Schauspielhaus Graz: Rebekka David inszeniert mit „Leonce & Lena - nowhere to run“ eine Überschreibung von Georg Büchners Lustspiel.
Zuckerlrosa ist die Wohlstandsverwahrlosung, in der Leonce und Lena zu Beginn der Büchner-Überschreibung wie Figuren aus einem Film von Sophia Coppola dahinvegetieren. Anders als in der Vorlage sind die beiden in „Leonce & Lena - nowhere to run“ aber keine Königskinder, sondern „rich kids“, Erben eines Geldadels, dessen Wohlstand auf der Ausbeutung der eigenen Ressourcen (Burn-out), der Ressourcen der anderen (prekäre Arbeitsverhältnisse) und der Ressourcen der Erde (Klimawandel) basiert.
Flucht ins „Dolce far niente“
Doch dieses Erbe wollen Leonce und Lena (wunderbar kapriziös: Dominik Puhl und Otiti Engelhardt) - deren geplante Eheschließung auch die Fusionierung zweier Wirtschaftsimperien bedeutet - als Vertreter einer neuen Generation schlicht nicht antreten. Also flüchten sie vor dem Willen des Vaters (grandios abgekämpft: Rudi Widerhofer) ins „Dolce far niente“.
Doch auch im Müßiggang können sie der Leistungsgesellschaft freilich nicht entkommen - nicht zuletzt weil ihre hoffnungslos überarbeiteten Domestiken (fantastisch: Annette Holzmann und Mario Lopatta) in ihrer Erschöpfung zu allem bereit sind - sogar zum Populismus.
Vom Original bleibt wenig übrig
Es ist ein gehöriger Brocken Gegenwart, den Autorin und Regisseurin Rebekka David dem Büchner-Text in ihrer Überschreibung umhängt. Vom Original bleibt letztlich so wenig über, das es kokett wirkt, damit überhaupt zu werben. Es ist aber egal, denn was David und ihr Ensemble hier erzählen, hat durchaus seine Berechtigung. Es ist eine Abrechnung mit der Huldigung des ewigen Wachstums und der Fetischisierung der Arbeit.
Um dabei nicht allzu sehr in die Moralisierung abzudriften (was freilich unvermeidbar ist), flüchtet sich auch die Inszenierung selbst - und zwar ins Artifizielle. Die Bühne (Robin Metzer) erinnert mit seinen zuckerlrosa Palästen und Wäldern, die Kopf stehen, an ein Puppenhaus. Ähnlich infantil überzeichnet wirken auch die rüschenrauschigen Kostüme von Anna Maria Schories. Und auch das großartige Ensemble ist in der Figurenzeichnung offensichtlich dazu angehalten, sich nicht um Authentizität oder Bodenständigkeit zu scheren, sondern auf Gespreiztheit, Affekt und eine Prise Slapstick zu setzen. So erzielt man auch die größtmögliche Fallhöhe für die finale Szene, in der mit der Souffleuse Elisabeth Wondrack das wahre Leben auf die Theaterbühne tritt.
Affektiertheit gesellschaftlicher Diskurse
Das Resultat ist ein unterhaltsamer Abend, der seiner literarischen Vorlage und seiner eigenen thematischen Brisanz zwar nicht immer gerecht wird, der in seiner überzeichneten Theatralik aber wunderbar die Affektiertheit so mancher gesellschaftlichen Diskurse bloßstellt und ad absurdum führt.
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