmundig ankündigt, den Leuten die beste Show ihres Lebens zu liefern, ist nicht zu viel versprochen. Es stimmt zumindest dann, wenn man mit Show amerikanisch angehauchtes Entertainment in Reinkultur meint, dass dem Visuellen schlussendlich mehr Raum als der Musik selbst gibt. Denn obwohl Coldplay mit ihren sieben Studioalben wahrscheinlich auch eine Vier-Stunden-Setlist füllen könnten, überstrahlen die Lasereffekte, Raketen, Konfettiregen und monströsen Videowalls unweigerlich das eigentliche Handwerk.

Die Briten beherrschen ihr Oeuvre trotzdem aus dem Effeff. Während rundherum Millionen verpulvert werden, steht die Jugendfreundesrunde aus London mit 2,99-Euro-New-Yorker-Shirts auf der monströsen Bühne, um mit beeindruckender Sicherheit taktvoll den Rhythmus vorzugeben. Die Blicke sind wie immer fest auf Frontmann Chris Martin gerichtet, der sich einmal mehr nicht nur als netter Typ von nebenan erweist, sondern seine Stimme noch immer bravourös in alle von ihm gewünschten Ecken und Enden ziehen kann. Das von einem gelben Armbänderlichtermeer überstrahlte "Yellow" dient ihm dabei nur als Aufwärmübung für die wahren Bestleistungen an diesem Abend: eine hinreißende Version der Piano-Ballade "Everglow", ein inbrünstig in die Arena geschluchztes "Fix You" und abschließend noch die variable Stimmfärbung beim Closer "Up & Up".

Ausrutscheffekt
Ins Straucheln kommt der Sympathikus nur beim spontan in die Setlist geschobenen "Princess Of China", wo ihn nach einer halben Strophe die Erinnerung an den korrekten Text im Stich lässt. Souverän bittet er die etwa 54.000 Menschen, diesen Fauxpas möglichst nicht auf YouTube zu verwerten und setzt zu einem weiteren Versuch an, der ohne Fehler und Tadel über die Bühne gebracht wird. Diese besteht nicht nur aus einem langen Mittelsteg, den Martin während des Zwei-Stunden-Programms als Laufstrecke verwendet, sondern auch aus zwei kleinen Nebenplätzen, die für die ruhigen, akustischen Momente vorgesehen sind. Vor allem bei "In My Place" und dem vom österreichischen Fan Thomas auf Instagram gewünschten Altklassiker "Don't Panic" geht Martin auf Tuchfühlung mit den Fans und den zahlreich umherfliegenden Luftballons.

Immer wieder werden Reden berühmter Persönlichkeiten ins Set eingeflochten. Ob Muhammad Ali oder Charlie Chaplin referieren ist dabei sekundär, es geht vorrangig um die Botschaft des Friedens, der Liebe und des Lebens. Von persönlichen Ansagen in diese Richtung nimmt Martin Abstand - zu viel scheint er in den letzten Tagen und Wochen über diverse Anschläge und Unglücksfälle gesagt haben zu müssen. Nur "Everglow" kündigt er als "Hymne für Manchester, die USA, Syrien, Allah" oder was auch immer an. Dafür sammelt der Frontmann Zusatzsympathien mit seiner Liebe zur Stadt. Martin lässt nicht nur jodelnd den "Donauwalzer" anklingen, sondern erzählt auch begeistert von seinem Besuch bei der "Langen Nacht der Kirchen" in Wien.

Über-Spektakel
Zwischen all den lauten und leisen Tönen, dem Zwischenspiel aus unglaublich und bombastisch fehlen nur die Momente der Entschleunigung, denn selbst im abgespeckten Akustikteil treiben Coldplay die Song-Sau mit begeisternder Rasanz durchs Dorf. Songs wie "Charlie Brown", "Hymn For The Weekend", "Viva La Vida" oder "Adventure Of A Lifetime" knallen im Stakkato-Takt aus den monströsen Verstärkern, die an diesem Abend ebenso kompromisslos zu Werke gehen wie die Band selbst. Coldplay anno 2017 oszillieren irgendwo zwischen Beisl-Gitarre und Discotempel, zwischen persönlicher Bescheidenheit und visuellem Bombast, zwischen großer Geste und zurückhaltender Gestik. Epileptiker scheint es zumindest keine erwischt zu haben. Man hätte aber ohnehin vor etwas ganz anderem vorwarnen sollen - vor der visuell wohl ambitioniertesten Show der modernen Pop-Historie.

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