Eine historische Hungerrevolte in Graz im Jahr 1920 nimmt die Oper Graz in „Der Kirschenrummel“ als Ausgangspunkt für einen Musiktheater-Spaziergang durch die Stadt. Das Resultat sorgt nicht nur für gute Unterhaltung, sondern wirft durchaus auch kritische Fragen zu Protest, Mitläufertum und Populismus auf.
Wir schreiben das Frühjahr 1920: Der Erste Weltkrieg liegt den Menschen noch in den Knochen, es gibt eine Pandemie, die Arbeitslosigkeit ist hoch und eine Inflation sorgt für steigende Lebenskosten. Irgendwie klingen die Voraussetzungen für den sogenannten „Kirschenrummel“ in Graz – eine historische Hungerrevolte, die ihren Ursprung in viel zu hohen Kirschpreisen am Kaiser-Josef-Markt hat und innerhalb weniger Stunden zu gewalttätigen Ausschreitungen mit 12 Todesopfern ausartete – erschütternd heutig.
Spaziergang durch die Geschichte
Durchaus schlüssig ist es daher, dass die Oper Graz diesen Stoff gemeinsam mit der Kunstuni Graz aufgreift und daraus einen Musiktheater-Spaziergang macht. Der Streifzug durch die Geschichte, den Florian Kutej, Stefan Birnhuber und Christin Hagemann konzipiert haben, beginnt mit freudiger Operettenseligkeit am Kaiser-Josef-Markt. Doch mit jeder Station, die bis zum Finale im Kunsthaus angelaufen wird, wird auch musikalisch deutlicher, welch Sprengkraft in der Gesellschaft schlummert: Verzweifelte Frauen, die ihre Familien nicht mehr ernähren können; politische Agitatoren, die diese Verzweiflung für ihre Zwecke nutzen; eine brutale Polizei, die nicht weiß wie umgehen mit den Vandalen; und zuletzt eine Exekutive, die Schuldige finden muss, um wieder den Anschein von Frieden herzustellen.
Es ist eigentlich die klassische Geschichte einer gescheiterten Revolution, die die Oper Graz mit den Mitteln der Musik der Zwischenkriegszeit – vor allem aus der Feder des großartigen Hanns Eisler – erzählt. Avantgardistische und populäre Klänge gehen hier Hand in Hand, erzählen von der Gespaltenheit der Zeit – und den historischen Gefahren, die damit einhergehen.
Unterhaltung mit politischer Brisanz
Auch wenn „Der Kirschenrummel“ sich durch seine vielen Wander- und Wartezeiten hie und da ein wenig zieht (Dauer: gut zweieinhalb Stunden), ist das Resultat ein spannender Spagat zwischen Unterhaltung und politischer Brisanz: In den Hauptrollen glänzen Studierende der Kunstuni Graz, auch die wunderbare Wanderkapelle ist mit Musizierenden der Uni bestückt – für stimmliche Wucht und Stimmung sorgen zudem Chor und Statisterie.
Noch zweimal ist „Der Kirschrummel“ bei freiem Eintritt zu erleben: für das Finale im Kunsthaus braucht man eine Zählkarte.
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