Experten zweifeln

War Beschlagnahmung der 1.406 Gurlitt-Werke legal?

Österreich
07.11.2013 09:17
Nach dem spektakulären Raubkunst-Fund in München hat sich nun die heimische und internationale Kunst- und Expertenszene in die Spekulationen rund um den Fall eingeklinkt. Am Mittwoch kritisierten etliche Experten das Vorgehen der deutschen Behörden und meldeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme der 1.406 Meisterwerke an, die sich im Besitz von Cornelius Gurlitt (79) befanden. Dass in Gurlitts Haus in Salzburg (kleines Bild) weitere Werke lagern könnten, entspräche dem "typischen Verhalten eines Sammlers", ergänzte die Wiener Uni-Rektorin Eva Blimlinger.

Große Skepsis gegenüber dem Vorgehen deutscher Behörden im Fall Gurlitt herrschte am Mittwochabend bei einer Diskussion im Radiosender Ö1. Der in der Vergangenheit immer wieder mit Restitutionsfällen betraute Rechtsanwalt Alfred Noll wunderte sich etwa darüber, "dass es überhaupt zu einer Beschlagnahme kommen konnte", zumal die Steuerschuld Gurlitts - durch die der Fall erst ins Rollen gekommen war - alleine noch keine rechtskräftige Exekution begründet hätte.

Zudem gebe es derzeit kein Indiz, "dass es sich um Kunstwerke handelt, die nicht verkehrsfähig wären", so Noll. Ein Teil der Sammlung von Nazi-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt - dem Vater von Cornelius - wurde nach Kriegsende von den Alliierten beschlagnahmt, nach Kriegsende aber mit zwei Ausnahmen wieder retourniert. Es handle sich also bei den 1.406 Werken um ererbten Privatbesitz. Weder in Deutschland noch in Österreich gebe es eine Handhabe, die den öffentlichen Zugriff auf die Werke ermögliche.

Uni-Rektorin vermutet weitere Bilder in Salzburg
Diese Überzeugung vertrat auch Eva Blimlinger, Uni-Rektorin der Wiener Akademie für Bildende Künste und wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung. Im Übrigen sei sie sich "ziemlich sicher, dass in der Wohnung in Salzburg auch Bilder liegen", da dies dem typischen Verhalten eines Sammlers entsprechen würde, so die Expertin im ORF-Radio.

Mumok-Direktorin Karola Kraus meldete am Mittwoch ebenfalls Zweifel an: "Möglicherweise vernachlässigten die Auktionshäuser ihre Pflicht, die Herkunft dieser Werke lückenlos nachzuweisen." Zugleich ließ Belvedere-Vizedirektor Alfred Weidinger mit der Aussage aufhorchen, dass die Existenz der Sammlung "kein Geheimnis" gewesen sei. "Natürlich hat das niemand gewusst", widersprach Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder seinem Kollegen. "Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Sammlung verbrannt war." Was die Rechtslage angeht müssten nun allerdings "radikale Fragen" gestellt werden, so Schröder, der ebenfalls scharfe Kritik an den zuständigen Behörden übte.

Sensationsfund nur "Spitze des Eisbergs"?
Auch nach Einschätzung des Berliner Provenienzforschers Uwe Hartmann gehört der große Teil des Fundes rechtmäßig dem 79-jährigen Kunsthändlersohn: "In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst. Es muss davon ausgegangen werden, dass Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt", so der Kunsthistoriker.

Für den israelischen Rechtsanwalt Joel Levy, Experte für die Restitution von Raubkunst, ist der Fall Gurlitt indes nur "die Spitze des Eisbergs": Er geht davon aus, dass "eine riesige Anzahl von Bildern" immer noch auf der ganzen Welt versteckt ist. Auch das Zentralregister für Raub- und Beutekunst hat den Umgang der Behörden mit dem Münchner Fund scharf kritisiert und die Regierung zum Eingreifen aufgefordert.

Ermittlungsstart nach Zufallstreffer bei Kontrolle in Zug
Die deutsche Zollfahndung hatte am 28. Februar 2012 in der Wohnung des 79-jährigen Cornelius Gurlitt in München-Schwabing den spektakulären Fund gemacht. Unter den 1.406 beschlagnahmten Bildern befinden sich auch bisher völlig unbekannte Meisterwerke von Künstlern wie Otto Dix oder Marc Chagall. Auf die Spur der Bilder kamen die Ermittler nach einer Bargeldkontrolle von Cornelius Gurlitt am 22. September 2010 in einem Schnellzug von Zürich nach München.

Dabei ergab sich der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat. Ermittelt wird auch wegen möglicher Unterschlagung. Von Gurlitt selbst fehlt derzeit aber jede Spur, sein Haus in Salzburg-Aigen macht einen verlassenen und verwahrlosten Eindruck. In Österreich ist kein Verfahren gegen den 79-Jährigen anhängig.

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