Das große Interview

Macht Donald Trump Sie wütend, Jane Goodall?

Persönlich
23.11.2024 18:00

Als Affenforscherin wurde sie weltberühmt, als Aktivistin veränderte sie die Welt: Mit Conny Bischofberger sprach Jane Goodall (90) im November 2004 über betende Schimpansen, verantwortungslose Politiker und ihren unerbittlichen Kampf für den Schutz unseres Planeten. 

Sie ist ein Pünktchen in der gigantischen Max-Reinhardt-Bibliothek auf Schloss Leopoldskron in Salzburg: Umgeben vom dunklen Holz der Bücherwände und den vergoldeten Säulen sitzt Jane Goodall unter dem prachtvollen Spiegelgewölbe in einem ledergepolsterten Fauteuil. In der linken Hand hält die Engländerin eine Tasse Tee. Die Stehlampe wirft ein warmes Licht auf ihr von weißen Haaren umrahmtes Gesicht.

„Ich bin nicht oft an so einzigartigen Orten“, sagt sie und blickt um sich. Ihre Stimme klingt leise, fast ein bisschen müde. Umso aufmerksamer hört man der 90-Jährigen zu. Später in dieser Woche wird die Tierverhaltensforscherin und Umweltschutz-Aktivistin noch die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal besuchen und einen „Baum der Hoffnung“ pflanzen (die „Krone“ berichtete). 2025 sei laut dem „Jane Goodall Institute Austria“ kein Österreich-Besuch geplant, und deshalb ist dieser ihr letzter für vielleicht lange Zeit.

Das Treffen fand in der Max-Reinhardt-Bibliothek auf Schloss Leopoldskron statt.
Das Treffen fand in der Max-Reinhardt-Bibliothek auf Schloss Leopoldskron statt.(Bild: Andreas Tröster)

„Krone“: Mrs. Goodall, wer ist der kleine Kerl da vor Ihnen auf dem Tisch? – (Neben dem Kännchen mit dem Tee sitzt ein Spielzeug-Schimpanse.)
Jane Goodall: Das ist Mister H. Er ist 33 Jahre alt. Er ist weitgereist, müssen Sie wissen. Mister H. war mit mir in 63 Ländern. Er ist sehr berühmt.  

Wie kam er zu Ihnen?
Ein Mann namens Gary Horn hat ihn mir geschenkt. Gary ist mit 21 Jahren erblindet. Da beschloss er, Zauberkünstler zu werden. Alle sagten: Du kannst doch nicht Zauberer sein, wenn du blind bist! Aber er ist so gut, dass die Kinder gar nicht merken, dass er nichts sieht. Er taucht auch und macht Fallschirmspringen. Sein Credo ist: „Es kann immer etwas schiefgehen im Leben, wir wissen das nie. Aber wenn es passiert, dann gib nicht auf, denn es gibt immer einen Weg nach vorne.” (Jane Goodall nimmt den Schimpansen in den Arm und lächelt in die Kamera.)

Der Kleine ist auch Sinnbild für Ihr Lebenswerk. Sie haben in den 60er-Jahren im Dschungel von Tansania gelebt und bei Ihren Beobachtungen entdeckt, dass wilde Schimpansen Werkzeuge herstellen und benutzen. Warum war das so eine Sensation?
Nun, bis dahin war der Werkzeuggebrauch etwas, was dem Menschen vorbehalten war. Die Schimpansen mit ihren Werkzeugen haben uns gezeigt, wie unglaublich arrogant wir Menschen gewesen sind, zu denken, wir seien etwas so Besonderes. In Wahrheit sind wir uns sehr ähnlich. Das öffnete den Weg, auch alle anderen Tiere besser zu verstehen, ihre erstaunliche Intelligenz.  

Was haben Sie persönlich von den Schimpansen gelernt?
Das Faszinierendste war, dass sie besonders solidarisch, hilfsbereit und fürsorglich sind. Wenn ein Kind verwaist, adoptieren es andere Eltern und ziehen es groß. Ich habe also gelernt, wie bedeutend eine enge Gruppe von zwei bis drei Personen um ein Kind bis zum Alter von zwei oder drei Jahren ist – für Schimpansen und für Menschen. Manchmal frage ich mich, ob ich das von den Schimpansen oder von meiner eigenen Mutter gelernt habe – ich weiß es nicht.  

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Die Schimpansen zeigen uns, wie unglaublich arrogant wir Menschen sind, zu denken, wir seien etwas so Besonderes. In Wahrheit sind wir uns sehr ähnlich.

Jane Goodall bewundert die erstaunliche Intelligenz der Tiere.

Wie oft besuchen Sie „Ihre” Schimpansen in Tansania noch?
Ich fahre zweimal im Jahr zurück, aber nur kurz für ein paar Tage. Die Schimpansen, die ich wirklich gut kannte, sind schon verstorben. Es gibt nur noch eine, die mich kennt, und ich kenne sie. 

Wie heißt sie?
Sie heißt „Gremlin“. Zuletzt war ich im Juli dort. Sie kam tatsächlich zu meinem Haus, wie schon andere Schimpansen. „Fifi“ kam immer, auch „Olly“ tauchte auf, wenn ich ankam. „Gremlin“ führte mich auf einem wunderschönen Weg den Fluss hinauf und zeigte mir ihr jüngstes Kind. Eines ist sechs Jahre alt, das kannte ich schon. Ihren Kleinsten hatte ich noch nicht getroffen. Er ist zwei und heißt „Goodall“. Ich nenne ihn „Goodally“.  

Sie haben einmal erzählt, dass Sie Schimpansen an einem See beobachtet haben, die zu meditieren schienen. Können diese Tiere wirklich so etwas wie beten?
Ich glaube nicht, dass sie beten. Aber sie machen etwas, das ich einen Wasserfalltanz nenne. Es ist eine Darbietung. Man muss sich vorstellen, dass der Wasserfall aus einer Schlucht über sehr harte Felsen in einen Bach mit Steinen stürzt. Das macht einen großen Lärm. Wenn das Wasser herunterfällt, wird die Luft verdrängt und es weht eine Brise. Wenn die Schimpansen in die Nähe kommen, beginnen sie, von einem Fuß auf den anderen zu schwanken, manchmal heben sie dabei Steine auf und schleudern sie durch die Luft. Und am Ende setzen sie sich hin und man kann sehen, wie ihre Augen dem Wasser folgen. Sie haben keine Worte dafür, das Gefühl ist in ihnen gefangen. Wenn es Worte dafür gäbe, dann könnte man durchaus von einer frühen animalistischen Religion sprechen. Ich denke, es muss auf einem Gefühl von Staunen und Ehrfurcht basieren, was da passiert. 

Ein Anhänger zeigt den afrikanischen Kontinent, der Edelstein Tansania.
Ein Anhänger zeigt den afrikanischen Kontinent, der Edelstein Tansania.(Bild: Andreas Tröster)

Wie kommunizieren Sie mit ihnen?
Schimpansen kommunizieren auf die gleiche Weise wie wir. Mit Haltung, Gestik, Körperbewegungen, Küssen, Umarmungen, Händchenhalten, einander streicheln. Den Schimpansen in Gombe begegne ich heute in respektvollem Abstand und kommuniziere durch Mimik und Gestik. Wir Menschen können mit Worten über die Vergangenheit und Zukunft sprechen, wir können Menschen zusammenbringen, um Probleme zu lösen. Das können Schimpansen nicht. 

Nach Ihrer Zeit als Forscherin wurden Sie Aktivistin und kämpfen seit fast 40 Jahren für den Schutz des Planeten. Wie steht es um ihn?
Sehr, sehr schlecht. Lebensräume werden mutwillig zerstört. Lebewesen sterben infolge von Umweltverschmutzung. Die Ozeane leiden an Überfischung. Es gibt die Trophäenjagd und den „Bushmeat“-Handel in Afrika – da werden Wildtiere getötet, nur um verspeist zu werden. Es gibt überhaupt eine schreckliche Grausamkeit gegenüber Tieren auf der ganzen Welt. 

Wie halten Sie das emotional aus, ständig damit konfrontiert zu sein? 
Indem ich nicht aufhöre, dagegen zu kämpfen. Solange ich lebe, werde ich kämpfen. 

Das muss sehr kräftezehrend sein …
Ja, manchmal bin ich sehr, sehr müde. 

Was gibt Ihnen Hoffnung?
Die jungen Leute. Unser Projekt „Roots & Shoots“ gibt es in 71 Ländern. Kinder und Jugendliche können sich an das Jane Goodall Institut wenden, wenn sie zum Beispiel Geld für eine bedrohte Tierart sammeln oder Bäume pflanzen wollen. Da wächst eine Generation mit der Liebe zur Natur heran, mit dem Wunsch, ihr mit Respekt und Mitgefühl zu begegnen. Sie arbeitet daran, die Welt für Menschen, Tiere und Umwelt besser zu machen. Solange es diese jungen Leute gibt, solange gibt es noch Hoffnung. 

Mit 90 noch rund um die Welt

Geboren am 3. April 1934 als Valerie Jane Morris-Goodall in London. Ihr Kindheitstraum war es, nach Afrika zu fahren und dort Tiere zu beobachten. Als sie 26 ist, beginnt sie im heutigen Tansania das Verhalten von Schimpansen zu erforschen. Die Primatologin und Tierverhaltensforscherin ist heute weltberühmt.

Ab den Achtzigerjahren reist sie als Aktivistin um die Welt. 1991 gründet sie das Projekt „Roots & Shoots“, das Kinder und Jugendliche dabei unterstützt, für die Umwelt aktiv zu werden.

Die überzeugte Vegetarierin wurde im vergangenen April 90 Jahre alt. Sie hält weltweit Vorträge, besucht Events, Zoos, Kongresse und trifft Prominente und Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft. Jane Goodall ist Vorstandsmitglied in unzähligen Vereinigungen, mehr als 40 Universitäten verliehen ihr die Ehrendoktorwürde. Sie ist auch „Dame des British Empire“ und UN-Friedensbotschafterin. http://www.janegoodall.at

Ist die Natur nicht sehr widerstandsfähig?
Doch, das ist sie. Wenn wir ihr eine Chance geben, wird sie sich regenerieren und erneut Lebensräume einnehmen, die der Mensch bereits zerstört hat. Tieren, die vor dem Aussterben stehen, hätten so ebenfalls eine zweite Chance. Immer mehr Menschen beginnen nachzudenken, Wege zu finden, wie wir in Harmonie mit der Natur leben können. Nachzudenken, was unsere Entscheidungen und unser Handeln im Alltag bewirken. 

Kann der Einzelne überhaupt etwas tun?
Natürlich. Indem wir uns täglich Fragen stellen wie: „Was kaufe ich da? Wo wurde das hergestellt? Hat es der Umwelt geschadet? War Grausamkeit gegenüber Tieren im Spiel? Ist es billig aufgrund unfairer Löhne, also auf Kosten anderer Menschen?“ Wenn ich darüber nachdenke, dann kaufe ich vieles nicht mehr.  

Sondern teurere, aber nachhaltige Produkte?
Genau. Das bedeutet nämlich auch, dass es mehr geschätzt und weniger verschwendet wird. Mir persönlich bedeutet das sehr viel. Ich bin im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen, wir haben nichts verschwendet. Dann ging ich nach Tansania. Dort wurde auch nichts verschwendet. Aber wissen Sie, heute gibt es viele Leute, die den Wohlstand und Überfluss für selbstverständlich halten.

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Um unseren Planeten steht es sehr, sehr schlecht. Es gibt überhaupt eine schreckliche Grausamkeit gegenüber Tieren auf der ganzen Welt. 

Die Aktivistin will trotzdem weiterkämpfen bis zuletzt.

Das allein rettet die Erde aber noch nicht vor Zerstörung. Was muss noch passieren?
Wir müssen versuchen, Menschen in Regierungen zu wählen, die sich tatsächlich um die Zukunft unseres Planeten kümmern. Und das scheint nicht zu passieren. Das ist sehr besorgniserregend.  

Ja. Die Grünen verlieren gerade überall in Europa Wahlen, obwohl sie Kernfragen wie die Klimakrise ansprechen.
Nun, es gibt einfach nicht genug von ihnen. In gewisser Weise nehmen sie jenen Kandidaten Stimmen weg, die sich vielleicht auch um die Umwelt kümmern würden. Das ist das Problem. Die Grünen müssen Allianzen bilden.  

Was würden Sie tun, wenn Sie für einen Tag die Welt regieren könnten? 
Ich würde sofort jegliche Öl- und Gasförderung, das Bohren und Fracking und all diese Dinge stoppen. Ich würde industrielle Landwirtschaft mit ihrem Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Monokulturen sofort verbieten. Ich würde hart daran arbeiten, die Armut zu lindern, denn arme Menschen zerstören ihre Umwelt, um selbst zu überleben und etwas Geld zu verdienen. Die Superreichen würde ich besteuern. Es ist lächerlich, dass die Reichsten am wenigsten Steuern zahlen. Und ich würde mit staatlichen Mitteln all das unterstützen, was mit der Schaffung einer saubereren und nachhaltigeren Welt zu tun hat. Aber das wäre vielleicht ein bisschen viel für einen Tag. (Lacht.)

Mit 90 reist sie noch immer um die Welt: „Manchmal bin ich sehr, sehr müde.“
Mit 90 reist sie noch immer um die Welt: „Manchmal bin ich sehr, sehr müde.“(Bild: Andreas Tröster)

Welche mächtigen Leute würden Sie gerne noch treffen?
Ich glaube, dass ich bereits alle getroffen habe, die ich treffen wollte.   

Donald Trump zum Beispiel?
Ich frage mich, ob es sich lohnen würde, noch einige derjenigen zu treffen, die sich meiner Meinung nach unverantwortlich gegenüber der Zukunft verhalten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Trump mir nicht zuhören würde. Man muss sich nur einige seiner Reden zu Klimaschutzmaßnahmen anhören, dann ist das klar.

Macht Trump Sie wütend?
Ja! Er faselte ja auch etwas über kriminelle Haitianer, die die Haustiere der Leute stehlen und angeblich Hunde und Katzen essen, was nachweislich nicht stimmt. Darüber kann ich mich immer noch aufregen! Dieser Mann hat das Land gespalten, es ist wirklich erschreckend. 

Im Wahlkampf hat er Burger bei McDonald‘s verkauft.
Gut für ihn! (Ringt sich ein Lachen ab.) Wenn er beweisen wollte, dass er arbeiten kann, hätte er rausgehen sollen, um nach den Überschwemmungen, die der Klimawandel verursacht hat, Abflüsse zu reparieren.

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Ich hasse Fliegen, es ist sehr umweltschädlich. Ich wünschte, jemand würde mir einen fliegenden Teppich schenken. 

Jane Goodall ist sich ihres ökologischen Fußbabdrucks bewusst.

Sie sind im April 90 geworden. Was möchten Sie am Ende Ihres Lebens erreicht haben?
Ich habe es mit „Roots & Shoots” bereits erreicht. Hier wächst eine neue Generation verantwortungsvoller junger Menschen heran, die ich weiterhin mit all meiner Kraft unterstütze. Einige sind bereits in Entscheidungspositionen und wir brauchen noch viel mehr von ihnen! Sie alle wissen, dass wir Menschen Teil der Natur sind, nicht davon getrennt. Viel mehr gibt es nicht, was ich noch tun könnte. Obwohl es schön wäre, die Grausamkeit zu stoppen und diese abscheulichen Kriege zu beenden.

Nie an den Ruhestand gedacht?
Nein, das ist keine Option. Die Zeit wird kommen, in der mein Körper in den Ruhestand geht. Ich höre nicht mehr so gut und ich gehe nicht mehr so flott. Aber hoffentlich kann mein Geist weitermachen.

Nach unserem Interview spaziert Jane Goodall mit ihrer Österreich-Sprecherin davon.
Nach unserem Interview spaziert Jane Goodall mit ihrer Österreich-Sprecherin davon.(Bild: Andreas Tröster)

Wo wird Sie Ihre nächste Reise hinführen? 
Ich sage Ihnen, wohin es vor Weihnachten noch geht. Genf, Berlin, fünf Tage zu Hause, Indien, China, Hongkong, Singapur, Nepal, Malaysia, New York.

Oh mein Gott.
Ich musste mich auch daran gewöhnen. Ich hasse Fliegen, es ist sehr umweltschädlich. Ich wünschte, jemand würde mir einen fliegenden Teppich schenken. Aber das ist bisher leider nicht passiert. 

Ihr ökologischer Fußabdruck muss gewaltig sein. 
Ja, das ist richtig. Gleichzeitig haben wir in unseren Projektgebieten und mit „Roots & Shoots” schon hunderte Millionen Bäume gepflanzt. Und bei jedem meiner Vorträge kommt jemand auf mich zu und sagt: „Sie haben heute mein Leben verändert.”

Je Privatjets benutzt?
Das wurde mir von Millionärsfreunden immer wieder angeboten. Aber so was lehne ich ab. Ich habe mich nur ein einziges Mal fliegen lassen, weil es die einzige Möglichkeit war, von A nach B zu kommen.

Worum ging es da?
Es ist ziemlich lange her. Ich glaube, es ging um einen ganz kurzen Flug an eine Universität, die mir einen Ehrentitel verliehen hat. Jetzt erinnere ich mich auch wieder: Es war ein Flug mit einem Hubschrauber. 

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