„Es ist eine Rache an der Gesellschaft!“ Während Politik und Gesellschaft fassungslos in die steirische Hauptstadt blicken, versucht Psychologe Reinhard Haller eine Erklärung für den Amoklauf jenes 21-Jährigen, der mindestens zehn Menschen das Leben kostete.
Zwei Muster zeichnen laut Haller, der unter anderem den Serienmörder Jack Unterweger analysierte, sogenannte „School Shootings“ aus: eine vorhandene „Griffnähe zur Waffe“ und eine schwere „Gekränktheit“ des Täters. Zudem wolle der Schützen meist „Rache an der Schule als Institution“ nehmen, wobei die Schule „für die gesamte Gesellschaft“ stehe, so der Vorarlberger Psychiater im Gespräch mit der APA.
„Diese Menschen haben Kränkungen erlitten, die von außen Kinkerlitzchen sind, aber die für sie die Welt bedeuten“, so Haller. „Das können kleine Sticheleien sein, denen man von außen hin nicht viel Aufmerksamkeit schenkt.“ Der Psychologe, der aus Untersuchungen von über 300 ähnlichen Fällen berichtet, spricht von „schwer getroffene Individuen“. Sie würden nicht bestimmte Lehrer oder Schüler töten wollen, die sie gekränkt haben. Es gehe um die Schule als Institution und Rache an der aus Tätersicht „kalten, ausschließenden Gesellschaft“.
Nicht zu Geburtstagen geladen, von Lehrern schlecht beurteilt
Die Amokläufe hätten nicht mit Verwirrtheit zu tun, sondern um einen gezielten Vorgang gegen die Schule. Die Institution sei der „Ort der meisten Kränkungen“, Täter fühlen sich beispielsweise von Lehrern schlecht beurteilt oder wurden nicht zu Geburtstagspartys eingeladen. Sie seien dadurch gekränkt, aber meist „im Gesamten psychisch gar nicht so besonders auffallend“, oft aus guten familiären Verhältnissen und konsumieren nicht mehr Drogen oder aggressive Computerspiele als andere, erläuterte Haller.
„Mitdenken, dass es Personen gibt, die sich schwer tun“
Drei Punkte könnten helfen, ähnliche Attentate zu verhindern: Erstens wurden „kriminologisch große Fortschritte gemacht“.
Zweitens sollte an Schulen, wenn es zu harten Beurteilungen oder Entlassungen kommt, mit dem Betroffenen gesprochen und nachgefragt werden – beispielsweise: „Was geschieht mit dir“, „was hast du für Pläne“? Drittens „sollten wir im Umgang mit Menschen mitdenken, dass es Personen gibt, die sich vereinsamt fühlen, die sich schwer tun, über ihre eigenen Probleme zu sprechen“, weil dies „nicht männlich“ sei oder aus ähnlichen Gründen. Mit diesen Menschen gelte es zu versuchen, ins Gespräch zu kommen, „dass wir versuchen, sie dort zu befreien“.
Die Täter seien jedoch zuvor oft völlig unauffällig. „Mit Schuldzuweisungen muss man sehr vorsichtig sein“, betonte Haller daher in Bezug auf das Umfeld. Er habe den Täter von Graz auch nicht untersucht, hielt er fest. Hinter den zahlreichen Bombendrohungen gegen Schulen in jüngster Zeit stecke jedenfalls „eine andere Psychologie“, sagte der Experte auf Nachfrage. Sein Mitleid gelte den Angehörigen der Opfer von Graz. Es sei „das Schlimmste, was einem Angehörigen oder Elternteil passieren kann“, drückte er sein „Entsetzen“ und „tief empfundenes Beileid“ aus.
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